1500
Städte verschwunden? (Illig-ema(12)-b)
Illig bringt (S. 12) zwei Zitate
des Byzantinisten Cyril Mango, die er aus einem 1986 erschienen Band
der Reihe "Weltgeschichte der Architektur" entnommen habe. Die Aussagen ähneln
sehr denen in dem Mango-Werk "Byzantion. The Empire of New Rome" (London 1980),
welches mir zugänglich war und welches auch Illig benutzt zu haben
behauptet (lt. seinem Literaturverzeichnis und S. 157).
Zum ersten Zitat, nach dem man keine irgendwie gesicherten Angaben zur Entwicklung
der byzantinischen Architektur zwischen 610 und 850 machen könne, unterschlägt
Illig die im "Byzantion" S. 268 f. enthaltene Erklärung, daß dies an
der Vernichtung der einschlägigen Schriften während des Bilderstreits (Ikonoklasmus)
liegt. (Der Ikonoklasmus war eine von 726-843 währende heftigste Auseinandersetzung
um die religiösen Bilder und deren Verehrung. Er hatte, wie der Investiturstreit
hierzulande, eine Vielzahl von religiösen Streitschriften hervorgebracht,
die - das nur für die voreiligen "Zeitstreicher" - seine Existenz und Datierung
belegen. Wie immer in religiösen oder sonstwie motivierten Kulturkämpfen sind
dem Bilderstreit zahlreiche Kulturgüter zum Opfer gefallen, wie z.B. auch
viele profane Handschriften. )
Als zweites Mango-Zitat bringt Illig Auszüge einer Stelle, nach der
das "Dunkle Zeitalter" in Griechenland um 580 eingesetzt habe. Einer der Ausgräber
auf der athenischen Agora habe von nahezu vollständiger Entvölkerung gesprochen,
bis das Gebiet im 10. Jahrhundert wieder als Wohnbezirk besiedelt worden sei.
Illig intendiert damit eine Siedlungslücke von 580 bis ca. 900.
Im "Byzantion"-Werk von Mango liest sich die entsprechende Stelle so
(vgl. dort, S. 70):
"At Athens the Agora excavations
have established that there was widespread devastation in the 580s, followed
by a period of makeshift existence lasting into the second half of the seventh
century. Thereafter the area of the Agora was completely abandoned and the
settlement retreated to the Acropolis and a small fortified enclosure immediately
to the north of it."
Warum in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts
eine Entvölkerung einsetzte, das hätte Illig dem Kapitel über "the
Disappearance and Retrieval of cities" (Mango, S. 60 ff.) entnehmen
können, dem auch das Athen-Zitat entstammt. Dort schreibt Mango, daß
das Byzantinische Reich im 6. Jahrhundert noch wie in der Antike vorwiegend
eine Ansammlung von Städten war. Er schätzt dann, daß es zur Zeit der Regentschaft
Justinians ca. 1500 Städte in Byzanz gegeben habe. Dabei gibt er zu bedenken,
"that in antiquity the term 'city' ('polis' or 'civitas') was not, strictly
speaking, the equivalent of a town: it designated a self-administering unit,
and there was all the difference in the world between a 'city' like Alexandria
or Ephesus, on the one hand, and some obscure hole like Zeldeja in Scythia,
on the other." (60)
Das "Verschwinden" der Städte wird nun hauptsächlich mit den
Epidemien von (Beulen-)Pest u.a. Seuchen in Verbindung gebracht, die zwischen
den Jahren 541 und 748 periodisch wiederkehrten. Nach den Aussagen von
Zeitzeugen führten sie zu riesigen Bevölkerungsverlusten und
entvölkerten ganze Städte. Die Einwohnerzahl von Konstantinopel
wurde in dieser Zeit zumindest halbiert. Mango weist ausdrücklich
darauf hin, daß der Nachweis für das "Verschwinden" ganzer
Städte nur schwer zu erbringen ist und nur für wenige sicher
nachgewiesen ist.
"The evidence for the collapse of the cities
is largely archaeological. It should be stressed here that although m any
excavations have been conducted in different parts of the Empire, relatively
few have been carried out in a sufficiently methodical manner." (69)
Auch die Überbauung und Weiterbesiedlung erschwert hier wie andernorts die
archäologische Erkenntnis, macht sie teilweise gar unmöglich. Als Beispiel
für einen gelungenen archäologischen Nachweis hatte Mango das oben
angeführte Athener Beispiel gebracht. Von einem Verschwinden aller 1500 Städte,
wie Illig (ema, S. 13 und ebenda, S. 157) unterstellt, ist überhaupt
nicht die Rede. Mango benutzt das Denkmodell vom "Verschwinden der
Städte" dazu, eine Periodisierungsgrenze festzulegen, eine Hilfskonstruktion
der Geschichtsschreibung. Es geht ihm darum, den "Abbruch der Antike" auszumachen
und den Wandel vom früh- zum mittelbyzantinischen Staat zu markieren. Die
Änderung der Siedlungsstruktur benennt er pointiert: "If the early Byzantine
Empire was an aggregate of cities, the Middle Byzantine Empire may be described
as an aggregate of 'kastra' (fortresses)." (73)
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