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KULTURPOLITIK I HUMBOLDTFORUM

Im Juni 2010 hat die Bundesregierung beschlossen, den Baubeginn für das Humboldt-Forum im Berliner Schloss um drei Jahre zu verschieben. Dadurch soll der Bundeshaushalt um 400 Millionen Euro entlastet werden. Was bedeutet das für die Kultur in Berlin?

Schlossplatz der Gaukler


von Michael Bienert

Von einem Baustopp auf dem Berliner Schlossplatz ist am Tag nach der Sparklausur der Bundesregierung nichts zu spüren. Zwei Bagger schlenkern fröhlich ihre bunten Greifarme unter einem Bauschild der Wasserbetriebe. Ein gelber Kran hievt Betonfertigteile mit rautenförmigen Fensterausschnitten auf den Rohbau der Humboldt-Box, die im Dezember eröffnet werden soll. Das temporäre Informationsgebäude zum Bauprojekt Humboldt-Forum wird fünf Stockwerke, Dachterrasse, Café und 3000 Quadratmeter  Ausstellungsfläche haben. Es könnte nun wohl ein paar Jahre länger stehen bleiben und den Platz mit Riesenplakatwerbung verunzieren. Wer von der Allee Unter den Linden auf den Schlossplatz zusteuert, den empfängt dieser Tage die Parole „Wir machen morgen möglich“. Klingt wie Parteienwerbung, ist aber Großreklame für „intelligente Prozessoren mit Wow-Faktor“. Genau das, was in der Politik gerade schmerzlich fehlt.

Wer sich der Boxbaustelle von der anderen Seite nähert, sieht schon das Stadtschloss als Fata Morgana: aufgemalt auf Plastikplanen, hinter denen der Förderverein um Spenden für die barocke Fassade wirbt. 80 Millionen Euro soll sie kosten, mit 12,7 Millionen beziffert der Verein seine bisherigen Einnahmen. Wären die Spender nicht so zögerlich gewesen, hätte die Bundesregierung wohl kaum den Mut gehabt, das Projekt auf die lange Bank zu schieben. Nun will der Initiator Wilhelm von Boddien „wie ein Berserker“ für seinen Lebenstraum kämpfen.

Nebenan schwitzen einige Archäologen unter der prallen Sonne. In der sandigen Ausgrabungsstätte unter dem ehemaligen Parkplatz des Palastes der Republik haben sie eine kunstvoll gemauerte Wölbung freigelegt, vielleicht einen geheimen Gang oder Heizungskanal in den Kellern des zu DDR-Zeiten gesprengten Stadtschlosses. Unglaublich, wie viel originales Schloss in den vergangenen Monaten aus dem Boden aufgetaucht ist. Säulenfragmente und behauene Sandsteinbrocken liegen auf Holzpaletten zwischen Erdhaufen. Bisher waren diese Funde vor allem ein lästiges Problem für die Planer des Humboldt-Forums. Dessen Statik ist mit dem Erhalt der Originalsubstanz schwer zu vereinbaren. Die Verschiebung des Baubeginns um mindestens drei Jahre lässt Zeit, diese Funde neu zu bewerten und in die Planung einzubeziehen.

Wo der Palast der Republik stand, dehnt sich jetzt grüner Rasen bis zur Spree, durchschnitten von Holzbohlenstegen, auf denen man bequem flanieren, sitzen und liegen kann. Ein Pärchen packt die Federballschläger aus, ein Gaukler übt mit nacktem Oberkörper das Jonglieren mit drei Bällen, eine Gruppe Frauen stellt sich im Kreis auf und schwenkt gymnastisch bunte Fähnchen. Dass die Begeisterung der Berliner Bevölkerung für den Schlossbau einen Tiefpunkt erreicht hat, dass ihn nach Umfragen 80 Prozent für verzichtbar halten, hat viel mit der Verwandlung des Bauplatzes seit letzten Sommer zu tun. Nach Plänen des Landschaftsarchitektenbüros „Relais“ ließ ihn die Senatsbauverwaltung für 1,3 Millionen Euro provisorisch herrichten. Mit minimalem Aufwand entstand ein zwangloser Aufenthaltsort mit enormem Schauwert. Wie in einem Rundpanorama aus Schinkels Zeiten schweift der Blick ins Weite zur Schlossbrücke, zum Zeughaus, Alten Museum, Fernsehturm, Rathaus, Nikolaiviertel, Marstall und Außenministerium, streift dabei den protestantischen Dom, die katholische St. Hedwigs-Kathedrale, Friedrichswerdersche und Marienkirche.

In dieser Gestalt ist der Schlossplatz mehrheitsfähig geworden, zumindest vorläufig. Länger als ein Jahrzehnt war die unzugängliche Asbestruine des Palast des Republik eine gruslige Dauerbaustelle, die bloß eine kunstbegeisterte Minderheit faszinierte. Daher war der Wunsch nach Veränderung groß. So wie es jetzt ist, kann es ruhig ein paar Jahre bleiben. Das Gelände muss nicht gleich wieder abgesperrt, umgepflügt und mit einer Schlossfassade zugebaut werden.

