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dramatisches Lied nach Peter Handke
für Sänger, 3 Chöre und grosses Orchester (1985/86)
Partiturausschnitt großDas Spiegelkabinett
Es geht mir im Grunde genommen um den Versuch, Sprache und Musik nicht zusammenzubringen, da Oper nur bis zu dem Punkt legitim sein soll, soweit ein Treffen beider Medien stattfindet. Ich versuchte in meiner Oper dies gerade vom Gegenteil her zu fassen, verleitet durch Handkes Anweisung, die am Anfang seines Werkes steht: mit inniger Ironie vorzutragen. Nun habe ich mir Gedanken gemacht - innige Ironie Novalis hat mir einen Tip gegeben, innige Ironie ist das Schweben zwischen Gegensätzen. Die Gegensätze autonom, als autonome Körper anzunehmen, unvermittelt, d.h. auch mit dem Risiko, beide zu beschädigen, war mir ein Anliegen. Es geht darum, daß die Sprache nicht dem Sprachrhythmus folgend zu realisieren war, daß ein Zögern, ein Zerreißen der Silben, ein Stocken, ein Staunen, bewußt zu riskieren war, daß die Betonung auf unbetonten Silben und umgekehrt liege, eine gewisse Irritation geschaffen werde, die meines Erachtens im strengen Sinn von Ironie - also nicht im alltäglichen Sinn von Ironie- liegt. Es geht darum, ein Feld zu schaffen, in dem sich nicht nur der Komponist als das Subjekt sieht, sondern auch die möglichen Hörer sich frei bewegen können mittels aktivem Zuhören, d.h. ich entziehe dieser Oper eine eindeutige Botschaft. Ich bin dem Text nicht gefolgt in einer Weise der Ausdeutung, der persönlichen Stellungnahme. Ich habe versucht, Felder zu schaffen, die vieles zulassen, die sicher auch Handkes eigenes Verständnis des Textes irritieren und versuchte, die Personen zu charakterisieren, aber nicht festzuschreiben durch Leitmotive, sondern durch Figurationen, die echohaft im Orchester auftauchen und verschwinden - wieder um Felder zu schaffen. Das Leitmotiv, die festgeschriebene Struktur wird aufgebrochen. Was entsteht, ist ein loses Nebeneinander, Miteinander vielleicht. Das Miteinander ist nicht vorgeschrieben, ist nicht festgemacht, meine Aussage entzieht sich im gleichen Augenblick, wo sie vielleicht etwas andeuten will, ein stetes Pendeln, auch wie das Pendeln meiner Motivation zu dem Stoff selber, der garnicht soviel mit Distanz zu tun hat wie mit Annäherung.
Dieses Grundthema des Stoffes - Annäherung, Entfernung, Distanz, Aufgeben - versuchte ich bis in das kleinste Atom der Partitur zu realisieren, fern jeglichen programmatischen Wollens, aber mit der Überzeugung, daß das Material selber ab einem gewissen Punkt das einlösen kann, was Themen als Symbole tun, die eben nur durch geschichtliche Vermittlung - also historische Einübung - verstanden werden. Hier entstehen dagegen die sich der geschichtlichen Vermittlung zu entziehen versuchen. Also wichtig ist Distanz, Ironie, der Musik Leichtigkeit zu geben, die stets den Hörer in einem Schwebezustand lassen zwischen Erkennen und Verkennen, Identifizieren und Verirren, im Grunde genommen, ein Labyrinth einzurichten, in dem sich der Hörer aktiv bewegen sollte, seinen eigenen Weg zu suchen, ihm sozusagen ein Gegenmittel zu präsentieren, zu der doch sehr doktrinären pädagogischen Weise, die individuelle Leidenskurve eines Komponisten ins Werk einzuschreiben, dem gefälligst alle Hörer zu folgen haben, ob sie wollen oder nicht. Das habe ich grundsätzlich erkannt als das, was die Neue Musik bis heute nicht geschafft hat aufzulösen. Das ist mein kleiner Beitrag.
