Viel
hält sich Illig darauf zugute, auch die "architektonische wie archäologische
Evidenz" einzubeziehen, deren Mißachtung er den Historikern vorwirft,
ohne sich klar zu machen, daß archäologische und kunsthistorische
Methoden immer nur zu einer relativen Chronologie verhelfen können,
für eine absolute zeitliche Festlegung jedoch und erst recht die
historische Einordnung, der Rückgriff auf Schriftquellen unabdingbar
ist. Solange Befunde aus beiden Sparten einander gegenübergestellt
werden, hält sich Illig wieder an seinen Kunstgriff, die Latte so
hoch zu legen, daß sie sicher nicht übersprungen werden kann:
Der Bericht der Reichsannalen über Karls Kanalbau an Altmühl
und Rezat im Jahre 793 ist abzulehnen, weil dieser eindeutige Spuren im
Boden hinterlassen haben müßte, die es nicht gebe (104 ff.)[1];
die Normanneneinfälle haben "nur auf Pergament stattgefunden", weil
die dafür erforderlichen zahllosen Schiffe nirgends wiederzufinden
seien (157 ff.). Auch gegen die riesige Beute des Awarenschatzes wie gegen
die Kaiserkrone Karls spreche, daß sie sich zwischenzeitlich "in
Luft aufgelöst" hätten (166,187), und besonders kurios wird
es, wenn er den urkundlichen Hinweisen auf Märkte entgegenhält,
man kenne "keinen archäologischen Befund in Gestalt von Markthallen,
Loggias oder ähnlichem" (172). Genüßlich zerpflückt
Illig einen ziemlich pauschalen Beitrag von zweieinhalb Druckseiten aus
dem Jahr 1965, eigentlich den Kommentar zu einer Karte in der damaligen
Aachener Karls-Ausstellung, worin von 313 "Großbauten" der Karlszeit
(Kathedralen, Königspfalzen und Klöstern) die Rede gewesen war;
er rechnet vor, daß alle paar Wochen ein solches Bauwerk fertig
geworden sein müßte, und weist darauf hin, daß sich nur
ein winziger Bruchteil davon bis heute erhalten habe oder wenigstens in
seinen Fundamenten im Boden sicher als karolingisch zu identifizieren
sei (205 ff.). Dabei wird, freilich im Einklang mit mancher kunsthistorischen
Literatur, stillschweigend vorausgesetzt, daß es sich um lauter
Anlagen in der Größenordnung des (niemals realisierten) Sankt
Galler Klosterplans gehandelt habe; realistischer ist es, sich vergleichsweise
kleine Gebäude, auch aus vergänglichem Holz, vorzustellen, die
in der Folgezeit manchen Gefährdungen ausgesetzt waren, vor allem
aber vielfach wohl stattlicheren Neubauten aus nachkarolingischen Epochen
haben weichen müssen. Außerdem ist der archäologische
Forschungsstand an der großen Mehrzahl der in Betracht kommenden
Plätze gar nicht so, daß er Illigs Argumentum e silentio stützen
könnte.
