Um
Einhards Vita Karoli [s.u.] als Machwerk des
12. Jahrhundert zu entlarven, hebt Illig "massive Fehler" (345) in Namen und
Daten hervor, die einem Verfasser aus Karls nächster Umgebung nicht zuzutrauen
seien, in Wahrheit jedoch nur zeigen, daß Einhard zwar literarisch dem
Muster der antiken Kaiserbiographien Suetons folgte, sich inhaltlich aber
nicht auf schriftliche Vorlagen, sondern auf mündliche Berichte und eigene
Erinnerungen stützte. Wenn er "uns in aller Unschuld erzählt, er
habe weder vom Kaiser selbst noch am Kaiserhof etwas über Karls Geburt,
Kindheit und Jugend ... in Erfahrung bringen können" (40), so ist das
nicht, wie Illig befindet, "ausgeschlossen", sondern um 825 beim Abstand zu
den 750er und 760er Jahren einleuchtend und spricht entschieden für die
Aufrichtigkeit der Quelle, die gerade nicht mit der Einbildungskraft eines
Fälschers Wissenslücken übertüncht. Einhard vorzuhalten,
er habe "von 21 Hauptstädten des Reiches" gesprochen, wo doch bekannt
sei, "daß das Reich um 800 überhaupt keine Hauptstadt hatte" (345),
geht völlig fehl, weil sich die gemeinte Stelle auf "metropolitanae civitates",
also Erzbischofssitze, bezieht. Aufschlußreich für Illigs willkürliche
Art, mit den Quellen umzuspringen, ist sein Versuch, sich über Einhards
Darstellung der Sachsenkriege Karls des Großen hinwegzusetzen. Mehr
Vertrauen verdiene Widukind von Corvey, auch für ihn ein Historiker des
10. Jahrhunderts, der "nur einen einzigen Satz auf einen Krieg Franken gegen
Sachsen verwendet" und damit womöglich ein Geschichtsbild zeige, "das
älter ist als das von Einhard entworfene" (132). Denn der Karlsbiograph
mit seiner Sicht von einem versöhnlichen Ende nach langem Ringen kann
ihn nicht überzeugen: "Wieso dieser mehr als dreißigjährige
Krieg mit seinen ungezählten Greueln Sachsen und Franken nicht in jahrhundertelange
Erbfeindschaft trieb, sondern ganz im Gegenteil zu einem homogenen Volk verschmolz,
eine fränkisch-sächsische Fusion ergab, verstehen weder Psychologen
noch Historiker. Schöpfen nicht die Serben noch nach über 600 Jahren
Komplexe aus ihrer Niederlage auf dem Amselfeld? Einhard hätte obendrein
in seinem frühen 9. Jahrhundert noch nichts von dieser Verschmelzung
wissen können und dürfen. Ebenso unverständlich ist die Tatsache,
daß trotz dieser Vereinigung von 804 erst 919 die Sachsen gleichrangig
neben die Franken traten. Hier wie sonst auch stehen wir vor Rätseln
und Widersprüchen, die sich erst durch die Geschichtskürzungsthese
auflösen" (130 f.). In Rätsel und Widersprüche verstrickt sich
eben vor allem, wer mit seiner hausgemachten Psychologie an die Vergangenheit
herangeht und danach meint, die Quellen in brauchbare und unbrauchbare einteilen
zu können.
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Zu Einhards Vita ist 2001 die umfangreiche Studie von Matthias M. Tischler über die Überlieferung der Handschriften der Einhard-Vita erschienen, die Dr. Hubertus Seibt rezensiert hat. Freundlicherweise hat mir Dr. Seibt gestattet, seine Rezension hier zu veröffentlichen. (T. Ch.) |
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Erstellt am 4.5.1998. Geändert am 25.10.1999. Copyright © 1997–2010, Erhard Friedrich Verlag GmbH & Co KG, Seelze |
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