Ich möchte noch diese stilisierte Ästhetik des Text-Musik-Verhältnisses ausrollen, speziell für meine Oper und allgemein für meine Arbeit. Im Grunde genommen geht es um einen neuen Subjektbegriff, den ich seit etwa zehn Jahren versuche in meiner Musik zu realisieren. Der alte Subjektbegriff hat mich zu Gegenüberstellungen verleitet, die ich jetzt kurz anzeigen will. Der alte Subjektbegriff kommt aus dein Genügen an der historischen Erfassung, der historischen Erkenntnis, er hat zur Folge, daß das Subjekt dem Verhältnis Text-Musik gegenüber ein kontrollierendes, domestizierendes ist, d.h., daß Text und Musik eindimensional aufeinander bezogen werden, was eine Amalgamierung und Annäherung, aber auch eine Beugung der Kraft der Autonomie der beiden Felder ist. Wie wir gesehen haben, sind Text und Musik in sich autonome Gebilde mit ganz eigenen Gesetzlichkeiten des Verstehens, die im Grunde nur aufeinander bezogen werden können mit dem Ziel einer Vereinheitlichung, wenn sie ihre Eigenkraft des autonomen Verstehens verlieren.
Als Gegenpunkt habe ich versucht, diese "innige Ironie" als Weg zu einem neuen Subjektbegriff zu formulieren, wo das Subjekt im Grunde genommen zurücksteht und ein Feld zuläßt, in dem die Materialien ihre Autonomie selbst ohne €nderung ihrer Eigenkraft aufeinander projizieren und in ein Feld spiegeln und somit zugänglich machen für andere Subjekte, nicht eine eindeutige Botschaft zu postulieren, sondern eine Mehrdeutigkeit und somit vielleicht auch ein Werkverständnis, das nicht vom historischen Verständnis abgeleitet ist.
Man stelle sich vor: hier Text - Musik, da das kontrollierende, domestizierende Subjekt, das durch die geschichtliche Erfahrung seinen gewohnten Schatz an Urteilen hat; es versucht also Text und Musik in einer Weise aufeinander zu projizieren, so daß Zwischenformen entstehen, die nicht irgendwie sich langsam dem Willen des Subjekts unterwerfen, so daß sie Produkt einer Korrodierung einer subjektiven Besetzung des Willens ist, also der Rezipient eine eindimensionale Botschaft bekommt, die er entweder annehmen oder sich dagegen sträuben kann, aber er im Grunde genommen gezwungen ist, sich eindeutig zu dieser Botschaft zu verhalten.
Dort nun das andere, das ich versuche, das zulassende Subjekt. d.h. das motiviert ist durch das Zulassen der Eigenkraft der Materialien des Textes und der Musik. Dadurch entsteht eine lmmaterialisierung. Was eine Immmaterialisierung ist - so wie ich sie verstehe -, versuche ich zu erklären: Man projiziert wieder Text - Musik aufeinander, aber in einer Weise, daß man nicht die Eigenform, die Autonomie zerstört. Dadurch entsteht, wenn man sich das Ganze von einem Feld umgeben denkt, das wie ein Spiegelkabinett beschaffen sein kann, ein Raum voller Spiegel. So gibt es Projektionsflächen, auf denen sich Facetten dieser Text-Musik-Projektion abbilden. Es gibt eine Vielheit von Punkten, die jeweils eine Möglichkeit dieser Projektion darstellen, d.h., ein rezipierendes Subjekt ist nicht mehr gezwungen, eindeutig zu diesem Gebilde Stellung zu nehmen. Es kann sich verschiedene Eingänge, verschiedene Spiegelsituationen als einen Ausschnitt eines totalen Werkverstäindnisses erarbeiten. So ergibt dies ein aktives, ganz anderes Erarbeiten,auch ein Mündigwerden des Subjekts, nicht mehr das pädagogische Vermitteln der ersten Sicht: Ich sehe diesen Text so und so und ich verkünde hier mit einer individuellen Botschaft meinen Schmerz, mein Leid und meine Freude.
