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DIE AUSSTELLUNG ÜBER DAS HUMBOLDT-FORUM

"Anders zur Welt kommen"


von Michael Bienert

Der tropisch feuchte Frühsommer hat dem Rollrasen gut getan, der die umstrittenste Baustelle der Republik befrieden soll. Ab morgen dürfen die von Holzbohlenwegen durchschnittenen Rasenflächen auf dem Berliner Schlossplatz betreten werden. Ein öffentlicher Raum von gepflegter Langweile ersetzt den Palast der Republik, dessen verschwundene Asbestruine als aufregendes Labor der freien Kunstszene in Erinnerung bleibt. Die baum- und strauchlose Grünanlage ist nur eine Zwischenlösung bis zum 2010 geplanten Baubeginn für das Berliner Schloss. So dürftig sie wirkt, so grandios ist das Stadtpanorama um den leer geräumten Platz. Fernsehturm, Rathaus, Schlossbrücke, Museumsinsel, Zeughaus, Staatsratsgebäude und alle Kirchtürme der Innenstadt rahmen ihn ein. Spontan wünscht man sich statt des öden Rasenparterres zwischen den Spreearmen einen See in der Mitte der Stadt. Ist es denn wirklich so eine gute Idee, hier wieder einen riesigen Steinkasten reinzubauen, so wie einst die Hohenzollernfürsten, die ihr Schloss gegen den Unmut der Berliner Bevölkerung und den sumpfigen Baugrund durchsetzten? Noch weht eine frische Brise über den Schlossplatz, noch fliegen die Gedanken, noch darf geträumt werden.

Die Hoffnung, dass an diesem Ort etwas Außerordentliches und Zukunftweisendes entstehen könnte, hält sich zäh. Nach den Voten einer Wettbewerbsjury und des Bundestages für einen Wiederaufbau der barocken Schlosshülle unter Leitung des Italieners Franco Stella im letzten Jahr lastet der Erwartungsdruck nun auf den künftigen Nutzern. Die Staatlichen Museen zu Berlin, die Humboldt-Universität und Landesbibliothek wollen das geplante Humboldt-Forum zu einem Ort des kulturellen Dialogs von weltweiter Bedeutung machen. Die Vision geht weit über die Ursprungsidee hinaus, die Berliner Museumsinsel auf dem Schlossareal durch eine Präsentation der außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu erweitern. Das war ein kluger und bescheidener Ansatz, der aus einer verfahrenen städtebaulichen Diskussion herausführte. Inzwischen ist die Rede vom „bisher bedeutendsten kulturellen Bauvorhaben der Bundesrepublik“ - so formuliert es Hermann Parzinger, der als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bei dem Projekt federführend ist .

Parzinger und seine Mitstreiter träumen von einem Ort der „Gleichberechtigung aller Kulturen“, ja mehr noch, das  Humboldt-Forum antizipiere „einen demokratischen Ort einer künftigen Weltgemeinschaft“. Zumindest der ideologische Überbau ist so weit fortgeschritten, dass eine studentische Initiative an der Humboldt-Uni bereits zum „selektiven Rückbau des Humboldt-Forums“ einlädt - in hübsch ironischer Anlehnung an den als Rückbau verbrämten Totalabriss des Palasts der Republik. Die Studenten fragen nach den kolonialen Verhältnissen, unter denen wenigstens ein Teil der vorhandene 500.000 ethnologischen Schaustücke in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gelangt ist. Sie fürchten, dass die außereuropäischen Kulturen im Schloss neuerlich für die Selbstdarstellung der Deutschen instrumentalisiert werden.

Wie das Humboldt-Forum, dessen Eröffnung für 2014 geplant ist, im Innern aussehen und funktionieren könnte, zeigen die künftigen Nutzer nun in einer Werkstattausstellung im Alten Museum - dem ältesten Berliner Museumsbau und Nachfolger der Kunstkammer, die zuvor im Schloss gegenüber untergebracht war. Dort gab es noch keine klare Trennung und Hierarchie zwischen Kunst- und Naturobjekten, zwischen einheimischer und fremder Kunst. Die barocke Kunstkammer inspirierte den Universalgelehrten Leibniz zur Vision eines „Wissenstheaters“, in dem die Besucher staunen und forschen sollten. Diese Ideen soll das Humboldt-Forum im Schlossneubau aufgreifen - womit eine elegante Brücke geschlagen ist zwischen dem neuen Inhalt und der restaurativen Fassade.

