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NATIONALGALERIE I SAMMLUNG WAGENER

Die Nationalgalerie erinnert mit einer Sonderausstellung an den Sammler, dem sie ihren Grundstock und ihre Gründung vor 150 Jahren verdankt. Bekannte Meisterwerke erscheinen in neuem Licht.

von Michael Bienert

Zwei Frauengestalten sitzen umschlungen auf einem mächtigen, von der Meeresbrandung rund geschliffenen Felsen, auch ihr Begleiter verfolgt gebannt in respektvollem Abstand das Schauspiel des Mondaufgangs über der See. Im Mondlicht steuern die Silhouetten zweier Segelschiffe auf die sichere Küste zu.

Caspar David Friedrichs traumschönes Gemälde ist eine Ikone der deutschen Romantik, seine Landschaftsmotive galten lange als reiner Ausdruck deutscher Seele, bis derartige Begriffe aus der Kunstbetrachtung verbannt wurden. Kaum jemand weiß, dass der „Mondaufgang am Meer” und sein berühmtes Gegenstück, der „Einsame Baum” vor menschenleerer Bergkulisse, Auftragswerke waren.

Beide Bilder hat der Berliner Bankier Joachim Heinrich Wagener 1822 bei Friedrich in Dresden bestellt und binnen weniger Monate geliefert bekommen. In einer Sonderausstellung über Wageners Sammlung liegt ein Brief aus, worin der Maler versichert, dass er das vorgegebene Format für beide Gemälde genau eingehalten habe: „Vielleicht sind in 14 Tagen die Bilder trocken, dass ich sie ohne Gefahr Ihnen zustellen kann.” Die Landschaftsgemälde sind kleinformatiger, als die erhabenen Motive vermuten lassen. Der bürgerliche Auftraggeber verfügte über beachtliche, aber keineswegs fürstliche finanzielle Ressourcen.

Das erste Bild hatte sich der gelernte Bankkaufmann Wagener 1815 „von mühsam erspartem Gelde erkauft”: Schinkels „Gotische Kirche auf einem Felsen am Meer”. Sie hängt in einem Raum mit Werken aus Wageners Sammlung, die sonst ein Schattendasein im Depot fristen. Wie die „Ritterburg im Mondschein” von Karl Friedrich Hampe oder „Die Deutschordensritter als Krankenpfleger in Jerusalem” von Karl Wilhelm Kolbe waren die gotischen Dome Schinkels um 1820 Chiffren für ein erwachtes nationales Selbstbewusstsein der Deutschen.

Es gab im damaligen Berlin keinen Ausstellungsort für die junge deutsche Malerei der Gegenwart, daher richtete Wagener im Obergeschoss seines Bankhauses eine Galerie ein. Er vergab gezielt Aufträge an Vertreter der Düsseldorfer und Münchner Malerschule, die sich von mythologischen und religiösen Themen abwandten und lieber Landschaften, Genrestücke oder Stillleben malten. Neben verklärenden Kinderbildnissen waren edle Räuber, Partisanen und sogar Zuchthäusler beliebte Sujets. Darin schwang bürgerlicher Protest gegen die politische Adelsherrschaft mit. Im Vormärz erwarb Wagener die „Weinprobe” und das „Lesekabinett” von Hasenclever, der bürgerliche Philister bissig karikierte.

Bei dem belgischen Maler Edouard de Biève bestellte der Sammler um 1848 die Kopie eines personenreichen Historiengemäldes, es feierte den Zusammenschluss des niederländischen Adels gegen die katholische Inquisition und reiste im Triumphzug durch deutsche Städte. Wagener öffnete seine Privatkollektion für grenzüberschreitende europäische Kunstströmungen, während gleichzeitig im ersten frei gewählten Parlament in der Frankfurter Paulskirche die Einrichtung einer Nationalgalerie für deutsche Kunst gefordert wurde. Als der Sammler 1861 im Alter von 78 Jahren starb, umfasste seine Kollektion 262 Gemälde und zählte unter Kunstkennern zu den Sehenswürdigkeiten Berlins.

Kurz vor seinem Tod hatte Wagener dem preußischen König die Sammlung testamentarisch vermacht, geknüpft an die Bedingung, sie öffentlich zu zeigen und auch weiterhin um Werke der zeitgenössischen Kunst zu ergänzen. Sie sollte nach Wageners letztem Willen den Grundstock für eine „nationale Gallerie” der Deutschen bilden. Vor 150 Jahren nahm der preußische König Wilhelm das Geschenk als berührendes Zeugnis der „treuen und uneigennützigen Liebe für die vaterländische Kunst” an, und noch im selben Jahr wurde Wageners exzellente Sammlung im alten Akademiegebäude unter den Linden dem Publikum zugänglich gemacht.

Ein Teil ging im Zweiten Weltkrieg verloren, rund 140 Werke zeigt die aktuelle Jubiläumsausstellung im 1876 eingeweihten Tempelbau der Nationalgalerie auf der Museumsinsel. Wirklich Überraschendes aus dem Depot bietet sie kaum, dazu zählt etwa August Kopischs blutroter Sonnenuntergang über den Pontinischen Sümpfen von 1848, eine surreale Landschaft fast wie von Dalí. Doch es ist lehrreich, die Kathedralen von Schinkel und Friedrichs romantische Landschaften inmitten einer Flut vergleichbarer Bilder weniger eigensinniger Zeitgenossen zu betrachten: Das Herausragende der Spitzenwerke wird im breiten Strom der zeitgenössischen Bildproduktion noch kenntlicher als ohnehin schon.

Im späteren 19. Jahrhundert verdrängten die berühmten Werke von Monet, Böcklin oder Menzel den größten Teil der Wagener'schen Sammlung aus der öffentlichen Wahrnehmung. Vor der Tempelfassade der Alten Nationalgalerie suggeriert bis heute ein Reiterstandbild Friedrich Wilhelms IV., dieses Museum sei eine höfische Unternehmung gewesen. Doch den ältesten Kern der Sammlung verdankt sie dem Lebensabenteuer eines bürgerlich-liberalen Mäzens, der über Jahrzehnte die zeitgenössische Kunstproduktion abseits der Fürstenhöfe förderte. Zum 150. Geburtstag, der ansonsten nicht groß gefeiert wird, war es höchste Zeit, daran zu erinnern.

Die Ausstellung ist bis zum 8. Januar 2012 in der Alten Nationalgalerie zu sehen. Täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 22 Uhr. Der Katalog kostet 29 Euro.

ERSTDRUCK: Stuttgarter Zeitung 8. April 2011



© Text und Foto: Michael Bienert













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