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Der Brand von Moskau im rekonstruierten Diorama. Foto: Bienert
SCHINKEL-AUSSTELLUNG AM KULTURFORUM Mäuseskizzen, Eisensessel, Freiheitsdom Eine Berliner Ausstellung blickt in Schinkels Ideenlabor Von Elke Linda Buchholz Moskau brennt! Dichte rote Rauchschwaden ziehen über den Kreml. Sie bewegen sich wirklich auf diesem Monumentalgemälde, ebenso wie die im Vordergrund mit Sack und Pack flüchtenden Einwohner. Dann fällt der Vorhang, das aufgeregte Stimmengewirr ebbt ab, die Show ist vorüber. Das Berliner Publikum von 1813 war begeistert. Jetzt ist Karl Friedrich Schinkels optisch-mechanisches Schaubild in einer Rekonstruktion zu erleben. Damals lag das dargestellte Ereignis erst wenige Monate zurück. Der ungeordnete Rückzug Napoleons aus Russland leitete die politische Wende in Europa ein. Auch Baumeister Schinkel reihte sich 1813 in den preußischen Landsturm ein, um die französischen Besatzer zu vertreiben. Wenig später zeichnete er die ersten Ideen für einen Freiheitsdom aufs Papier. Wie eine Fata Morgana taucht das neogotische Phantasiegespinst in der Landschaft auf. Für sein immer gigantischer ausformuliertes Lieblingsprojekt erwog Schinkel auch einen Standort in der Nähe des Potsdamer Platzes. Ausgeführt wurde schließlich nur die oberste Spitze des Riesendoms, als Denkmal aus modernem Eisenguss steht es auf dem Kreuzberg in Berlin. Die Ausstellung am Kulturforum zeigt den preußischen Baumeister Schinkel als universalen Kreativkopf: kühl kalkulierender Realist und romantischer Phantast zugleich. Sein Ideenlabor breitet die Ausstellung in sieben Kapiteln aus. Dahinter steckt mehrjähriger Forscherfleiß, finanziert vom Bildungsministerium: Der 5500 Zeichnungen, Aquarelle und Drucke starke Schinkelnachlass im Kupferstichkabinett ist jetzt Blatt für Blatt hochauflösend digitalisiert, datiert und durchleuchtet. Bis Ende des Jahres soll alles online stehen. Nebenbei gewann man völlig neue Erkenntnisse über die Papierherstellung in Preußen und über die arbeitsteilige Produktion in Schinkels Baubüro. Eines der berühmtesten Schinkelprojekte, ein Kaufhaus Unter den Linden mit hohen Schaufenstern und Sonnenmarkisen entpuppte sich als Idee eines Mitarbeiters. Schinkel setzte seine Signatur wie einen Stempel darunter, um den Entwurf zu autorisieren. Im Einmann-Betrieb wäre sein immenses Arbeitspensum auch nicht zu bewältigen gewesen. Als Staatsbeamter war er für das Baugeschehen und die Denkmalpflege in ganz Preußen verantwortlich. Seine Anfänge sieht man im ersten Raum. Der Heranwachsende lässt im Skizzenbuch freche Mäuse kopulieren. Daneben hängt als Initialzündung ein gemalter Tempelentwurf Friedrich Gillys. Als der Gymnasiast Schinkel dieses Gemälde sah, stand sein Berufsziel fest. Wenig später zeichnet sich der angehende Architekt mit wehendem Mantel beim Erklimmen des Ätna. Auf seiner ersten Italienreise ab 1803 und auch später als rastlos Reisender eignete er sich den Fundus europäischer Baukultur und Geschichte an: das Felsschloss Predjama, das antike Theater in Taormina, die Klosterruine Paulinzella zeichnet er ab. Mit dem Blick eines Denkmalpflegers versetzte er das Gesehene zeichnend oft in einen erträumten Originalzustand zurück. Auf England faszinierten ihn vor allem die Fabriken von Manchester. Ihre "ungeheure Baumasse" machte einen "schrecklich unheimlichen Eindruck" auf Schinkel. Aber in seinem Bauakademie-Entwurf später setzt er den Eindruck um, nicht ohne die kühlen Rasterfassaden durch figürlichen Reliefschmuck zu poetisieren. Sein Anspruch war, Kunst zu schaffen. Virtuos malend und zeichnend bereitete er in