"Vom
Anruf zur These" (Illig-ema(9-11))
Illig benutzt als Aufhänger für seine These ein Zitat, das
er einem von Horst Fuhrmann unter dem Titel "Von der Wahrheit der
Fälscher", gehaltenen Referat entnahm. Das Referat war auf einem
Kongreß über "Fälschungen im Mittelalter"
gehalten worden, der 1986 stattgefunden hatte. Die Referate
dieses Kongresses sind in 5 Bänden der Reihe "Schriften der MGH"
(1) abgedruckt.
Das Fuhrmann-Referat war eines der Einführungsreferate und ist im
ersten der 5 Bände auf S. 83-98 gedruckt.
Illig berichtet, die Fuhrmann-Formulierung von einem "von der Entstehungszeit
her gesehen, antizipatorischen [d.h. vorwegnehmenden - DL] Charakter"
der Fälschungen habe ihn irritiert. Die Irritation scheint so stark
gewesen zu sein, daß er nicht mehr imstande war, den Fuhrmann-Text
korrekt aufzunehmen und zu begreifen. Statt sich mit Fuhrmanns Erläuterung
der scheinbar so irritierenden Aussage zu befassen, fährt Illig
fort, führt zwei weitere aus dem Zusammenhang gerissene Zitate
Fuhrmanns an und unterstellt diesem Aussagen, die der gar nicht
getätigt hatte. So will er er Fuhrmann die Aussage unterschieben,
ein Fälscher des 4. Jahrhunderts habe vorausschauend schon für
das 8. Jahrhundert produziert. Offenbar kennt Illig den Unterschied
zwischen Vorausschauen und Vorwegnehmen nicht!
Fuhrmann begründet seine Aussage mit Vorstellungen aus der
Evolutionstheorie, "die auf die Frage, was sich schließlich durchsetze,
die Antwort parat hat: 'Das Recht des Geeigneteren gilt uneingeschränkt'".
So sei bekannt, wie mittelalterliche Autoren manche Schriften für
suspekt (eventuell gefälscht) erklärt hätten, wenn es ihnen
für ihre Zwecke nützlich schien, aber Sätze aus eben diesen
Schriften zitierten, um ihre Behauptungen zu belegen.
Als Beispiel einer antizipierend wirkenden Fälschung bringt Fuhrmann
(ebd., S. 90) die sog. "Pseudo-Isidorischen Fälschungen".
Diese hatten zum Zeitpunkt ihres Entstehens keinen Erfolg, obwohl sie
eine weite Verbreitung erlangt hatten und zahlreiche Abschriften der Urtexte
bekannt sind, die noch zu Zeiten der Urfälschung(en) entstanden waren.
(Hier muß daran erinnert werden, daß zu Zeiten, als es keinen
Buchdruck gab, das Abschreiben eines Textes die Methode war, den Text
zu verbreiten. Daß beim Abschreiben der Texte beabsichtigte und
unbeabsichtigte Verfälschungen auftreten konnten, liegt nahe und
erklärt die hohe Anzahl von (Ver)Fälschungen mit.)
Die "Pseudo-Isidorischen Fälschungen" hatten erst Jahrhunderte später
Erfolg, als sich die Verhältnisse im Vergleich zur Zeit der Fälschung
längst geändert hatten. Jetzt hatten bestimmte Menschen die
Nützlichkeit der Texte für ihre Zwecke erkannt. Diese Zwecke
müssen aber nicht mit den Absichten der Verfasser der Fälschung
übereingestimmt haben. Von Fälschern, welche die Bedürfnisse
nachfolgender Generationen vorhersahen, wie Illig (ema, S. 10)
unterstellt, war also gar nicht die Rede.
Den "gar so klugen Fälschern" stellt Illig seine eigene Person
als "gewitzt" gegenüber. Nach diesem (unfreiwilligen) Witz gelangt
er flugs zu einer "gefälschten Chronologie". Seine Scheinfrage:
"Könnte der jahrhundertelange Abstand zwischen Fälschung und Einsatz
der Fälschung, der mit 'Antizipation' erklärt werden mußte, einfach daraus
resultieren, daß auch hier die beiden Ereignisse nahezu zeitgleich waren,
aber von einer fehlerhaften Chronologie getrennt wurden?"
(S. 11) zielt offenbar völlig ins Leere, da sie an falsche Vorstellungen
geknüpft ist und von ihm selbst fälschlich konstruierte Sachverhalte zur Voraussetzung
hat.
M.E. zeigt sich schon hier beim einführenden Aufhänger, wie
Illig durch Unterschlagung von Textinhalten die Aussagen der angeblich
zitierten Autoren verfälscht und Teilaussagen für seine Zwecke
mißbraucht. Seine Vorgehensweise ähnelt in auffallender Weise
derjenigen der Fälscher bzw. der Personen, die sich Aussagen der
Fälschungen zunutze machten.
(1) Fälschungen im Mittelalter. Internationaler
Kongress der Monumenta Germaniae Historica, München 16.-19. Sept.
1986. - Hannover 1988 (MGH, Schriften; 33, I-VI) [der 6.Band enthält
das Register] - ISBN des Gesamtwerks: 3-7752-5155-3 - vgl. das MGH-Reihenverzeichnis
(dort die Nr. 33) (zurück zum Text)
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