Rituale
Erinnerung EK-Lied
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Überlegungen zur EK-Bewegung in der NVA
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54 kb)
In jeder Firma, jedem Handwerk haben die, die schon länger dabei
sind, den Neuen etwas voraus: Erfahrung. Diese Erfahrung bezieht sich nicht nur auf das
unmittelbare "Handwerk", sondern auch in dem Wissen, "wo der Hase lang
läuft". Besondere Bedeutung erlangt diese Erfahrung unter extremen Bedingungen, wie
beim Militär. Vermutlich haben viele den Kriegsfilm "Platoon"
von Oliver Stone gesehen. Dort wird drastisch geschildert, wie junge Soldaten durch die
Älteren "verheizt" werden. Jedes Militär kennt diese besonderen informellen
Beziehungen, in der unterschiedlichsten Ausprägung und Erscheinungsform. In der NVA
firmierte dies unter "EK-Bewegung".
"EK" steht hier für
"Entlassungskandidat". Erste Ansätze wird es bereits in den ersten bewaffneten
Formationen der DDR, wie VP-Bereitschaften, KVP u.ä., noch basierend auf
Erzählungen von der Reichswehr gegeben haben. Aber durch das
Freiwilligenprinzip, wie es auch für die Volksarmee bis 1962 bestimmend war, waren die
Auswirkungen stark gedämpft und sind mit den Erfahrungen in der Endphase der DDR nicht zu
vergleichen. Die EK-Bewegung wurde vor allem von Wehrpflichtigen des dritten (und letzten)
Diensthalbjahres getragen. Vergleichbare Erscheinungen gab es auch bei den Unteroffizieren
(auf Zeit).
Die Stellung eines Soldaten in der informellen Hierarchie leitete sich
aus der Zeit ab, die er noch zu dienen hatte. Im Laufe der Zeit hatte jede Hierarchiestufe
sich ein Arsenal an Ritualen, Bräuchen, Erkennungszeichen, Redensarten und
Symbolen
geschaffen. Mit der Zugehörigkeit zur jeweiligen Hierarchiestufe waren bestimmte Rechte
und Pflichten verbunden. An der Spitze stand der Entlassungskandidat ("E" oder
"EK"), dem die anderen Diensthalbjahre zu gehorchen hatten. Ein damals
geläufiger Spruch lautete: "Der E denkt, der Vize lenkt und der Spritzer
rennt". Einfache Arbeiten, wie das Stuben- und Revierreinigen, blieben dem ersten
Diensthalbjahr, den "Glatten", vorbehalten. Die Führungsarbeit übernahm für
den "E" idealtypisch der Zwischenpisser, denn "der E ist schließlich kein
Reh". Die Schikanen, die "Glatte" ausgesetzt waren, reichten von eher
harmlosen Späßchen wie "Dachsduschen" bis hin zur "Musikbox" (im
Spind stehen und singen) und dem "sibirischen Winter" (Reinigen des mit
Scheuerpulver bestreuten Fußbodens).
Die häufigste Erscheinungsform in der Öffentlichkeit waren ihre
speziellen Erkennungsmerkmale, wie das Zeigen des Bandmaßes (noch so viele Tage), das
Anfertigen besonderer "EK-Souvenirs" aus Schulterstücken, Kragenbinden,
Taschentüchern Bindern usw.
Das "Heiligste" war jedoch der Besitz des
Bandmaßes. Das Abschneiden jedes Zentimeters ab dem 150. Tag vor der Entlassung war das
Symbol des EK. Allgemein üblich war das sog. "EK-Kegeln", d.h. eine
entsprechende Kugel durch den häufig langen Flur der Unterkunft zu rollen. Dabei ging
manche Tür oder Kachel zu Bruch. Verblieben die Exzesse im Rahmen eines
Jung-Männer-Ulkes, der für sensible Gemüter nichts war, war dies regelmäßig
folgenlos. Sachbeschädigungen wurden immer geahndet und Beschwerden Betroffener verfolgt!
Die EK-Bewegung wurde grundsätzlich von allen (auch den Offizieren) akzeptiert und
"nur" die Auswüchse unterdrückt.
