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Biographie__Schriften/ Writings__Filme__Darmstadt Lecture English Commentary: R.Toop__C.Fox__Links8 VOM NUTZEN DES LASSENS (1981-1984)
nach Meister Eckhart
Meister Eckhart beschäftigt mich schon über ein Jahrzehnt. Angeregt durch meine ersten Fluchtversuche nach Amerika, wo ich bei der Lektüre von Cage's Diarys und Essays wieder auf Eckhart stieß und ihn sofort als Brücke von Cage zu Zen zu Europa verstand. Zurück in Köln, besuchte ich das Meister-Eckhart-Institut und traf dort noch Josef Quint, den inzwischen verstorbenen Herausgeber der Schriften, an, las in den mittelhochdeutschen Ausgaben. Herbert Henck schließlich schenkte mir eine Ausgabe zum Geburtstag. Zugleich studierte ich gregorianischen Gesang anhand von, in der Musikwissenschaft greifbaren, Büchern und versuchte diese Erfahrungen in ein erstes Stück Gelassenheit für Alt und zwei Gitarren umzusetzen. Auch versuchte ich, die als "Scintilla animae" (das Seelenfünklein) beschriebene Erleuchtungserfahrung darzustellen. Aber ich merkte bald, daß das etwas verkrampfte Wollen dieses Stückes lange nicht einlösen kann, worauf Eckhart abzielt. Es wurde sozusagen Gelassenheit in Befehlsform: "Darum fang zuerst bei Dir selbst an und laß Dich!" Nun ließ ich Meister Eckhart in Ruhe, da ich noch nicht reif für ein tiefergehendes Verständnis war, löste schließlich im Klaviersolo von Ephemer das Stück auf, indem ich es durch paradoxe Uberlagerung zu transzendieren hoffte. Ephemer entstand 1981. Danach verstand ich, daß man die Gedanken Eckharts in keiner Weise programmatisch vorstellen kann, sondern sie direkt in die Behandlung des Materials eingehen lassen muß, was heißt die Ideenbehaftetheit der Worte Meister Eckharts in Klang auflösen. Und so einen Prozeß einzuleiten, der schließlich auch die Worte selbst auflöst.
Ähnlich wie man im Zen zu dem Punkt kommen sollte, nicht mehr über Zen sprechen zu wollen/müssen, weil es so in das alltägliche Leben eindringt, daß man nicht mehr bemerkt, wie man Zen lebt, so versuchte ich, das Denken Meister Eckarts zu durchdringen, um es in mein Denken über Musik zu überführen. Ich versuchte, ohne programmatische Selbstaufforderung, ständig meine Verhaftungen mit Vergangenheit aufzulösen. Mein Projekt LOKALE MUSIK sollte so verstanden werden, obwohl man es oft gerade umgekehrt interpretierte, also als Zurückwendung, während es in Wirklichkeit doch ein ikonoklastisches Vorgehen war. Ich nahm und nehme mir bewußt "konservative" Phänomene unserer Kultur vor, um sie von ihren wechselseitigen Besetzungen zu lösen. Den Punkt zu erreichen, eben diese Phänomene nicht mehr zu besetzen, sie in ihrer Eigentlichkeit Gestalt werden zu lassen, kommt dem nahe, was im Zen-Buddhismus "Nicht-Verhaftetheit" und bei Meister Eckhart eben "Gelassenheit" bedeutet.
So gewann der Prozeß Gestalt, ausgehend von dem vitaleren und noch Transzendenz verbergenden Stück In der Welt sein (für ein Tenor-Instrument), an das der Garten des Vergessens (1985 vom Clementi-Trio in Basel uraufgeführt) anschließt, der die letzte Floskel des vorherigen Stücks aufgreift und aufbricht durch eine Technik der bewußten ständigen Verwirrung dieser Floskel - sie soll schließlich so ungreifbar werden, daß sie vergessen wird. Das Stück Abgeschiedenheit (für Klavier Solo) als Gegenpol zu In der Welt sein öffnet den Raum zur eigentlichen Auflösungsarbeit in dem Stück Lösung, das im Nicht-Klingen endet. Danach bleibt nur noch, die Texte von Meister Eckhart selbst - die den Stücken Weg und Richtung geben - aufzulösen. Dies geschieht durch eine in den letzten Jahren entwickelte Technik, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte, da sie zu erklären zum "Schaden des Lassens" wäre. Auf die Frage, was er den jungen deutschen Komponisten empfehlen antwortete John Cage in Bremen 1982: "Meister Eckhart lesen". Dies tat ich.
