Bausoldaten
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Episoden

Am 24. Januar 1962 wird in der DDR die Wehrpflicht eingeführt. Mit den am 07.09.1964 durch Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates (GBl. I, S. 129) geschaffenen Baueinheiten im Bereich des Ministeriums für Nationale Verteidigung wird ein waffenloser Wehrersatzdienst für diejenigen möglich, die "aus religiösen Anschauungen oder aus ähnlichen Gründen den Wehrdienst mit der Waffe ablehnen".

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Die ersten 220 Bausoldaten wurden im November 1964 eingezogen. Die Bausoldaten waren in besondere militärische Einheiten zusammengefaßt und unter Leitung von "normalen" Offizieren und Unteroffizieren der NVA z.T. direkt an militärischen aber auch zunehmend an zivilen Bauvorhaben eingesetzt. Ihr Dienstgrad war "Bausoldat" ohne Beförderungs- (oder Degradierungs)möglichkeit. Das äußere Zeichen war der Spaten auf dem Soldatenschulterstück - daher auch die landläufige Bezeichnung als "Spatensoldaten". Sie leisteten kein Fahneneid sondern ein Gelöbnis [externer Link].

Ihr Dienst dauerte die gleiche Zeit, wie der „normale“ Grundwehrdienst - 18 Monate. Die Ausbildung kann wie folgt zusammengefaßt werden:

* Staatspolitische Schulung sowie Schulung über gesetzliche und militärische Bestimmungen
* Exerzierausbildung ohne Waffe und Militärische Körperertüchtigung
* Pionierdienst und spezialfachliche Ausbildung
* Schutzausbildung und Ausbildung in der ersten Hilfe

Dabei lag der Schwerpunkt ihres Wehrersatzdienstes weniger in der (Grund-) Ausbildung, die oft nur 14 Tage oder weniger dauerte, sondern mehr in der Arbeitsleistung.

Die normale Verweigerung (Bausoldat) wurde "einfach" beim Wehrkreiskommando (WKK) erklärt. Es gab keine weiteren Formalitäten, Gewissensprüfung o.ä. - es war ein Rechtsanspruch der genutzt wurde. Trotz des Rechtsanspruches war dessen Wahrnehmung keine einfache Sache: Naheliegend wurden die Verweigerer durch die "zuständigen Organe" verbal unter Druck gesetzt und schikaniert, mit dem Ziel sie von ihrer Entscheidung wieder abzubringen.

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Von der Möglichkeit waffenlos als Bausoldat zu dienen machten ursprünglich je Einberufungsjahrgang ca. 400, später bis zu 1.000 Wehrpflichtige Gebrauch. Während die Anzahl der Erklärungen für einen waffenlosen Dienst von 1964 bis 1976 etwa gleich bleibend war, hatte sie in den Jahren 1977 bis 1979 und vor allem ab 1980 eine stark steigende Tendenz. Insgesamt dienten zwischen 1964 und 1990 etwa 12.000 bis 15.000 als Bausoldaten. In diesem Zeitraum dienten ca. 2 bis 3 Millionen Wehrpflichtigen, d.h. deutlich weniger als ein Prozent gingen als Bausoldat zur NVA. Eine Analyse der sozialen Struktur dieses Personenkreises durch das MfS ergab, dass er sich zu ca. 80 % aus den Söhnen von Handwerkern zusammensetzte sowie aus Personen, die beabsichtigten eine kirchliche Laufbahn einzuschlagen.

Ursprünglich gab es bei den beiden Militärbezirken und den Teilstreitkräften je ein Baupionierbataillon. Ab 1974 wurden die Bausoldaten überwiegend dezentral - in Stäben, Schulen oder beim Bau von Erholungsheimen und Krankenhäusern - eingesetzt. Auf Grundlage des Befehls 11/83 des Ministers für Nationale Verteidigung erfolgte seit der Einberufung November 1982 wieder der konzentrierte Einsatz von Bausoldaten in Baueinheiten. In den 80er Jahren war Prora (Insel Rügen) mit der Baueinheit-2, Einsatzbereich: Fährhafenbau Mukran, der größte Bausoldatenstandort. Ab 1983 waren dort durchschnittlich 360, Ende der 80er bis zu 600 Bausoldaten stationiert. Im Krisenjahr 1989 waren allein in der chemischen Industrie des Bezirkes Halle ca. 1.600 Bausoldaten eingesetzt, wovon 500 in Buna arbeiteten. Der Bestand an Bausoldaten war inzwischen auf insgesamt 2.142 angestiegen, davon dienten 1.304 in den dem Ministerium für Nationale Verteidigung und 90 bzw. 91 dem Militärbezirken III bzw. V direkt unterstellten Einheiten sowie 348 bei den Landstreitkräften, 248 bei den LSK/LV und schließlich 61 bei der Volksmarine.

