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SCHLOSS CHARLOTTENBURG
I SCHINKELPAVILLON

Schinkel reloaded
 

von Elke Linda Buchholz

Eisiger Wind pfeift um die Ecken des Schlosses Charlottenburg. Nicht für diese Jahreszeit hat Karl Friedrich Schinkel seinen Neuen Pavillon entworfen. Das 1824 für König Friedrich Wilhelm III. und seine zweite Gattin erbaute Sommerhaus mit dem umlaufendem Balkon und den schilfgrün gestrichenen Fensterläden atmet südländisches Flair. Eine Neapelreise hatte den italienverliebten Monarchen dazu angeregt. Schinkel machte aus der Idee seines Königs ein architektonisches Meisterstück. Bescheiden als privates Refugium dimensioniert, behauptet sich der weiße Kubus am Spreeufer mit der Klarheit und Strenge eines Kristalls. Auch wenn er nicht mehr wie ursprünglich in die offene Landschaft eingebettet ist, sondern seit 1928 durch eine vielbefahrene Stahlbrücke bedrängt wird.

Nach fünf Jahren gründlicher Sanierung ist das Bauwerk jetzt wieder zugänglich und mit ihm eine herausragende Kollektion von Gemälden, Skulpturen und Möbeln der Schinkelzeit. Was kaum jemand ahnt, der die anmutige Architektur betritt: Dieser Bau ist eine Rekonstruktion. Schon nach dem Tod des Bauherrn stand der Pavillon leer, wurde später als Königliche Bibliothek genutzt und seiner von Schinkel aus einem Guss entworfenen Möblierung beraubt. 1936 anlässlich der Olympiade versuchte man erstmals, den Originalzustand zurückzugewinnen. Allerdings vergebens: Bei einem Bombenangriff im November 1943 brannte der Pavillon bis auf die Grundmauern aus. 1970 stand der Bau wieder, fast so perfekt wie zuvor.

Das Foyer zieren pompejanische Wandmalereien, anhand von Fotografien nachgemalt. Die Gesichter der antiken Götter jedoch können ihre Herkunft aus den 60er Jahren nicht ganz verleugnen. Eine Rekonstruktion ist immer eine Gradwanderung, selbst wenn alte Aufrisspläne, Tapetenreste und einzelne Stücke der Originalmöblierung zur Verfügung stehen. Der in Blautönen gehaltene Gartensaal und das rote Eckzimmer machen Schinkels Raumkunst erlebbar. Die kühle Eleganz des Klassizismus verbindet sich darin mit der wohnlichen Heimeligkeit des Biedermeier zum typischen Schinkel-Design. Bei der jetzigen Neueinrichtung hielt man sich an die damals mit viel Liebe, Fingerspitzengefühl und stupender Sachkenntnis von Helmut Börsch-Supan gestaltete Rekonstruktion. Als graue Eminenz nahm der jetzt 78-jährige Schinkelkenner die aufgefrischte Version in Augenschein. Die Raumtextilien leuchten in derart kräftigem Blau, Rot und Gelb, dass man sich die Augen reibt. Noch während der Bauarbeiten war im vergangenen Sommer in einer Berliner Hochschulbibliothek ein originales Musterbuch mit Textilproben Schinkels für die Vorhänge, Möbelbezugstoffe und Wandbespannungen aufgetaucht. Jetzt weiß man genau, wie beherzt er die Farben wählte.

Doch mit den wenigen erhaltenen Einrichtungsstücken ließ sich nicht das ganze Haus möblieren. Daher versammelt die Dauerausstellung im Obergeschoss die Malerstars der Berliner Schinkelära, Caspar David Friedrich, Carl Blechen, Friedrich Gärtner und Schinkel selbst. Allein neun Gemälde von Friedrich, darunter das Riesenformat "Morgen im Riesengebirge", das einst im Neuen Palais in Potsdam hing, und Blechens zauberhafte, winzige Ölskizzen, in Italien unter freiem Himmel entstanden, lohnen den Besuch. Und doch: Dies alles ist allzu museal geraten. Bruchlos haben die Kuratoren der Sehnsucht nachgegeben, sich in die Atmosphäre der Schinkelzeit zurückzuträumen. Auch wenn neue Informationstafeln in jedem Raum exakt auflisten, welches Sofa rekonstruiert wurde und welcher Marmorkandelaber noch aus dem Originalinventar stammt.

Die Chance zu einer grundlegenden Auffrischung der Präsentation blieb ungenutzt. Hier hätte man sich mehr Mut und Experimentierfreude gewünscht. Einsam steht ein Barcelona-Sessel Ludwig Mies van der Rohes als Leseecke in einem schmalen Durchgangskabinett. Eine Anspielung für Insider: verschenkt. Besser hätte man das Stahlrohrmöbel mutig in die Enfilade der originalen Schinkelstühle im Nebensaal eingereiht, als verblüffenden Aha-Effekt. Denn Mies van der Rohe hat Schinkel wie kaum einen anderen Klassiker studiert und bewundert. Das Architekturkonzept des Neuen Pavillons muss ihn begeistert haben: Die streng gerasterte Grundrissdisposition basierend auf einem Quadrat-Modul, die kühle Fassadengliederung mit ihrer minimalistisch eingesetzten Ornamentik, das Flachdach und die Kubusform des Architekturkörpers mit dem rundum laufenden Eisengussbalkon. In seiner Villa Perls in Berlin-Zehlendorf setzte Mies die Anregungen Schinkels um.

Funktional war Schinkels Pavillon allerdings nicht. Schon früh ließ von unten her eindringende Feuchtigkeit das Parkett verrotten. Das elegante Flachdach bereitet den Denkmalpflegern bis heute Kopfzerbrechen. Der Chef der Schlösserstiftung Hartmut Dorgerloh weist auf eine schadhafte Putzstelle an der Dachkante. Frisch saniert, ist der Bau schon wieder reparaturbedürftig.

Öffnungszeiten bis 31. März 2012: Di-So 10-17 Uhr, Mo geschlossen. Ab April 2012: Di-So 10-18 Uhr

Erstdruck: Stuttgarter Zeitung vom 5. Dezember 2011


© Text und Foto: Elke Linda Buchholz













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