Waren
die Wikinger nur virtuell? (illig-ema, 157 ff.))
Illig schreibt, die Attacken der Wikinger in der Karolingerzeit
seien in Annalen in "schreckensvollen Bildern" geschildert worden. Gleichwohl
hätten "sich deutsche Städte gerade damals um überhaupt keinen Schutz" (158)
bemüht. Zu Merowingerzeiten seien "die Römermauern noch ausgebessert worden,
obwohl kaum Feinde drohten. Die bös gebeutelten Spätkarolinger verzichteten
darauf" (ebd.). Diese Information will Illig von Edith Ennen bezogen
zu haben, und zwar aus deren Buch über die "Frühgeschichte der europäischen
Stadt" (S. 92; Illig zitiert nach der Ausgabe Bonn 1981).
Er fragt dann, ob die von ihm behauptete Vernachlässigung in der Karolingerzeit
"aus Armut, Dummheit oder Stolz?" erfolgt sei. Deutsche Städte hätten "erst
dann neue, frühmittelalterliche Befestigungen" erhalten, als die Ungarn ins
Land einfielen. (Hervorhebung so bei Illig).
Bei Ennen kann man nachlesen, daß sich der Hinweis auf die Sorge der
Merowingerkönige für die Instandhaltung der (römischen) Stadtmauern auf eine
Arbeit des belgischen Historikers Fernand Vercauteren über belgische
und nordfranzösische Städte stützte. Die von Ennen gebrachten Hinweise
auf eine Vernachlässigung der Stadtmauern beziehen sich auf die erste Hälfte
des 9. Jahrhunderts, also die Zeit vor den großen Normannenangriffen auf dem
Kontinent. Sie bringt u.a. ein Beispiel (Reims), bei dem Teile der Römermauer
als Steinbruch zum Kirchenbau verwendet wurden.
Wieder gestützt auf Vercauteren bringt sie dann einige Beispiele,
wo sich die Vernachlässigung der Stadtmauern bei den Normannenstürmen
bitter rächte. Städte wie Cambrai, Noyon, Tournai u.a. wurden
von den Normannen im Handstreich genommen und die schwachen Befestigungen
zerstört. Andere Städte wie Laôn, Senlis, Soissons u.a.
hatten ihre Stadtmauern instandgehalten und konnten deshalb den Normannenangriffen
standhalten.
Auf S. 93 bringt Ennen die durch Sperrdruck besonders hervorgehobene
Formulierung:
"Überhaupt
haben die Normanneneinfälle das Verständnis für den Festungscharakter der
Stadt bei ihren fränkischen Bewohnern geweckt."
und fährt dann in normalem Druck fort: "Allenthalben
begann man, die Mauern auszubessern. In Mainz, Köln, in Cambrai, Reims,
Beauvais, Noyon und Tournai u.a. wurden Instandsetzungsarbeiten vorgenommen."
Man sieht, daß Illig die Aussage Ennens geradezu ins Gegenteil
verkehrt hat. Da er an anderer Stelle (S. 160) ausdrücklich behauptet,
die fragliche S. 93 bei Ennen zur Kenntnis genommen zu haben, muß
man fragen, warum er die Aussage Ennens nicht richtig erfaßt
hat. Am besten fragt man mit seinen eigenen Worten: War es (geistige) "Armut,
Dummheit oder Stolz" (des notorischen Rechthabers)?
Befestigungen
erst während der Ungarneinfälle?
Illigs Behauptung, die "deutschen
Städte" hätten erst anläßlich der Ungarneinfälle "neue, frühmittelalterliche
Befestigungen" erhalten, will er auf den Städteforscher Ernst Pitz und
dessen Buch über "Europäisches Städtewesen und Bürgertum" (Darmstadt 1991)
gestützt wissen (dort S. 173).
917 habe Regensburg und 948 Köln eine solche "neue Befestigung" erhalten (ema,
S. 158). Die bei Pitz so vorhandene Angabe "917" für Regensburg müßte
nach dem Deutschen Städtebuch eher "um 920" lauten, als Herzog Arnulf die
westliche Vorstadt Regensburgs ummauern ließ. Damit wurde die jüngere Vorstadt
mit dem frühmittelalterlichen Regensburg zusammengebunden, welches sich innerhalb
der noch erhaltenen Römermauern befunden hatte.
Die neue Befestigung, die Pitz für 948 zu Köln beschreibt, waren Wall
und Grabenanlagen beiderseits der neuen Marktvorstadt, die im 10. Jahrhundert
zwischen dem alten, innerhalb der Römermauern befindlichen Köln und dem Rhein
eingerichtet worden war. Das römische Köln bzw. dessen Mauern reichten westlich
bis etwa zur Linie Gürzenich-Dom. Das Gebiet von dort bis zum Rhein war Überschwemmungszone
gewesen. Der Rhein hatte als Handelsstraße erst seit dem Hochmittelalter größere
Bedeutung erlangt, die Römer hatten vorwiegend Landstraßen benutzt.
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