Illig, Oxenstierna und die Wikinger

Illig bezweifelt, daß es die Wikinger als Angreifer überhaupt gegeben habe. Als seinen Kronzeugen führt er den schwedischen Archäologen Eric Oxenstierna und dessen Buch "Die Wikinger" an. Das Buch war 1959 erschienen und ist mehrere Male nachgedruckt worden. (Der Forschungsstand ist aber eben der der fünfziger Jahre.)
Die vorgefundenen Gräber und Waffenfunde seien zu spärlich, sie stünden im Gegensatz zu schriftlich dokumentierten Kriegszügen. Das will Illig dem Buch Oxenstiernas entnommen haben.
Auf die Idee, die von ihm konstatierte "Fundarmut" in Relation zu sehen zu entsprechenden Funden von anderen Kriegszügen früherer und späterer Jahrhunderte, kommt er natürlich nicht. Auf die Idee, Fragen zu stellen, z.B. was es eigentlich bedeutet, wenn von aufgefundenen "Wikingerschwertern" die Rede ist, auch auf diese Idee kommt er nicht. Von "Untersuchungen und Analysen", die er sich gerne zuschreiben läßt, keine Spur ...
Oxenstierna gibt in seinem Buch einen knappen Überblick der zu seiner Zeit bekannten Funde. Sein Fazit (S. 116f) zeigt deutlich, daß seine Intentionen von Illig keineswegs korrekt wiedergegeben wurden:

"Damit sind wir den Spuren der Wikinger im Westen ebenso wie im Osten nachgegangen. Sie bilden ein buntes Mosaik von Berichten, Sagen, Ortsnamen, Gräbern und Schatzfunden."

Auf S. 117 fährt Oxenstierna fort:

"Im 9. Jahrhundert sind die Gräberfunde des Westens (über die wir gerade einen kurzgefaßten Überblick boten) reicher als im Osten. Aber im 10. Jahrhundert treten die Staatengründer des Westens zum Christentum über, dessen Begräbnis-Sitten keine Beigaben kennen. Damit verschwinden die Wikinger aus unserem archäologischen Material, während die russischen Funde jetzt erst zahlreich werden und den Westen bei weitem übertreffen."

Wer sich über den neueren Kenntnisstand ein besseres Bild verschaffen will als Illig, der sollte sich mal den Ausstellungskatalog "Wikinger, Waräger, Normannen" ansehen! (1)
1998 fand eine Wikingerausstellung in Koblenz statt, die vom dortigen Landesmuseum und dem Staatlichen Geschichtsmuseum in Stockholm veranstaltet worden war. Auch sie hat einen lesenswerten Katalog hervorgebracht, der einmal mehr mit der Mär von der "Fundleere" aufräumt [T.Ch.]. (2)

Die Normandie "erklärt"

Lustig wird es meist, wenn Illig seine schlichten "Erklärungen" zum Besten gibt, so auch gegen Ende des hier behandelten Kapitels, auf S. 160. Dort will er "die kontinentale Wikingergeschichte erst mit der Lehensverleihung durch Karl III. an den Normannen Rollo (911), der als Herzog Robert I. und Schwiegersohn des Karolingerkönigs von Rouen aus die Normandie regiert" (habe), beginnen lassen.
Im weiteren Verlauf dürfen dann die Wikinger auch endlich sein, was er ihnen für die ihm nicht genehme Zeit unbedingt absprechen will, nämlich zerstörerische Krieger, da isser nun doch noch generös, der Heribert ;-)
Wieso denn ein Karolingerkönig plötzlich auf die Idee gekommen ist, einem Normannen einen nicht unbedeutenden Landstrich zu verleihen, das scheint Illig klar, handelt es sich doch um dessen Schwiegersohn. Wie es aber zu dieser Bindung kam, und was das bedeutet, das fragt er nicht. Wie es denn kam, daß in diesem Landstrich nicht nur der Schwiegersohn sich über die Mitgift freuen konnte, sondern daß sich dort zahlreiche von dessen Landsleuten angesiedelt hatten und zahlreiche skandinavische Ortsnamen ebensolche Siedlungen bezeugen, auch das fragt Illig nicht. Wie es überhaupt möglich war, daß Rollo dieses Land als Lehen bekam, auch das ist für Illig keine Frage. Woher denn plötzlich das Lehenswesen kam, 614 gab es davon noch keine Spur, auch die Frage bleibt ungestellt, etc. pp.
Der sachliche Fehler der Gleichsetzung Rollos mit dem rund ein Jahrhundert nach ihm lebenden Robert I. fällt angesichts der sonstigen Fehlleistungen Illigs kaum noch ins Gewicht, sei hier aber angemerkt.


(1) Wikinger, Waräger, Normannen : die Skandinavier und Europa 800-1200 (...) / Europarat ... Katalog-Red.: Else Roesdahl. Bearb. und Red. des Aufsatzteils der dt. Fassung: Alix Haensel ... . - Mainz: von Zabern, 1992 (Kunstausstellung des Europarates ; 22) - ISBN 3-8053-1475-2) (zurück zum Text)

(2) Ulrich Löber, Die Wikinger. Begleitpublikation zur Sonderausstellung des Landesmuseums Koblenz und des Staatens Historisk Museums, Stockholm. Herausgeber: Ulrich Löber. Redaktion: Brigitte Schuster unter Mitarbeit von Christian Bergen u.a., Selbstverlag des Landesmuseums Koblenz 1998, ISBN 3-925915-61-3 (zurück zum Text)


zurück im Text zurückblättern

zu Chladek im Netzzur EinleitungDer reale KarlDie WissenschaftEditorial BoockmannRezension SchiefferIlligs ZitierweiseIllig-Vortrag in KölnKarolingische FundeSeibers Tischler (Einhard)Nachleben KarlsMillennium - verrücktZurueck zu Chladek


Text: Dieter Lehmann

Kontakt zum Autor

HTML-Fassungen erstellt am 11.9.1999
Zuletzt geändert am 30.11.2005
Copyright © 1997–2010 Dieter Lehmann

Kontakt zu Tilmann Chladek
zurück nach oben


Zähler

Platzhalter Platzhalter Platzhalter Platzhalter