8 Prolog:
Gelassenheit
für Alt , 2 Gitarren und Harmonium.
Worte von Meister Eckhart zusammengestellt aus den deutschen Predigten und Traktaten.
Gelassenheit stellt den Prozeß des Einziehens aller Bilder dar, als einzige Möglichkeit, den Zustand der Gelassenheit zu erreichen. Dies deutet auf Schweigen als höchste Form des Ausdrucks und ist ein grundsätzliches Problem künstlerisch integrem Handelns heute. So gibt es nicht nur Komponisten, die sich vom Licht der Schein-Öffentlichkeit zurückgezogen haben. Ein Künsler, den ich wegen dieser Konsequenz sehr ehre, ist Jean Marie Straub, dessen Verfilmung von Schönbergs "Moses und Aron" auf die Wichtigkeit eines so alten Stoffes in einer Art hinweist, die gelassener nicht sein könnte. Gelassenheit hat also immer auch mit Zurücknahme des subjektiven Eingriffs in die Materie zu tun. So habe ich mich ähnlich aus der Wahl der musikalischen Mittel soweit wie möglich herausgehalten, den Text ganz einnfühlend gestaltet. Das Stück wurde so zum durchkonstruiertesten, das ich geschrieben habe. Es lebt ganz von der Gregorianik und scheut sich nicht, angesichts einer geografischen Gleichzeitigkeit verschiedenster Kulturen eine des Geschichtlichen zu setzen. Aber eben nur, wenn wir alle kulturellen Vorurteile gelassen haben.
"Nur der ist gelassen, der nicht auf das blickt, was er gelassen hat."
(Meister Eckhart)
Gelassenheit. Worte von Meister Eckhart, zusammengestellt aus den deutschen
Predigten und Traktaten.
Solange deine Seele geistfömig ist,
Solange hat sie Bilder.
Solange sie aber Bilder hat,
Solange hat sie Vermittelndes.
Solange sie Vermittelndes hat
Solange hat sie nicht Einheit noch Einfachheit
Darum fang zuerst bei dir selbst an und laß dich!
Kein Bild zielt ab noch weist hin auf sich selbst,
Es zielt hin weist beständig auf das hin,
Dessen Bild es ist.
Und da man ein Bild hat nur von dem,
Was außerhalb von Einem ist
Und durch die Sinne von den Kreaturen hereingezogen wird,
Und da es auch immerzu auf das hinweist,
Dessen Bild es ist,
So wäre es unmöglich,
Dass du jemals durch irgendein Bild selig werden könntest.
Und daher muß da Schweigen und Stille herrschen.
Darum fang zuerst bei dir selbst an und laß dich!
Je mehr du alle deine Kräfte zur Einheit
ln in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder einzuziehen vermagst,
Und je mehr du dich von den Kreaturen und ihren Bildern entfernst,
Umso näher bist du diesem Wort
Und umso empfänglicher.
Wenn der Mensch sich abkehrt von zeitlichen Dingen
Und sich in sich selbst kehrt,
So gewahrt er ein himmlisches Licht.
In dem Innersten dort genügt es diesem Licht
Denn dieser Grund ist eine einfältige Stille.
Darum fang zuerst bei dir selbst an und laß dich!
Der Geist läßt sich's nicht an diesem Lichte nur genügen,
Er dringt immerzu vor durch das Firmament hindurch
Und dringt durch den Himmel,
Bis er kommt zum Geiste,
Der den Himmel umtreibt.
Und von dem Umlaufe des Himmels grünt und belaubt sich alles,
Was in der Welt ist.
