Ist Karl der Große, sind 300 Jahre im Mittelalter bloß erfunden? Sensationelles versprach uns seit 1992 der Systemanalytiker und Privatgelehrte 
        Heribert Illig: er habe herausgefunden, dass die Zeit vom Jahre 
        614 bis zum Jahre 911 nur erfunden sei, dass also Karl der Große 
        nie gelebt habe, dass alle Ereignisse, die über diese Zeit in den 
        Schulen und den Universitäten gelehrt werden, nur der blühenden 
        (oder kriminellen?) Phantasie von "Zeitfälschern" im Mittelalter 
        entsprungen seien Das frühe Mittelalter gilt als dunkel, weil so wenige Quellen und Funde 
    diese Zeit bezeugen. Lediglich ein Jahrhundert Karolingerherrschaft scheint 
    unvergängliche Spuren hinterlassen zu haben: Einigung von halb Europa, Renaissance 
    der Künste und Wissenschaften, der Rechtsprechung und der Theologie, eine 
    erhabene Fülle weltlicher und kirchlicher Bauten, eine unübertroffene Buchmalerei. Hier spricht ein Wissender, der "neues Licht" auf das "dunkle" 
        Mittelalter wirft, auch wenn er dabei gegen die versammelte Fachzunft 
        und gegen die allgemeine Meinung steht. Viel besser als die Rezension vom 8.6.1999 war Ekkehard Eickhoff am 8.2.2000 im Feuilleton der FAZ auf S. 55 in seiner Besprechung des 1999 erschienenen Buches von Illig. Dort schrieb Eickhoff unter anderem: "Um die These richtig zu würdigen, muss man sich in die Rolle der Fälscher versetzen. Was musste die Hofkapelle des blutjungen Otto III., was mussten Konstantin VII. und seine Helfer alles zurechtschreiben, wie viele fremde Herrscher und Gelehrte mussten sie dazu bringen, dasselbe zu tun? Zehntausende von Schriftzeugnissen mussten erfunden und aufeinander abgestimmt werden. Das waren nicht nur Herrscherurkunden, von denen wir wenig Originale haben, sondern alle Geschichtswerke, Heiligenviten, Annalen. Es durfte ja keine einzige Chronik übrig bleiben, in der die Ereignisse um 911 direkt auf die von 614 folgten. Ein Beispiel: Das Ringen um die mediterrane Seeherrschaft und die arabische Eroberung Siziliens von 827 bis 902 sind aus byzantinischen, abendländischen und arabischen Quellen zugleich belegt; alles greift ineinander. Also musste auch noch die arabische Historiographie der Epoche, weit reichhaltiger als die griechische und lateinische, erfunden werden. Die großen Geschichtswerke des Tabari (gestorben 923), Masudi (gestorben 956) und des Kopten Eutychius (gestorben 940) waren zu fälschen." Gegenargumente Nach einigen Diskussionen in einschlägigen News Groups im Internet 
        (beispielsweise in "de.sci.geschichte") habe ich einmal kurz 
        einige Argumente gegen die Illigschen Behauptungen 
        zusammengefasst. Vielleicht interessieren sie ja den einen oder anderen 
        ... Dankbarkeit? Insgesamt frage ich mich aber, ob man Heribert Illig oder anderen 
        Zeitenhopsern (vgl. etwa die Gruppe um das Online-Magazin GESCHICHTE 
        & CHRONOLOGIE) nicht auch etwas dankbar sein soll. Wenn man sich mit 
        ihm auseinandersetzt, kommt man schnell zu grundlegenden Fragen der (Geschichts-)Wissenschaft. 
        Wie kann ich überhaupt etwas über die Vergangenheit aussagen? 
        Was sind "Quellen"? Welche Aussagekraft haben sie, bzw. sagen Quellen 
        überhaupt etwas aus oder ist es nicht der Wissenschaftler, der die 
        Quellen "sprechen" lässt? (Der Kenner wird wissen, dass es hierzu 
        einen nicht ganz einmütig aufgenommenen Text von Professor Johannes 
        Fried gibt.) Heribert Illig, Karl der Fiktive, genannt Karl der Große. Als Herrscher zu groß, als Realität zu klein; eine Entmystifizierung zur Einweihung des neuen Rhein-Main-Donau-Kanals am 25.9.1992, Gräfelfing: Mantis-Verl., 1992 134 S. : Ill., ISBN 3-928852-03-5 (Vgl. zu diesem frühen Versuch, einen Kanal zu bauen, auch das Bild auf den Seiten des Fachbereichs Geschichte der Universität Tübingen sowie die Anmerkung zu der entsprechenden Stelle in der Rezension von Prof. Rudolf Schieffer.) Ders., Hat Karl der Große je gelebt? Bauten, Funde und Schriften im Widerstreit (= Fiktion Dunkles Mittelalter 1). Gräfelfing: Mantis Verlag 1994, 3. Aufl. 1996, 405 S., zahlr. Abb. Ders., Das erfundene Mittelalter. Die größte Zeitfälschung der Geschichte. Düsseldorf: Econ 1996. 431 S., zahlr. Abb., 44,- DM, ISBN 3-430-14953-3. Ders., Wer hat an der Uhr gedreht? Wie 300 Jahre Geschichte erfunden wurden, Econ- und List-Taschenbuch-Verlag, München, 1999 287 S.; graph. Darst.; 19 cm; Literaturverz. S. 265 - 276, Econ & List: 26561, ISBN 3-612-26561-X Uwe Topper, "Erfundene Geschichte". Unsere Zeitrechnung ist falsch - Leben wir im Jahr 1702? Herbig Verlag, München 1999. 254 S., 53 Abb.; geb., 39,90 DM  | 
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