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Entnommen aus: Geschichte in
Wissenschaft und Unterricht, 10/1997, Seiten 611-617
Erstellt am 4.5.1998. Zuletzt geändert (in den zusätzlichen Fußnoten) am 22.8.2007. Copyright © 1997–2010, Erhard Friedrich Verlag GmbH & Co KG, Seelze |
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[1] Hier gibt es Neues zum Main-Donau-Kanal Karls des Großen (fossa carolina): "Die so genannten Lorscher Annalen berichten recht ausführlich von einem durch Karl den Großen veranlassten Kanalbau [...] zwischen den Flusssystemen von Rhein, Main und Donau: das Vorhaben sei jedoch bereits in seinen Anfängen gescheitert, und im Spätjahr 793 haben man wegen unüberwindbarer technischer Schwierigkeiten abbrechen müssen. Diese Beurteilung hat die Geschichtsschreibung bis in die jüngste Zeit übernommen und die heute noch sichtbaren Kanalspuren zwischen Treuchtlingen und Weißenburg in Bayern als Rudimente eines vergeblichen Versuchs angesehen. Nun haben aber neuere Geländeuntersuchungen, unterstützt von Probebohrungen und Luftbildern, erwiesen, dass der Kanalbau sehr wohl in der erforderlichen Länge ausgeführt worden ist, dass es wohldurchdachte Vorkehrungen für eine gleichmäßige Wasserführung gegeben hat, dass der Kanal zu seiner Zeit für die Fluss-Schiffahrt durchaus geeignet war. Eine prononciert vorgebrachte Nachricht aus schriftlicher Quelle ist damit durch den archäologischen Befund widerlegt worden, ein überzeugendes Beispiel für die Bedeutung der Archäologie als eigener Zweig der Geschichtsforschung, gerade auch in Bezug auf die Epoche des frühen Mittelalters." [aus: Hermann Ament, Neue Forschungen zu Merowingern und Karolingern. Das Werden des christlichen Abendlandes, in: Walter Menghin, Dieter Planck (Hrsg.), Menschen, Zeiten, Räume - Archäologie in Deutschland. Eine Ausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz und des Verbandes der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2002, ISBN 3-8062-1596-0, S. 318 ff., hier S. 320] Als Literatur zum Main-Donau-Kanal Karls des Großen gibt Ament an: Hermann Kerscher/Robert Koch/Hansjürg Küster, Fossa Carolina - 1200 Jahre Karlsgraben. Denkmalpflege Informationen 19 (München 1993). Horst Enzensberger hat diese Angabe noch ergänzt: Denkmalpflege Informationen, Ausgabe D, Nr. 19 (7. Mai 1993), ein Heft von etwas mehr als 20 Seiten, wobei als Hauptautor Robert Koch fungiert. Auch in der Begleitpublikation zur Ausstellung über
das (bayerische) "Franken im Mittelalter" in Forchheim finden
sich zwei Seiten über die neuesten Forschungsergebnisse über
die "fossa carolina": "Nach den bisher unbeachteten Bauresten
im Gelände zu schließen war die Fossa Carolina zu einem funktionstüchtigen
Betriebssystem ausgebaut. Ein Durchstich auf dem Niveau der Altmühl,
den frühere Forscher favorisiert hatten, kam dafür nicht in
Frage; denn das Rezatried liegt 9 m über dem Wasserspiegel der Altmühl
und wäre dadurch trocken gefallen. Nach den topographischen Gegebenheiten
konnte nur eine auf- und absteigende Kette von Stauteichen, die jeweils
einen geschlossenen Wasservorrat hatten und zwischen denen sich Querdämme
mit Schlepprampen befanden, die Wasserscheide an dieser Stelle überwinden. Kurt Scheuerer hat anlässlich einer Ausstellung 2006 im Ingolstädter Stadtmuseum ausführlich den Stand der Forschung zum Karlsgraben dargestellt. Demnach hat der "Graben", der in Wirklichkeit eher "eine dem Gelände angepasste Weiherkette mit flach ansteigenden bzw. geneigten Schlepprampen" war, zur Zeit Karls des Großen in der Tat funktioniert. KLARSTELLUNG: Im April 2005 begann ein gewisser Universalgelehrter aus Andernach mit der Behauptung zu jonglieren, dass der Widerspruch zwischen der Aussage in den so genannten Einhards- oder Lorscher Annalen und der archäologisch nachweisbaren Fertigstellung des Karlsgrabens beweise, dass dieser Kanal unmöglich aus der Karolingerzeit stammen könne. Dabei übergeht er, dass es zwei weitere karolingerzeitliche Schriftquellen gibt, die den Karlsgraben erwähnen: ------------------------------------------------------------------------ Also hat eine karolingerzeitliche Schriftquelle (von
dreien) eine Behauptung über den (ungenügenden) Baufortschritt
des Karlsgrabens aufgestellt, die nachweislich des archäologischen
Befundes des karolingerzeitlichen Kanals falsch ist. Denn der Kanal ist
inzwischen archäologisch nachgewiesen und auf die Karolingerzeit
datiert. [2] Vgl. die Widerlegung der Illigschen Behauptungen von Matthias Müller-Götz, "Illigs 24 Anachronismen der Aachener Pfalzkapelle". (zurück nach oben) |
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