Ich versuche dagegen Raum zur Verfügung zu stellen, der mehrdeutig ist. Nun, das hat zur Folge, daß Transzendenz entstehen kann, d.h., daß das Subjekt sich entzieht und im gleichen Augenblick etwas anderes zuläßt, es besetzt nicht das Ergebnis, sondern es produziert nur ein Spannungsfeld. Das Ergebnis ist etwas drittes, eben was das Subjekt nicht will, daß es benannt wird. Die Benennungen dessen geben die ganz verschiedenen Individuen beim Anhören. Das ist also der Ironiebegriff, wie er von Schlegel und Novalis formuliert war, als das Schweben zwischen Gegensätzen. Gegensätze unvermittelt auszuhalten, ermöglicht Poesie. Die Poesie ereignet sich aber im Rezipienten und wird nicht als ein Programm vorgegeben. Das ist ein entscheidender Ansatz auch in meinen anderen Stücken weshalb ich mit sehr vielen Folien arbeite die wie in einem Spiegelkabinett in verschiedenen Winkeln aufeinander gelegt werden, d.h., es entsteht ein immer vielschichtiges Feld, was auch mich überraschen kann, genauso überraschen kann, wie einen der Rezipienten. Andererseits suche ich Begrenzungen, d.h. ich bin nicht das in den leeren Raum schießende Objekt, das also meint, Freiheit entstehe dann, wenn man sich keine Grenzen setzt. Ich suche mir bewußt Grenzen und ganz stringente Grenzen, die aber nicht künstlicher Natur sind, wie in einem Elfenbeinturm, daß man sagt, man käfigt sich ein. Sie sind ehe, das ist eben die Schwierigkeit, der Versuch, die Grenzen so zu bestimmen, daß sie durchlässig sind, durchlässig zu einem allgemeinen Verständnis. Deshalb benutze ich den Goldenen Schnitt, benutze Proportionen der Periodizität, die aus Volkstänzen abgeleitet sind, die sich aber wiederum nicht so aufdrängen, daß ein lokales Couleur einen wieder einengt, sondern eher anonymisiert. Es werden Energien freigesetzt, die jenseits eines Parfüms, eines Ortes liegen, die einfach versuchen, die Wände so durchlässig zu machen, daß es eben kein Käfig ist. Andererseits braucht man diese Begrenzung, denn, was für Mozart die Kadenz war, ist für uns unwiederbringlich verloren. Wir versuchen uns deshalb unsere eigene Kadenzen zu schaffen. Wir müssen unsere Felder schaffen, in denen wir uns bewegen. Wir brauchen die Begrenzung, um die Formulierung des Willens oder des Nicht-Wollens immer an meiner Objektgrenze spiegeln zu lassen. Das ist im Grunde, was Levi-Strauß in seinem Essay "Über das wilde Denken" (Levi-Strauß, Das wilde Denken, Frankfurt/Main 1973, S. 302/303) schreibt:
"Das wilde Denken ist seinem Wesen nach zeitlos; es will die Welt zugleich als synchronische und diachronische Totalität erfassen und die Erkenntnis, die es daraus gewinnt, ähnelt derjenigen wie sie Spiegel bieten die an einander gegenüberliegenden Wänden hängen und sich gegenseitig (sowie die Gegenstände in dem Raum, der sie trennt) widerspiegeln. Unzählige Bilder entstehen gleichzeitig und keines ist dem anderen genau gleich und folglich erbringt jedes von ihnen nur eine Teilkenntnis der Dekoration und des Mobiliars, deren Gruppierung durch unveränderliche, eine Wahrheit ausdrückende Eigentümlichkeiten charakterisiert ist. Das wilde Denken vertieft seine Erkenntnisse mit Hilfe von 'imagines mundi'."
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