Darum fang zuerst bei dir selbst an und laß dich!
Immernoch aber genügt's dem Geiste nicht,
Er dringe denn weiter vor in den Wirbel und in den Urquell
Darin der Geist seinen Ursprung nimmt.
Dieser Geist muß alle Zahl überschreiten
Und alle Vielheit durchbrechen,
Und er wird von Gott durchbrochen.
Ebenso aber wie er mich durchbricht
So wiederum durchbreche ich ihn!
Gott leitet diesen Geist in die Wüste
Und in die Einheit seiner selbst,
Wo er ein lauteres Eines ist.
"Überwindet die Zeit die Tage sind übel"*
Darum fang zuerst bei dir selbst an und laß dich!
(*Ephes 5,16)
8.1
In der Welt Seinfür Horn Solo
"Alle Kräfte der Seele und alle ihre Werke: das alles ist 'Menge', Gedächtnis, Vernunft und Wille, die alle vermannigfaltigen Dich: Die Sinnen- und Einbildungsbetätigung und (überhaupt) alles, worin Du Dich selbst vorfindest oder im Auge hast. (... ) Geh völlig aus Dir selbst heraus um Gottes Willen, so geht Gott völlig aus sich selbst heraus um Deinetwillen. Wenn diese beiden heraus gehen, so ist das, was da bleibt, ein einfältiges Eins."
(Meister Eckhart)
8.2
Garten des Vergessensfür Klaviertrio
Der "Ryoan-ji" - ein Garten des Vergessens:
"Es ist eine musikalische, körperliche Wanderarbeit, die über die Geste jede intellektuelle oder abstrakte Programmierung kurzschließt. Dieses Vorgehen ist eher ein Gehen und Herumgehen als ein Durchkämmen oder Vermessen: Er macht sich nicht die Erde untertan, er durchstreift sie und beugt sich ihren Zufällen. Die vom Gärtner hinterlassenen Zeichen erzwingen kein Planning und kein Kataster - sie sind nur Gedächtnishilfen - ein Zeichen, daß das Vergessen regiert."
(Daniel Charles, aus "Glossen über Ryoan-ji")
"Je mehr du alle Kräfte zur Einheit und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder, die du je in dich hinein genommen hast, einzuziehen vermagst,und je mehr du dich von den Kreaturen und ihren Bildern entfernst, um so näher bist du diesem (Gelassenheit) und um so empfänglicher."
(Meister Eckhart)
Zwischenspiel:
Ephemer
für Klaviertrio
"Ephemeralisation; away from the earth into the air or
on earth as it is in heaven"
(John Cage)
Die Streichertechnik des Klaviertrios zeigt nicht etwa symbolhaft diesen Prozeß der Auflösung von Strukturen auf, sondern macht ihn zur fast unüberwindbaren Anstrengung, die den Violinisten und Cellisten vor neue Aufgaben stellt. Das Stück beginnt mit Doppelgriffen, die erdverbundene Verknotungen spürbar machen: on earth. Ein Klaviersolo in paradoxer Polyphonie deutet auf Auflösung dieser Verknotungen: away from the earth. Der eigentliche Prozeß des Auflösens schließt an: into the air. Die Streicher müssen physische und ätherische Strukturen zugleich hörbar machen, nachdem der Cellist beide Pole einzeln vorstellt. Die physische Struktur ist durch Ordinario-Töne, die ätherische Struktur durch Flageolett-Töne repräsentiert. Diese zwei Klänge zugleich zu spielen heißt, immer drei Griffinger zugleich zu benutzen, was zu den beschriebenen Schwierigkeiten führt. Als eine Art unhörbare, "introvertierte Virtuosität" könnte man diese Technik bezeichnen, da die transparenten Klänge die Schwierigkeit, mit der sie erzielt werden, nur ahnen lassen. Das Klavier spielt den wichtigen Mittler und Resonator dieser Klänge und treibt den Prozeß des Transzendierens voran.
Die physische Struktur wird schließlich losgelassen. Das Stück endet in Flageolett-Klängen: as it is in heaven.
