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7

STERNWANDERUNG (1982-1984)



Partiturausschnitt groß

Im Zyklus Sternwanderung weist der Titel auf eine spezifische Art des Komponierens hin:

"Nicht-zentrierte-Tonalität" wird erzeugt durch Projektion zweier Matrixen in verschiedensten Winkeln aufeinander. Die eine ist ein Zahlennetz, die andere ein Tonhöhennetz. Das Zahlennetz ist ein magisches Quadrat zwölfter Ordnung, bestehend aus den ersten 144 Primzahlen; es bestimmt den Verlauf und die Parametrisierung der Tönhöhen und ermöglicht so den Schwebezustand nicht-zentrierter Tonalität. Das Tonhöhennetz ebenfalls eine Matrix zwölfter Ordnung, also mit 144 Tönen verbindet die allgemeinsten Tonbeziehungen des Ostens und Westens miteinander. Die x-Achse entspricht der Erzeugung der 12 Lü Chinas:

1/1,2/3,8/9 (=2/3 x 4/3), usw. also immer abwechselnd die erreichte Proportion 4/3 x 2/3. Die y-Achse entspricht den pythagoräischen Zahlenproportionen, aufsteigend von 1:2, 2:3, bis 11:12. Die Musik des Zyklus STERNWANDERUNG spielt sich in diesem Spannungsfeld ab und weist auf Essentielleres hin, als mit einer detaillierten Analyse der Kompositionsprinzipien gezeigt werden könnte.

Ein paar Gedanken aus den "Glossen über den Ryoan-Ji" von Daniel Charles mögen andeuten, welches Bewußtsein nicht-zentrierte Tonalität repräsentiert: "Die Karte ist offen. Sie kann in allen ihren Dimensionen verbunden, dementiert und umgekehrt werden, sie ist ständig modifizierbar. Archaische Universalität des Geflechts."

Und Gilles Deleuze merkt dazu an:

"Allergie gegenüber jeder Beziehung auf ein Zentrum oder Angelpunkt. (...) ewiges Ausbreiten, ein Über-Kreuz-Jagen-Jagen (... ) Das Gedächtnis des Orts auflösen (...) Rhizomatik = Nomadologie."

Hier treffen wir den Kern des Zyklus STERNWANDERUNG. Die Kreuz- und Querverbindungen der Tonhöhenbeziehungen durch Projektionen der zwei Matrixen aufeinander, erfährt in der Kultur der Nomadenvölker Kleinasiens eine konkrete Parallele. Vor allem die Kunst des Teppichwirkens, der Kilims (eine aus Zentralasien stammende Form mit Parallelen zu den Mustern Nordamerikanischer Indianer) zeigt deutlich, wie Zusammenhänge zwischen Ost und West bei Nomaden bewahrt bleiben. So wird das Weben im realen (und übertragenem) Sinn zur ureigensten Tätigkeit nicht-zentrierter Systeme.

Der Zyklus STERNWANDERUNG nimmt zunehmend Bezug auf diese Tätigkeiten und gliedert sich in 4 Stücke:

1.1 Glockenspiel (für 1 Schlagzeuger)

1.2 Klangfaden (Für Kontrabaßklarinette, Glockenspiel und Harfe)

1.3 Saitenspiel (für 18 Instrumente)

2 Spielwerk (für Sopran & Saxofonist und 3x9 Instrumente)

 
7.1.1

Glockenspiel

für Schlagzeug

 
(Das Stück Glockenspiel bildet dabei noch eine Art Brücke von der Lokalen Musik zu Sternwanderung.)

"Ich wußte nicht
welches Land unter mir grünte;
lange war es still - wieder klingelte ein Glockenspiel, also aus einer
zugedeckten Stadt unter mir - dann wurde es kühl (...)
aber zwischen Himmel und Erde wurde ich am einsamsten (...)

Da hob's mich plötzlich ins hohe Blau hinauf. Wie glänzte die Sonne in ihrem stillen Himmel so ruhig und kalt über der schwülen irdischen Hölle (...) Ich war des bewohnten Landes satt und so durstig nach dem leeren, reinen Meer."

(Jean Paul "Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch")
   


7.1.2

Klangfaden

für Harfe, Bassklarinette und Glockenspiel

 
"Das Bild des gesponnenen Fadens ist ein reines Klangsymbol,
während das Gewebe die allmählich konkret werdende Melodie
der Lichttonwelt versinnbildlicht.
Die Vorstellung, nach der Lieder 'gewoben' werden, existiert auch im Sanskrit."

(Marius Schneider "Das Morgenrot in der vedischen Kosmogonie")

Flüstertext:

"Bewegt Euch, damit Ihr langsam sein könnt: Die Langsamkeit ist das Geheimnis und die Erde ist manchmal etwas Leichtes: ein Schweben, ein Ziehen, ein gewichtloses Bild, ein Sinnreich, ein Eigenlicht -
übernehmt dieses Bild für Euer Weitergehen: es gibt den Weg an, und ohne das Bild eines Wegs gibt es kein Weiterdenken."

