F-104G
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Der Flug von zwei F-104G der Bundesluftwaffe über die FuTK-289 (Banzin/ Hagenow)
- Zeitzeugenbericht -

Starfigther der Bundeswehr mit US-amerikanischer Atombombe (hier: Attrappe)»Die Funktechnische Kompanie 289 (FuTK-289; Banzin), ca.15 km östlich von Boizenburg / Elbe, gehörte bis zum Jahr 1970 / 71 zum Bestand des Funktechnischen Regiments 2 (FuTR-2) der 3. LVD. Der Stab befand sich in Trollenhagen / Neubrandenburg. Sie gehörte auf Grund ihrer Lage zu den FuTK der 1. Linie. Ausgerüstet mit den Funkmeßstationen (FuMS) P-15 AMU und zwei P-12, arbeitete sie seit 1963 zur Luftraumaufklärung (LRA) im Diensthabenden System (DHS) der Luftverteidigung der DDR. Sie verfügte über keinen Höhenmesser (PRW) und auch nicht über das Objekt Wosduch 1M (AFS). Zunächst möchte ich zum besseren Verständnis einige wenige Vorbemerkungen zur Gefechtsarbeit im DHS für die Leser machen, die mit dieser Problematik wenig vertraut sind.

Die Plangrafik zur LRA im DHS war abgestimmt mit den FuTT der "Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland" (GSSD) und gewährleistete die geforderten Parameter des Funkmessfeldes, insbesondere die Untergrenze.

Die Ortung und Begleitung von Flugkörpern in geringen und extrem geringen Höhen entsprechend den taktisch-technischen Daten der jeweiligen FuMS war sicherlich nicht nur für die FuTT/LV ein ernst zu nehmendes Problem. Durch eine Reihe von taktisch-technischen Maßnahmen, insbesondere durch die Einführung neuer FuMT (z.B.ST-68U), wurden die Lücken im Funkmessfeld weiter geschlossen und die Untergrenze weiter gesenkt. Bis zur Auflösung der NVA am 02.10.1990, natürlich geprägt durch die Absichten des „Luftgegners“, das Funkmessfeld zu Unterfliegen, war die Ortung und das Begleiten von Flugkörpern in geringen und extrem geringen Höhen in der Gefechtsausbildung der FuTT/LV immer ein Hauptschwerpunkt. Deshalb gehörte es auch zur gängigen Praxis der NATO, das Luftverteidigungssystem der Staaten des Warschauer Vertrages ständig auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen und Lücken im Funkmessfeld zu erkennen. Wer noch Zweifel an meiner Aussage hat, sollte sich noch einmal die Dokumentation bei ARTE und im MDR aus dem Jahre 2007 “Krieg über den Wolken - Luftspionage über die DDR“ ansehen.

Es war in den Nachmittagsstunden im September 1969, als ich mich zusammen mit dem Schirrmeister KFZ im Gelände der FuTK befand, um die Umstellung der KFZ Technik auf die neue Nutzungsperiode zu kontrollieren. Soweit ich mich noch erinnern konnte, war keine FuMS im DHS eingesetzt. Die Besatzungen befanden sich an der Technik. Der GS der FuTK war mit einer verringerten Diensthabenden Besatzung besetzt.

Ich traute meinen Augen nicht, als seitlich von mir zwei Flugzeuge in etwa 200m Flughöhe auftauchten, die mit einer von mir geschätzten Geschwindigkeit von ca. 650 km / h ihren Flug in Richtung Wittenburg fortsetzten. Deutlich waren die Hoheitsabzeichen am Rumpf der beiden F104G zuerkennen, wie ich sie auch im Frühjahr 2008 beim Besuch des AERONAUTICUM in Nordholz, wo auch das MFG -3 der Bundeswehr liegt, wieder sah.

Details zur Bewaffnung, waren die Flugzeuge mit Raketen oder auch mit Zusatztanks ausgerüstet etc., all diese Fragen konnte ich auch gegenüber der Untersuchungskommission nicht beantworten. Eine solche Situation, bisher noch nicht erlebt während meiner Dienstzeit bei den FuTT/LV, löste sofort die notwendigen Handlungen aus. Beim Lauf zum Gefechtsstand (GS) / FuTK, vorbei an der P-15AMU, erteilte ich an den Stationsleiter (SL), Oberleutnant Hörnke, den Befehl zum Einschalten der FuMS P-15AMU. Nach meinem Eintreffen im GS/FuTK, es waren wohl 30 Sekunden vergangen, löste ich sofort die Bereitschaftsstufe "B-1" aus, rief sofort den Diensthabenden des Gefechtsstandes "DH/GS" der 3.LVD auf der Direktleitung an und informierte ihm über den Überflug der beiden F-104G. Gleichzeitig nannte ich die eingeleiteten Maßnahmen, die alle bestätigt wurden. Nach weniger als 5 Minuten war die P-15AMU einsatzbereit und das Echo lag am Sichtgerät auf dem GS an. Die Aufgabenstellung an den SL lautete: “ LRA von 0 bis 150 Grad, 0 bis 100km“. Weitere Erläuterungen waren nicht erforderlich, denn es handelte sich um eine erfahrende Besatzung. Der Funkorter meldete 5-6 Flugkörper, also ohne Kennung; die sich entweder im KI oder außerhalb befanden. Darunter war auch ein Flugkörper, der sich im Raum Gardebusch befand und einen Westkurs flog. Nach der Bestimmung der Flugparameter, also Geschwindigkeit, Kurs und der zurückgelegte Wegstrecke, gingen wir davon aus, dass es sich um die beiden F104G handeln könnte. Da wir keinen Höhenmesser (PRW) im Bestand hatten, konnte keine Höhe gemessen werden. Dem Flugkörper mit Westkurs galt ab sofort unsere besondere Aufmerksamkeit. Wir änderten die Informationsperiode auf 30Sekunden und den Index auf Befehl des GS/3.LVD.