8.3
Lösungfür Viola, Violoncello, Kontrabass
"Wenn der Mensch ein inneres Werk wirken soll; muß er alle seine Kräfte einziehen, recht wie in einem Winkel seiner Seele, und sich vor allen Bildern und Formen verbergen und dort kann er wirken."
(Meister Eckhart)
In dem Zyklus VOM NUTZEN DES LASSENS nach Meister Eckhart versuche ich, ohne programmatische Selbstaufforderung, ständig meine Verhaftungen mit Vergangenheit aufzulösen. Mein Projekt LOKALE MUSIK sollte so verstanden werden, obwohl man es oft gerade umgekehrt interpretierte, also als Rückwendung, während es in Wirklichkeit doch ein ikonoklastisches Vorgehen war. Ich nahm und nehme mir konservative Phänomene unserer Kultur vor, um sie von ihren wechselseitigen Besetzungen zu lösen. Den Punkt zu erreichen, eben diese Phänomene nicht mehr zu besetzen, sie in ihrer Eigentlichkeit Gestalt werden zu lassen, kommt dem nahe, was im Zen "Nicht-Verhaftet-Sein" und bei Meister Eckahrt eben "Gelassenheit" bedeutet.
So gewann der Prozeß Gestalt, ausgehend von dem vitalen und noch Transzendenz verbergenden Stück In der Welt Sein an das der Garten des Vergessens anschließt, der die letzte Floskel des vorherigen Stücks aufgreift und aufbricht durch eine Technik der bewußten ständigen Verwirrung dieser Floskel - sie soll schließlich so ungreifbar werden, daß sie vergessen wird.
Das Stück Abgeschiedenheit als Gegenpol zu In der Welt Sein öffnet den Raum zur eigentlichen Auflösungsarbeit in dem Stück Lösung, das im Nicht-Klang endet. In Lösung werden nur natürliche Flageoletts bis zum 12. Oberton, bei neuer Skordatur 144 Töne, jeder nur einmal intoniert, so daß jeder Ton in genau vorgeschriebener Bogengeschwindigkeit von einem konkreten zu einem aufgelösten Zustand geführt wird, dies zunehmend, bis zur Aufhebung des Tons.
8.4
Abgeschiedenheitfür Klavier
"Der Tag, der vor tausend Jahren war, der ist der Ewigkeit nicht entfernter als der Zeitpunkt, in dem ich jetzt eben stehe, oder (auch) der Tag, der nach tausend Jahren oder so weit Du zählen kannst, kommen wird, der ist in der Ewigkeit nicht entfernter als dieser Zeitpunkt, in dem ich eben jetzt stehe."
"Darum fang zuerst bei Dir selbst an und laß' Dich!"
(Meister Eckhart)
8 Epilog:
Selbstvergessen
(Version for the Merce Cunningham Dance Company 1991
for 4 players/singers under the title: "Change of Address")
One to four voice(s) trained or untrained, sung and/or whispered (1-4 ad lib.), violin (g string tuned to f), bandoneon, glassharmonica, cow bells (with soft sticks) and live electronic processing of the sound decays.
Words by Meister Eckhart
The piece is to be played such that each participating musician realizes his own tempo (around one fourth note equals one second) without coordination with any other musician. The result will be an involuntary heterophony, which is not moving away too far from each other. No canonic situations should emerge, rather a constant flux between the parts like pre- or after-echoes should arise. This oscillating flux of the pitches should allow to perceive this "Not yet" and "Not anymore" which is Selfforgetting a state of mind where one cannot focus on the self, mirrored in the unfocused progression of the pitches. The voices intonate words by Meister Eckhart which are put in a non grammatical order via a magic square of the 12th order and consists only of prime numbers. The players/singers donít have to intonate all the words and are free to choose the words the like to sing/whisper etc. together with their playing of pitches. Also whole pitch-lines can/should be omitted and replaced by silence, especially when canonic situations arise. The end at page 13 should become a coordination point with the word "Bewegung"(movement), which allows the last phrase to be played in an unfocused "unisono".
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