Zu seinen grundstürzenden Einsichten will Illig ausgerechnet durch Horst Fuhrmann angeregt worden sein, der im Zuge seiner Forschungen über mittelalterliche Fälschungen an prominenten Beispielen wie der Konstantinischen Schenkung und den pseudoisidorischen Dekretalen gezeigt hat, daß derartige Fiktionen, einmal in der Welt, mit der Zeit Verwendungen finden konnten, die ihren einstigen Urhebern kaum bewußt oder vordringlich gewesen waren (also etwa im 11. Jahrhundert zur argumentativen Waffe des Reformpapsttums wurden). Fuhrmann sprach solchen Fälschungen "antizipatorischen Charakter" zu, meinte aber beileibe nicht, daß sie absichtslos entstanden seien, weshalb es sachlich verfehlt ist, wenn Illig ihn durch ein Literaturzitat aus ganz anderem Zusammenhang ("Das Phänomen der absichtslosen Fälschung müßte wohl noch erfunden werden") für widerlegt erachtet (9 f.) und seinerseits postuliert, Fälschungen könnten nicht älter sein als ihre (hauptsächliche?) Wirkung, was ihn bei der Konstantinischen Schenkung ins 10./11. Jahrhundert (143), bei Pseudoisidor anscheinend ins 11. Jahrhundert - und übrigens nach Saint-Denis - führt (377 f.).
Nachdem er die zünftigen Historiker in dieser Weise bei einem Denkfehler ertappt zu haben meinte, fand Illig den Hebel zum Umsturz der herkömmlichen Chronologie in der Gregorianischen Kalenderform von 1582, die bekanntlich darin bestand, daß zehn Tagesdaten zwischen dem 4. und dem 15. Oktober übersprungen wurden, um auszugleichen, daß der Julianische Kalender das Sonnenjahr mit 365 Tagen und 6 Stunden veranschlagt hatte, während es tatsächlich 11 Minuten und 14 Sekunden weniger sind. Die Differenz summiert sich in 128 Jahren zu einem Tag, woraus folgt, daß der Fehler unter Papst Gregor XIII. nur für 1280 Jahre und nicht den vollen Zeitabstand von über 1600 Jahren seit Julius Caesar behoben worden ist. Da es aber, wie Illig mit Berufung auf die "Encyclopedia Britannica" meint (97), darum ging, "die Himmelskonstellation zu Caesars Zeiten" wiederherzustellen, sieht er es für gewissermaßen naturwissenschaftlich erwiesen an, daß rund 300 Jahre weniger zwischen dem römischen Diktator und dem frühneuzeitlichen Papst lagen. Tatsächlich faßte die Reform (wie schon die lange Kalenderdiskussion seit dem hohen Mittelalter) überhaupt nicht Caesar in den Blick, sondern die überlieferten Ostertafeln, die in einem 532jährigen Rhythmus den Termin des Osterfestes vorgaben und längst nicht mehr in Einklang mit der (auf das Konzil von Nicaea 325 zurückgeführten) Regel standen, das Fest am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond zu feiern. Wegen der faktischen Abweichung des Kalenders kam es nämlich ständig vor, daß der dem Osterfest vorausgehende Vollmond, für jedermann mit bloßem Auge sichtbar, gar nicht in der Karwoche eintrat, sondern bereits etliche Tage früher, nicht selten noch vor der traditionellen Frühlingsgrenze am 21. März. Um die Diskrepanz zu beheben, genügte ein Zeitsprung von zehn Tagen, weil die Ostertafeln ihren Ausgang in der Spätantike genommen hatten und den damaligen astronomischen Gegebenheiten entsprachen. Ein tauglicher Ansatzpunkt, um der "größten Zeitfälschung der Geschichte" auf die Schliche zu kommen, liegt hier gewiß nicht.

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Entnommen aus: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 10/1997, Seiten 611-617

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Erstellt am 4.5.1998.

Geändert am 25.10.1999.

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