den mageren Jahren der napoleonischen Besatzung seine steile Architektenkarriere vor, solange konkrete Bauaufträge nicht zu haben waren. Seine gemalten gotischen Dome künden imposanter als jedes reale Bauwerk auch von der Sehnsucht nach einer deutschen Nationalkultur. Dass ihm auch andere Stiloptionen als die Gotik zu Gebote standen, demonstrierte Schinkel dann bei realen Bauaufgaben, etwa der Friedrichwerderschen Kirche in Berlin. Seinem König legte er dafür gleich vier Varianten zur Auswahl vor, wahlweise mit antiker Tempelfassade oder "in der Art der englischen gotischen Chapels". Sein Operndebüt gibt der Landschaftsmaler 1815 mit dem Sternenhimmel der Königin der Nacht für Mozarts "Zauberflöte". Aztekische Feuertempel, indische Palmenpaläste, die schillernde Unterwasserwelt Undines oder ein Eisenbergwerk in Katalonien: Als Stagedesigner ging Schinkel emotional mit Licht und Farbe in die Vollen. Doch die Grenzen zwischen High und Low sind durchlässig. Ein Tempel der Vesta, als Theaterkulisse gemalt, gewinnt Jahre später als Rotunde im Alten Museum reale Gestalt. Es ist faszinierend zu verfolgen, wie die Ideen und Formen innerhalb von Schinkels Kosmos fluktuieren. Neben den exakten Maßskizzen 1:1 stehen die von ihm entworfenen Möbel, Pokale in Silber oder Glas, ein goldener Tafelaufsatz fürs Königshaus. In Vorlagenbüchern publiziert, sollten sie Fabrikanten und Handwerker zu besseren Produkten anspornen und Preußens Wirtschaft ankurbeln. Seine späten Luftschlösser für eine Königsresidenz auf der Akropolis und ein Schloss auf der Krim koppeln sich hingegen von jeglichem ökonomischen Kalkül ab. Zu den überraschendsten Exponaten gehören die wunderbar lebendigen Porträts seiner Kinder Marie, Susanne und Karl, den romantischen Kinderbildern des Zeitgenossen Runge ebenbürtig. Erst in den 90er Jahren wurden sie von Schinkels Nachkommen in die USA versteigert - und kommen nun als Leihgabe aus St. Louis zu Gast. Auch die seit 1945 verschollene Sonnenbrille des Architekten ist samt 80 weiteren persönlichen Gegenständen vor wenigen Jahren in Privatbesitz aufgetaucht und gehört nun wieder dem Kupferstichkabinett. Zum Schluss rollt ein Raum das Panorama der berühmten Berliner Bauten Schinkels von der Neuen Wache bis zum Alten Museum auf. Auch die Bauakademie spiegelt sich als noch ungebaute Planungsidee im Wasser der Spree. Später bezog der Architekt in dem wegweisend modernen Kubus selbst eine Dienstwohnung. Nach seinem Tod 1841 eröffnete dort das Schinkel-Museum, eines der ersten Künstlermuseen des 19. Jahrhunderts. Die im Krieg zerstörte Architekturikone wartet noch immer auf ihren Wiederaufbau. Es wäre auch die Chance für ein neues Schinkel-Museum. Die Bestände dafür sind, das zeigt die großartige Ausstellung, mehr als reichlich vorhanden. AUSSTELLUNG Bis 6. Januar 2013 läuft die Ausstellung am Kulturforum, Di-Fr 10-18 Uhr. Die Gemäldegalerie lenkt parallel dazu in einer Kabinettpräsentation den Blick auf Schinkels Bilderrahmen. KATALOG Der 360 starke Band "Karl Friedrich Schinkel. Geschichte und Poesie" umfasst die komplette Ausstellung. Im Oktober erscheinen dazu als "Studienbuch" die Beiträge einer 2011 veranstalteten wissenschaftlichen Tagung zum "Erbe Schinkels". NOCH MEHR SCHINKEL In der Alten Nationalgalerie sind ebenfalls bis 6. Januar 60 Architekturgemälde von Schinkel und Zeitgenossen wie Carl Blechen zu sehen, darunter ein 4 Meter hoher Aufriss der Kölner Domfassade. Zum Forschungsprojekt "Das Erbe Schinkels" Zur Ausstellungswebsite ERSTDRUCK: Stuttgarter Zeitung vom 12. September 2012 © Fotos: Michael Bienert |
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