Auch die Motivation als Bausoldaten zu dienen änderte sich im Laufe der Zeit. Während bis in die 70er Jahre noch vorrangig religiös motivierte Wehrpflichtige aus den evangelischen Landes- und Freikirchen als Bausoldaten dienten, waren es ab ab Mitte der 80er Jahre überwiegend Menschen, die die DDR als Staat ablehnten, darunter viele mit laufenden Anträgen zur ständigen Ausreise. Im Mai 1988 wurden aus Veranlassung des MfS sogar rd. 700 Wehrpflichtige nicht zum Dienst in den Baueinheiten herangezogen, da u.a. Befehlsverweigerungen und "demonstrative Handlungen" erwartet wurden.

Die Propagierung des Wehrersatzdienstes erfolgte vorrangig durch die evangelischen Kirchen in der DDR. So wurde bereits 1965 ein Papier, die sog. "Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen zum Friedensdienst der Kirche" in Umlauf gebracht. In den folgenden Jahren nahm die Beratung von Wehrpflichtigen durch Mitarbeiter der Kirche zunehmend organisierte Formen an. Am 7. und 8. November 1970  fand erstmalig eine Zusammenkunft von ehemaligen Bausoldaten unter der Bezeichnung "Arbeitskreis für Friedensarbeit in der DDR" im Gemeindesaal der Bartholomäusgemeinde in Berlin statt.

 

Ergänzungen

Außenpolitische Rahmenbedingungen
Die DDR war bis zuletzt das einzigste sozialistische Land, in dem ein Dienst ohne Waffe möglich war. Der Ersatzdienst in Baueinheiten wurde bereits kurz nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht eingeführt. Erst 1970 nahm sich die UN-Menschenrechtskommission des Themas "Wehrdienstverweigerung" unter dem Tagesordnungspunkt "Die Rolle der Jugend bei der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte, einschließlich der Frage der Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen" an. Dabei hatte die Parlamentarische Versammlung des westeuropäischen "Europarats" ihre erste Resolution und Empfehlung zum Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen 1967 (Resolution 337 und Empfehlung 478) verabschiedetet, gefolgt von Empfehlung 816 im Jahr 1977. Erst am 29. Juni 1990 wurde durch das Schlussdokument des Kopenhagener Treffens der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa folgendes formuliert: "... die Einführung verschiedener Formen des Ersatzdienstes zu erwägen, die mit den für die Wehrdienstverweigerung geltend gemachten Gewissensgründen vereinbar sind, wobei diese Arten des Ersatzdienstes grundsätzlich nicht-kriegsdienstlicher beziehungsweise ziviler Natur sind, im Interesse der Öffentlichkeit stehen und keinen Strafcharakter haben". Mithin entfiel es für die DDR die Einführung eines Ersatzdienstes "grundsätzlich ziviler Natur" zu "erwägen".

Totalverweigerer
In geringerer Anzahl, je Einberufungsjahrgang ca. 100 Personen, traten sog. Totalverweigerer auf, Personen, die jeden Wehrdienst verweigerten und dafür eine Haftstrafe in Kauf nahmen. Bereits vom ersten zur NVA einberufenen Jahrgang traten etwa 2 (zwei) eine Haftstrafe von 4 bzw. 7 Monaten wegen Wehrdienstverweigerung an. In der Mehrzahl handelte es sich bei Totalverweigeren um Angehörige der Sekte "Zeugen Jehova". Die Haftstrafen betrugen grundsätzlich   zwischen 20 bis 24 Monate und bei Verweigerung des Reservistendienstes zwischen 4 bis 9 Monaten. Im November 1985 wurden alle Totalverweigerer aus der Haft entlassen - von diesem Zeitpunkt an wurde dieser Personenkreis grundsätzlich nicht mehr einberufen bzw. für die Totalverweigerung bestraft. Das führte dazu, daß die Totalverweigerung zu Methode der Wahl wurde. Die Propagierung der Totalverweigerung erfolgte ebenfalls unter dem Dach der evangelischen Kirche. Im Mai 1988 fand in Berlin-Schmökwitz das vom "Freundeskreis der Totalverweigerer" organisierte 1. DDR-weite Wehrdienstverweigerertreffen, ein zweites im Mai 1989 in Kirchmöser statt. Die Anzahl der Totalverweigerer stieg zuletzt auf ca. 2.000 Personen eines Einberufungsjahrganges, mit weiter steigender Tendenz. Insgesamt wurden rd. 7.500 Totalverweigerer in weniger als dreißig Jahren gezählt.

Zwischen 1964 und 1989 standen insgesamt 3.144 Wehrdienstverweigerer vor DDR-Gerichten.

 

Als Sammelpunkt für alle ehemaligen Bausoldaten versteht sich die Website von Bernhard Wagner, Aufzeichnungen eines Leutnants bei den Spatis finden sich bei den Episoden FRR-13.

verwendete Literatur

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Militärflugplätze der NVA