Die große Koalition für das Humboldt-Forum ähnelt frappant der Regierungskoalition im Bund: Im Zweckbündnis von Schlossfreunden und Kulturvisionären, die einen ganz neuen Raum des Austausch für das 21. Jahrhundert schaffen wollen, interessieren sich beide Parteien nicht wirklich für die Anliegen der anderen. Deshalb ist die Schlosskoalition so schwach, dass die Regierung sich traute, das Prestigeprojekt Humboldt-Forum anzutasten. In ihrem Sparplan schlägt der Aufschub mit 400 Millionen Euro Haushaltsentlastung in den kommenden vier Jahren zu Buche. Der Berliner Senat und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz allerdings bezweifeln diesen Einspareffekt, denn an anderer Stelle entstehen neue Kosten. Am härtesten trifft die Verschiebung des Baubeginns für das Humboldt-Forums die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Deren Umzug an den Schlossplatz wurde bereits 1999 beschlossen. Schon damals war der Dahlemer Museumskomplex extrem sanierungbedürftig, seitdem wurde nur noch das Nötigste repariert. Der Investitionsstau wird auf 150 bis 300 Millionen Euro geschätzt. Das Humboldt-Forum im Schloss sollte 552 Millionen Euro kosten, wäre also erheblich durch die Aufgabe des Standorts in Dahlem mitfinanziert worden. Wird am Schlossplatz später oder gar nicht gebaut, dann müsste der Bund anderswo viel Geld investieren, um die außereuropäischen  Sammlungen angemessen unterzubringen. Allein das Ethonologische Museum besitzt über 500.000 Objekte. Außerdem sind bereits erhebliche Kosten für die Vorarbeiten zum Humboldt-Forum aufgelaufen.

400 Millionen Euro Einsparung sehen rein rechnerisch nach einem stattlichen Brocken aus. Er wäre aus dem überschaubaren Etat des Bundeskulturministers von 1,2 Milliarden im Jahr kaum herauszubrechen gewesen, ohne einen Flurschaden in der ganzen Republik anzurichten. Dass Bernd Neumanns in den letzten Jahren stetig gewachsener Etat auf diesem Niveau eingefroren wird, dass der Kultur vom Bund vorerst kein Sparbeitrag abverlangt wird, diese frohe Botschaft droht in der Aufregung um das Schlossgespenst völlig unterzugehen.

Was dies für die Hauptstadt bedeutet, wird klar, wenn man nur die großen Berliner Kulturereignisse der vergangenen Wochen Revue passieren lässt. Anfang Mai besuchte die Bundeskanzlerin die Freiluftausstellung zur friedlichen Revolution auf dem Alexanderplatz, eröffnete der Bundespräsident den Neubau der „Topografie des Terrors“, feierte das Holocaust-Mahnmal seinen fünften Geburtstag. Es folgten das Theatertreffen, die Einweihung eines neu gestalteten Abschnitts der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße, der Umzug der Staatsoper in Schiller-Theater, damit im Haus Unter den Linden die 250 Millionen teure Sanierung beginnen kann. Erst am vergangenen Freitag wurde in Sichtweite des Schlossplatzes der prachtvoll restaurierte Kolonnadenhof auf der Museumsinsel eingeweiht. In deren Sanierung investiert der Bund über eine Milliarde Euro. Er finanziert Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau und Jüdischen Museum, Projekte der Bundeskulturstiftung und des Hauptstadtkulturfonds. Ein Drittel aus dem Etat des Bundeskulturministers fließt nach Berlin. Rechnet man Kosten für Berliner Bauprojekte dazu, gibt der Bund für Kultur in der Hauptstadt eher mehr Geld aus als der Berliner Senat.

Wenn nun Berliner Politiker oder Monika Grütters (CDU), die Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, klagen, der Aufschub des Schlossbaus sei ein „Armutszeugnis“, ist das im Wortsinn richtig, doch mit diesem Armutszeugnis lässt es sich immer noch ganz gut leben. In der übrigen Republik versteht ohnehin keiner, warum das Humboldt-Forum zum Jahrhundertprojekt der Kulturnation hochgejubelt wurde. Es gibt bisher nur Absichtserklärungen, keinen Entwurf, der diesen Anspruch eingelöst und für allgemeine Begeisterung gesorgt hätte. Das Projekt auf dem Schlossplatz war vor allem eine Spekulationsblase. Die ist nun geplatzt.

Statt einem Schlosskompromiss nachzutrauern, den keiner der Befürworter wirklich wollte, täte die Politik gut daran, eine Art Insolvenzverfahren einzuleiten. Die Verzögerung des Baubeginns bietet die Gelegenheit, alle Argumente, Planungsergebnisse, Ideen für diesen Ort noch einmal an den Realitäten zu überprüfen. Welche sind überlebensfähig, wovon sollte man sich trennen? Und wenn jetzt kein echter gesellschaftlicher Konsens über einen Ersatzbau für das verlorene Schloss zu erzielen ist, dann kann man ihn auch späteren Generationen überlassen.
Der Senat hat bewiesen, dass man den Schlossplatz auch mit wenig Geld zu einem interessanten Aufenthaltsort machen kann. Jetzt müsste der Senat endlich auch Mitverantwortung für die privat finanzierte temporäre Kunsthalle am Schlossplatz übernehmen. Vor zwei Jahren eröffnet, soll sie Ende August für immer schließen, obwohl es dafür nun keinen zwingenden Grund mehr gibt. Zum Abschied hat der Künstler Carsten Nicolai den Kubus mit einer weißen Kunststoffhaut überzogen. Die Besucher erhalten bunte Aufkleber und können sie mit Hilfe einer Hebebühne beliebig an der Fassade platzieren. Das Schlossareal als demokratische Spielwiese, das mag für die Liebhaber von Jahrhundertprojekten ein Alptraum sein, aber es hat mehr Charme als alle bisherigen Planungen.


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 10. Juni 2010



© Text und Fotos: Michael Bienert













 Michael Bienert

 Stille Winkel an der
 Berliner Mauer

 Ellert & Richter Verlag
 Hamburg 2009
 ISBN:
 978-3-8319-0365-8

 144 Seiten mit
 23 Abbildungen
 und 2 Karten
 Format: 12 x 20 cm;
 Hardcover mit
 Schutzumschlag
 Preis: 12.95 Euro
 


 
 
 

 










 

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