"Dunkle Merowingerzeit" (Illig-ema(12-13))

Auf S. 12 hat Illig für den nichtbyzantinischen Westen einen nach dem Ende des weströmischen Reiches (476) einsetzenden "schwammigen Geschichtsablauf" ausmachen wollen. Auf S. 13 schreibt er: "Im Westen ist die Merowingerzeit in Chroniken wie in archäologischen Funden kaum greifbar". Da man seinem Literaturverzeichnis entnehmen kann, daß er keine Chronik zur Kenntnis genommen hat, ist es nicht verwunderlich, daß er nichts "greifen" kann.
In jenem Literaturverzeichnis listet er aber u.a. die "Einführung in das Studium der mittelalterliche Geschichte" von Heinz Quirin (3., verm.Aufl.. - Braunschweig 1964 [u.ö.]) auf und behauptet somit, sie benutzt zu haben. Gleiches behauptet er auch von der einschlägigen Quellenkunde von W. Wattenbach u.a. (Wilhelm Wattenbach [u.a.]: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter [... / versch. Ausgaben u. Aufl.] 1893 u.ö.).
Mit Hilfe dieser beiden Werke hätte er sich orientieren können, welche Chroniken aus der Merowingerzeit überliefert sind und vor allem auch, daß es neben Chroniken auch andere Gattungen von Schriftquellen gibt und gab. So kann Illigs Aussage - sehr vorsichtig ausgedrückt - nur Erstaunen hervorrufen. Erstaunen über so viel Ignoranz. Völlig absurd sind seine Behauptungen in Bezug auf die Archäologie. Auch hierzu führt er in seinem Literaturverzeichnis einen Titel auf, der ihn eines besseren hätte belehren können, nämlich den Ausstellungskatalog 'Hessen im Frühmittelalter'(2).
Der dortigen "Einführung in die Frühmittelalter-Archäologie" von H. Roth (S. 24 ff.) hätte er entnehmen können, daß schon damals, Anfang der 1980er Jahre, über 50.000 Bestattungen der Zeit bis 700 bekannt und ausgegraben waren. (Inzwischen sind noch zahlreiche hinzugekommen). Illig meint (ebenfalls ema-S.13), es seien eben "allenfalls Gräberfunde, aber praktisch keine Überreste oberhalb des Boden bekannt". Was ihn auf die Idee gebracht hat, auf Oberflächenfunde der Merowingerzeit zu spekulieren, sei mal dahingestellt. Meint er gar Bauten? Möglicherweise hat er da etwas durcheinandergebracht. Roth stellte in seiner Einführung der Vielzahl an Grabfunden die geringe Zahl von Siedlungsbefunden für das Frühmittelalter entgegen (und erklärt auch, woran das liegt). Illigs Aussagen zur Merowingerzeit sind jedenfalls in Bezug auf die Schriftquellen nur bedingt richtig, in Bezug auf die archäologischen Quellen grundfalsch. Sein Verhalten gleicht jemandem, der sich die Augen zuhält und dann darüber klagt, daß er nichts sehen kann. Wer mehr als Illig sehen will, der sollte sich mal den "Hessen im Frühmittelalter"-Katalog ansehen, vor allem aber auch den aktuelleren Katalog der Franken-Ausstellung von 1997 (3).


(2) Helmut Roth; Egon Wamers (Hrsg.): Hessen im Frühmittelalter. Archäologie und Kunst... Sigmaringen 1984 (ISBN: 3-7995-4017-2) (zurück zum Text)

(3) Die Franken. Wegbereiter Europas. 5. bis 8. Jahrhundert n.Chr., hrsg. von Alfried Wieczorek u.a. (2., dgs. u. erg. Aufl. 1997) - ISBN: 3-8053-1813-8.


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Text: Dieter Lehmann

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HTML-Fassungen erstellt am 11.9.1999
Zuletzt geändert am 30.11.2005
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