Der EK stellte im Innendienst eine beachtenswerte Macht dar, ohne dem
vieles - insbesondere das Halten der Alarmzeiten - undenkbar gewesen wäre. Nicht selten
wurde die faktische Führung in den Einheiten nach Dienst von den Angehörigen des dritten
Diensthalbjahres übernommen. Folglich wurden bereits 1968 in der NVA die ersten Reservistentücher und -geschenke ausgegeben und
Reservistenabzeichen verliehen.
Nehmen wir einen alltäglichen Vorgang, wie er Mitte der
80er Jahre des 20. Jahrhundert in den LSK/LV vorkam. Es ist gegen Ende einer der drei
12-Stunden-Flugschichten in der 6-Tage-Woche, als eine "BK-1 Maschine" mit
Defekt vom letzten Flug zurück kommt. Diese Maschine muß jedoch spätestens 30 Minuten
nach Alarmierung in voller Bewaffnung zur Erfüllung des Auftrages gestartet sein. Also
wird ein kleines Team mit erfahrenen Genossen zusammengetrommelt, um den Fehler zu
beseitigen. Nach x-Stunden ist es geschafft, die Beteiligten können in ihre Quartiere und
brauchen "erst" 9h nach Ende der Arbeit wieder zum Dienst erscheinen ... und
jetzt kommt so ein erfahrener Unteroffizier in die Unterkunft und der UvD oder sonst wer,
begrüßt ihn mit: "Du mußt noch dein Naßrevier reinigen!" - Undenkbar! Auch
wenn es sicher vorgekommen ist. Natürlich mußte ein "junger Genosse" diese
Aufgabe erledigen. Und da so etwas - und vergleichbares - häufig vorkam,
ritualisierte es sich.
Im Laufe der Zeit und abhängig von Teilstreitkraft,
Waffengattung und Einheit gab es gewaltige Unterschiede in der Ausprägung der
EK-Bewegung. Viele "Verletzungen der sozialistischen Beziehungen" nahmen in der
EK-Bewegung ihren Anfang. Dazu gehören allgemeine Disziplinverletzungen aber vor allem
entwürdigende bis zu sadistischen Vorgängen im Umgang, insbesondere des 1.
Diensthalbjahres, alles häufig in Verbindung mit (dem in der Kaserne verbotenen) Alkohol.
Gegen schwerwiegende Vorkommnisse wurde disziplinarisch aber auch strafrechtlich
vorgegangen! Dienst in der Disziplinareinheit oder Strafvollzug verlängerte die Dauer des
Wehrdienstes.
Aber nicht nur objektive, sondern auch subjektive
Umstände führten zur unterschiedlichen Wahrnehmung der EK-Bewegung: Der Grundwehrdienst
wurde ohne Ansehen der Person geleistet, also Abiturient neben 8-Klassen-Schüler, der
Hilfsarbeiter neben den angehenden Hochschuldozenten oder Künstler. Nun haben solche
informellen Hierarchien die Angewohnheit, dass die Führerschaft eher dem zuwächst, der
die meisten Muskeln und weniger dem der den meisten Grips hat. Ein Zustand, den die
meisten mit der Schulzeit als überwunden betrachteten. Und das der 2x vorbetrafte
Dorfschläger mit der EK-Bewegung deutlich besser zurechtkam, als andere ist naheliegend.
Darin könnte ein Grund liegen, daß in technischen Einheiten die EK-Bewegung weniger
wahrgenommen wurde - hier zählte wieder Grips bzw. handwerkliche Fähigkeiten.
Die EK-Bewegung ist m.E. nicht zuletzt der über Jahrzehnte hohen
Anforderungen an die Gefechtsbereitschaft und der vergleichsweise schlechten Arbeits- und
Lebensbedingungen geschuldet und daher auch nur in diesem Zusammenhang zu würdigen. Zur
Entwicklung und Festigung der EK-Bewegung trug dessen "demokratisches Prinzip"
bei, daß darin bestand, daß jeder einmal zum E wurde. Wer jedoch aus der Gruppe
ausscherte und nicht "mitspielte", hatte einen schweren Stand.
Im 51. "Kanonier", eine
Zeitschrift der "13er" finden sich u.a. sehr gute
Ausführungen zum Thema von Burghard Keuthe:
(download 1,8 MB)
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