Der erste große Saal im Alten Museum zeigt, wie eine Wunderkammer heute aussehen könnte, hell und luftig, mit ausgestopften Tieren, Videos, Manuskripten und Fundstücken des Weltreisenden Alexander von Humboldt hinter Glas. Im zweiten großen Ausstellungsbereich wandelt der Besucher über eine Weltkarte zwischen den Schaustücken, die zu Themeninseln gruppiert sind. Hinreißend - und auch für Kinder hoch attraktiv - ist eine Sammlung von asisatischen Schiffsmodellen aus dem 19. Jahrhunderts aus Asien. „Bitte öffnen“ steht auf einem Archivschrank, in dessen Schubladen kostbare Stabpuppen aus Java lagern. In einer Ecke sind Dutzende prächtiger Schleier und Kopftücher aus dem Orient ausgestellt, ein Begleittext weist auf die Kontroversen um die Verschleierung in islamischen Gesellschaften hin: ein schönes Beispiel, wie die Ethnologie im Humboldt-Forum zur Aufklärung einer Einwanderungsgesellschaft beitragen könnte.





Der dritte große Saal ist ein großes, weißes Labor, in denen die Besucher den Ethnologen bei der Arbeit zuschauen, fragen stellen und mittun können, oder aber sich in bequemen Lesekojen lümmeln und in Büchern zu ausgewählten Themen der Ausstellung blättern. Ein Raum wie aus einem Science Center, nur werden hier nicht naturwissenschaftliche Erkenntnisse zum Anfassen präsentiert, sondern kulturwissenschaftliche Themen. Ob und wie diese Mischung aus Museum, Forschungslabor und Bibliothek funktioniert - das können die für das Humboldt-Forum Verantwortlichen hier einige Monate lang beobachten. Eine Miniversion des viel größeren Humboldt-Forums sei die Werkstattausstellung im Alten Museum nicht, betonen sie. Aber in ihr gewinnt ihre Vision erstmals sinnliche Präsenz und große Überzeugungskraft. Es darf weiter geträumt, gesponnen und experimentiert werden! Die Chance, dass am Berliner Schlossplatz etwas in die Zukunft Weisendes entsteht, ist noch nicht völlig verspielt.

Anders zu Welt kommen. Das Humboldt-Forum im Schloss. Ein Werkstattblick. Ausstellung bis 17. Januar 2010, Altes Museum, täglich ab 10 Uhr geöffnet.



Zur Ausstellung ist ein zweisprachiges Werkstattbuch erschienen. Es dokumentiert die Vorgeschichte des Humboldt-Forum, angefangen von der kurfürstlichen Kunstkammer im Berliner Schloss bis zum jüngsten Architekturwettbewerb für seinen Wiederaufbau. Auch vehemente Kritiker der „Staatsbonboniere“ (Adrienne Goehler) kommen zu Wort. Erhellend sind die Blicke über Deutschland hinaus, auf ähnlich ambitionierte Museumprojekte in Paris, Peking oder Dubai. Die Diskussion um das Humboldt-Forum besitzt Modellcharakter, auch für kleinere Kulturinstitutionen.

Thomas Flierl, Hermann Parzinger (Hg.): Humboldt-Forum Berlin. Das Projekt. Verlag Theater der Zeit, 288 Seiten, 28 Euro

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG, 9. Juli 2009
© für Text und Fotos: Michael Bienert und Elke Linda Buchholz


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Michael Bienert
Elke Linda Buchholz
Stille Winkel in
Potsdam


Ellert & Richter Verlag

Hamburg 2009

ISBN:
978-3-8319-0348-1

128 Seiten mit
23 Abbildungen und Karte Format: 12 x 20 cm; Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: 12.95 EUR

 



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