Der Flugkörper mit Westkurs setzte den Flug fort. Nach Verlassen der Auffassungszone der FuMS P-15 AMU meldeten wir den Flugkörper ab. Kurze Zeit später erhielten wir den Befehl zum Ausschalten der FuMS P-15. Parallel meldeten wir auch in dieser Zeit die Luftlage an den GS/FuTK-288 und informierten sie auch über alle Besonderheiten.

Kurz nach dem Ausschalten der FuMS P-15 AMU teilte mir der K-FuTR-2 mit, dass sich eine Untersuchungskommission in Marsch setzen wird. Der DO bereitete dafür die Dokumentation vor. Alle Angehörigen der FuTK, die den Flug verfolgt hatten, wurden aufgefordert, durch eine Niederschrift ihrer Beobachtungen darzulegen. Rückfragen mit der 614.FuTK (Badekow) und der 612.FuTK(Hagenow) der GSSD, sie gehörten zur 40. FuTBr. (Wittstock), waren nicht vorgesehen. Man kann davon ausgehen, dass auf höheren Führungsebenen dazu der Informationsaustausch erfolgte.

In den Abendstunden traf die Kommission des FuTR-2 ein und es begann die Untersuchung.

Im Wesentlichen wurden die oben genannten Ausführungen bestätigt. Alle beteiligten Angehörigen der FuTK wurden besonders nach dem Flugzeugtyp, nach Zeichen auf dem Flugzeug, nach dem Farbanstrich, zur Bewaffnung und den Aufhängungen unter den Tragflächen befragt. Die Ortung des Flugkörpers im Raum Gardebusch mit Kurs in Richtung West wurde laut Dokumentation so zur Kenntnis genommen. Ob es sich um die beiden Flugkörper handelte, die unsere FuTK überflogen, darüber erhielt ich nie eine Information.

Im Befehl des K-FuTR-2, der kurz darauf eintraf, wurden die vorbildlichen Leistungen der Angehörigen der FuTK-289 besonders gewürdigt. Es war auch festgelegt, wie mit diesem Flug der beiden F-104G umzugehen ist und welche Schlussfolgerungen zur weiteren Erhöhung der Qualität der Gefechtsarbeit zu ziehen sind.

Jedenfalls nicht in der „Aktuellen Kamera“ und auch nicht im "Neuen Deutschland" und der örtlichen Presse fand dieser Einflug statt. Deshalb ist dieser Luftraumverletzung wie auch viele andere auch, die ich selbst erlebt habe und darüber auch Zeitzeugenberichte geschrieben habe, in keiner Statistik erfasst.

Die eigentlich wichtigste Frage, war dieser Flug der beiden F-104G ein Test des Luftverteidigungssystems der DDR oder haben sich Piloten der Bundesluftwaffe wieder einmal verflogen, kann jeder für sich beantworten. Die Dokumentation „Krieg über den Wolken - Luftspionage über der DDR“, die zahlreichen monatlichen Flüge von Aufklärungsflugzeugen der NATO über der BRD und der Ostsee und die zahlreichen Verletzungen des Luftraumes der DDR sprechen eher nicht für die Variante „Vom Verfliegen“. Den möglichen Abschuss eines Luftfahrzeuges nahm man dabei schon in Kauf. Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte ist der Abschuss der RB-66 am 10. März 1964 gegen 17.00 (MOZ) Uhr nördlich von Gardelegen, worüber ich auch auf dieser Internetseite berichtet habe.

In eigener Sache:
Die im Zeitzeugenberichte geäußerte Auffassung zum Flug der beiden F-104G der Bundeswehr ist ausschließlich meine persönliche Meinung Die genaue zeitliche Einordnung konnte ich trotz Rücksprache mit einer Reihe von Zeitzeugen von ehemaligen Angehörigen der FuTK-289 (Banzin) nicht vornehmen.

Angaben zu den taktisch-technischen Daten der Funkmessstationen findet man unter http://www.nva-futt.de. Sollten Zeitzeugen diesen Bericht lesen und noch Ergänzungen haben oder auch Fehler entdeckt haben, schickt mir einfach eine E-Mail unter Ulrich.Huse@t-online.de

Während der Zugehörigkeit zur NVA der DDR führten wir keine Tagebücher, auf die wir jetzt bei den Erinnerungen zurückgreifen können. Unsere Unterlagen zur LRA im DHS lagern jetzt im Bundesarchiv- Militärarchiv in Freiburg i.Br. Ich hoffe jedenfalls noch, dass nach 20 Jahren Militärhistoriker / Historiker sich der Problematik der Luftraumverletzungen des Luftraumes der DDR zu wenden.«

Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Huse aus Pirna/Sachsen


Militärflugplätze der NVA