Das "schwammige Rom" mit "Kennerblick" (Illig-ema (14))

Als weiteren "Kronzeugen" führt Illig (S. 14) schließlich Ferdinand Gregorovius an, den er seinen Lesern als "den besten Kenner römisch-mittelalterlicher Geschichte" vorstellt. Dazu ist zunächst die Frage zu stellen, ob denn wirklich jemand, der seit über 100 Jahren tot ist, der "beste Kenner" in einem Gebiet sein kann? Das unterstellt, die Forschung habe sich (zumindest auf diesem speziellen Gebiet) nicht weiterentwickelt.
Da aber Illig stets ältere und neuere Titel durcheinanderwürfelt, Bücher mit wissenschaftlichem Anspruch und Populärliteratur, Astrologen, Romane und Artikel aus P.M. und DOS-International zu seinen Informationsquellen zählt (vgl. sein Literaturverzeichnis!), ist es schon nachvollziehbar, daß er von der Art und Weise, wie Erkenntnisse der Wissenschaft zustande gekommen sind, kaum angemessene Vorstellungen hat. Daß es zeitbedingte Fragestellungen, Methoden und Darstellungsweisen gibt, die bei der Bewertung von Aussagen anderer Autoren zu berücksichtigen sind, wenn man ihnen gerecht werden will, das entzieht sich wahrscheinlich Illigs Vorstellungswelt.
Gregorovius lebte von 1821 bis 1891. Sein mehrbändiges Werk über die "Geschichte der Stadt Rom" (1859-1872 erschienen) gilt als ein Klassiker der Geschichtsschreibung und hat dementsprechend auch alle Vor- und Nachteile eines Klassikers. Es ist wie viele derartige Werke des 19. Jahrhunderts in epischer Breite geschrieben und ungeheuer faktenreich. Die personalisierende Darstellung entspricht aber längst nicht mehr dem heutigen Stand der Historiographie.
Das von Illig gebrachte Zitat findet sich in der von ihm benutzten dtv-Taschenbuchausgabe in Band 1, Teil 2, S. 486: "Die Zustände Roms in dieser Zeit sind in so tiefes Dunkel getaucht, daß die Geschichte der Stadt nur fragmentarisch in solchen Ereignissen sichtbar wird, die mit dem Reiche zusammenhängen." Illig bezieht das auf "die Zeit nach 823".
Den Satz hat Illig, seiner Gewohnheit nach, aus dem Zusammenhang gerissen. Der bei Gregorovius davor stehende Absatz endet wie folgt: "Nach Bernhards Tode blieb sein Thron zwei Jahre lang unbesetzt, nicht zum Verdruß der römischen Kirche, welcher das italienische Königtum bereits unbequem geworden war." Es geht dabei um (Unter-)König Bernhard von Italien, den Sohn von Karl des Großen Sohn Pippin. Bernhard war 818 gestorben und sein Königsthron blieb bis 820 unbesetzt. Nun wurde sein Cousin Lothar, der Sohn Ludwigs d. Frommen, zum König von Italien gekrönt. Gregorovius fährt danach mit der Schilderung der Ereignisse vom Jahr 820 an fort. Die Formulierung "in dieser Zeit" ist zwar schwammig, in diesem Fall ist aber wohl die Zeitspanne von 818 bis 820, vom Tod Bernhards bis zur Krönung Lothars gemeint. Wie Illig auf "nach 823" kommt, ist nicht nachvollziehbar.


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Text: Dieter Lehmann

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HTML-Fassungen erstellt am 11.9.1999
Zuletzt geändert am 30.11.2005
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