(Peter Handke)  

7.1.3

Saitenspiel

für 18 Instrumente

 
Der Text den Lieds am Schluß von Saitenspiel stammt von einem nordamerikanischen Indianer, den ich 1976 in Montana besuchte:

"Und sie erzählten mir: wenn die zum Mond gehn, wird der weiße Mann bestraft. Nur der Indianer wird überleben, der zur Tradition hält. Sie nicht übertreiben, aber beständig betreiben."  

7.2

Spielwerk

für Sopran, Saxofonist und 3x9 Instrumente

 
Spielwerk ist der zweite Teil des Zyklus STERNWANDERUNG, der versucht mit einer neuen Technik, der "nicht-zentrierten Tonalität", ständiges Schweben zwischen Tonalitäten zu erzeugen: eine Art Wanderung durch Tonfelder die tonal (durch Obertonreihe und Quintenzirkel) verankert sind. Diese Wanderung wird durch ein magisches Ouadrat bestimmt, das nicht durch Entscheidungen des komponierenden Individuums beeinflußt wird, sondern den Gesetzen des Zufalls folgend sich durch das vorgegebene Tonfeld bewegt. Durch Überlagerung mehrer Wege entstehen Netze von Tonbezügen, die stets zwischen Tonalität und Atonalität schweben. Die Texte deuten auf das frühromantische Urthema des Wanderns hin, des ruhelosen Umher-Schweifens, des Gefangenseins in der Welt, das es zu transzendieren gilt. Der erste Teil Schwebeklang (Sätze 1 & 2), geht auf das Wackenroder Märchen zurück, das einen morgenländischen Heiligen beschreibt, der an das Rad der Zeit gefesselt ist und erst davon befreit wird, als er einen Liebesgesang in der Nähe hört, der ihn erlöst, ja seine Gestalt auflöst. Der zweite Teil Traumwandlung (Sätze 3 & 4) nimmt die Textstellen aus Novalis' "Heinrich von Ofterdingen" heran, die von der "blauen Blume" sprechen und so einen Wandlungsprozeß poetisch stützen, der von der Verhaftetheit mit der Maschinenwelt - das Rad der Zeit dreht sich rasend schnell um das Publikum - zur Erlösung in der surreal poetischen Traumwelt führt. So sind die drei Ensembles um das Publikum angeordnet, um diesen Prozeß von logisch-maschinellen zum traumhaft verschlungenen Wandern der Klänge mitzuerleben. (Ensemble I = Vergangenheit, Ensemble II = Gegenwart, Ensemble III = Zukunft).

Die Sätze heißen: 1. Rad der Zeit, 2. Luftgestalt, 3. Traum, 4. Wandlung, 5. Ankunft.
 
 
 
   

Anhang: Transkriptionen (1976/ 1993)

7.3.1

 
Die spanische Reise des Oswald von Wolkenstein (1976)
für Bariton, Ud, Qanun, Nay, Rabab, 1 Perc. (Riqq, Daff, Mazhar, Darabukka)

Die spanische Reise des Oswald von Wolkenstein ist der erste Teil der "Musikgeschichten über den Kontakt von Orient und Okzident" und zeigt den Prozeß der Akkulturation zweier Kulturen. So wird dem Wolkensteinlied "Es fuegt sich", entstanden 1414. eine andalusiche Nouba gegenübergestellt. Diese Suite wird heute noch in Tunesien gespielt, entstand jedoch im maurischen Spanien des frühen Mittelalters. Wolkenstein beschreibt sein ruheloses Reiseleben, das ihn auch nach Spanien brachte. So wird der Text zum Anlaß, den Kontakt mit der Kultur des Islam durchzuspleien und zu Akkulturationsformen zu stossen, die strukturell spekulativ, materiell jedoch stattfanden. Es ist bekannt, daß so ziemlich alle Instrumente im Mittelalter vom Islam übernommen wurden. So spielt das Ensemble auch auf Original-Instrumenten, wie sie heute noch in arabischer Musik gebraucht werden. Die Einbettung des Wolkensteinliedes (l. Nouba exponiert), die Verläufe von Nähe und Abstand zur anderen Kultur (II. Nouba assimiliert), schließlich das Verarbeiten der Einflüsse in die eigens Struktur (III. Canciones aflamencadas) sind nicht zuletzt Kritik am ethnozentrischen Denken. Unsere (Musik-) Geschichtschreibung ist voll von Chauvinismen. So wird das Selbstverständnis parodiert, die Entstehung der Mehrstimmigkeit als einen rein europäischen Prozeß zu sehen. Parodie entsteht ja gerade durch dieses Verfahren der umbildenden Veränderung eines Musikstiles durch den Kontakt mit einem anderen. (Übrigens eine Technik, die Im 15. Jahrhundert Ihren Aufschwung nahm und Oswald von Wolkenstein in seinen Kontrafaktur-Liedern auch angewandt hatte.)

7.3.2

Gaze - Beduinenlied (1976/93)
für Oboe und Tonband

7.3.3

Mandingo - Koroharfe (1976/93)
für Mandoline

7.3.4

Tre Stanze (2009)
für Gitarre 

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