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DRESDNER GEMÄLDEGALERIE
I HIMMLISCHER GLANZ


Ein Papstbesuch wirkt Wunder

von Michael Bienert

In der Dresdner Gemäldegalerie trifft die „Madonna di Foligno“ auf dem Vatikan auf die "Sixtinische Madonna". Beide standen vor 500 Jahren vermutlich in Raffaels römischem Atelier.

Die beiden Knirpse müssen eine antiautoritäre Erziehung genossen haben. Das Wunderbare über ihren Strubbelköpfen beeindruckt sie nicht sonderlich. Lässig auf eine Holzkante gestützt, mit leicht gelangweiltem Gesichtsausdruck drehen die Jungs ihre Augen nach der Sixtinischen Madonna: Wie lang dauert das denn hier noch?

Allein die schmetterlingshaft schillernden Flügelchen weisen die beiden Nackedeis als Angehörige der himmlischen Betriebskampfgruppen aus. Ihre  respektlose Kindlichkeit stiehlt der überirdisch zarten Gottesmutter mit dem Jesuskind im Arm die Schau. Ernst und gefasst schaut sie in unsere Richtung, sie ahnt ja, was auf ihr Söhnchen noch alles zukommt. Der Kleine nimmt die Museumsbesucher mit klugen Augen direkt ins Visier. Über den beiden biegt sich ein dünne Gardinenstange mit einem aufgezogenen grünen Vorhang. Ist die Wundererscheinung der auf Wolken wandelnden Gottesmutter nur ein billiger Theatertrick?

Im kommenden Jahr wollen die Dresdner Kunstsammlungen den 500. Geburtstag ihrer Sixtinischen Madonna mit einer großen Sonderausstellung feiern. Raffael malte das Bild im Jahr 1512 im Auftrag von Papst Julius II. für die neu errichtete Kirche San Sisto in Piacenza, das sich eben dem Kirchenstaat angeschlossen hatte. Qualifiziert hatte sich der Maler zuvor durch ein Madonnenbild für die Kirche S. Maria in Aracoeli auf dem römischen Kapitol. Die „Madonna von Foligno“ gehört heute zu Heiligtümern der Kunstgeschichte, die den Vatikan nicht verlassen dürfen. Vor 500 Jahren, mutmaßen die Kunsthistoriker, standen die beiden Madonnenbilder gleichzeitig in Raffaels römischer Werkstatt. Sehr gerne hätten die Dresdner das wenig ältere Bild aus dem Vatikan für ihre Geburtstagsausstellung ausgeliehen.

Doch da beide Seiten ihre Madonnen grundsätzlich nicht reisen lassen, war ein Wiedersehen praktisch ausgeschlossen. Trotzdem fragten die Dresdner beim Vatikan an und bekamen wie erwartet eine Absage. Wer dann den Einfall hatte, den bevorstehenden Papstbesuch mit dieser Causa in Verbindung zu verbringen, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben. Unter anderem schaltete sich der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl in die Angelegenheit ein. Durch geschickte Diplomatie konnte der Papst dafür interessiert werden, die Madonna von Foglino als Sonderbotschafterin vorneweg nach Deutschland zu entsenden.
 
Als „Wunder, das nur durch die Intervention des Papstes möglich ist“, preist der Kurator Arnold Nesselrath aus dem Vatikan die Dresdner Wiederbegegnung. Sie findet nun aber nicht im Rahmen der 2012 geplanten Sonderausstellung, sondern öffentlichkeitswirksamer bereits im Monat des Papstbesuchs statt. Die katholische Kirche wusste schon immer ganz genau, wie man die Kunst am geschicktesten für die eigene Imagebildung einspannt. Vor einem Jahr hatte Benedikt vier Wandteppiche von Raffael aus der Sixtinischen Kapelle mit nach London genommen, wo sie erstmals neben dem Entwurfskartons aus dem Victoria and Albert Museum ausgestellt wurden.
 
Die Freude bei den Dresdnern über den Besuch dürfte groß sein, denn der direkte Vergleich, dass sie die weitaus originellere Madonnenversion besitzen. Schon 1750 hatte sich der Dresdner Hof intensiv darum bemüht, die „Madonna von Foligno“ durch Agenten in Italien anzukaufen. Als das misslang, wurde vier Jahre später die Sixtinische Madonna erworben, um die königliche Gemäldegalerie durch ein Bild Raffaels aufzuwerten. Nebeneinander betrachtet, zeigen sich nicht nur viele Ähnlichkeiten, etwa bei der Ausführung des Engels im Vordergrund der „Madonna von Foligno“, der wie ein älteres Brüderchen der Dresdner Knirpse wirkt. Frappierend ist Raffels Wagemut bei der Öffnung der Gesamtkomposition zum Betrachter hin. Das Gemälde aus dem Vatikan macht ihn zum Zeugen einer in sich geschlossenen Szene, in der Maria vier Nebenpersonen auf Wolken erscheint, die Dresdner Marienerscheinung richtet sich ganz direkt an ein Publikum außerhalb des Gemäldes.

Als Bildregisseur auf der Suche nach innovativen Lösungen wird Raffael auch in seinen Vorzeichungen aus dem Städel und dem British Museum kenntlich. Um seine beiden großformatigen Madonnengemälde haben die Dresdner Kuratoren eine kleine, feine Ausstellung gebaut, die mehr über die Geschichte des Motivs und den Entstehungszusammenhang der Bilder erzählt. Raffaels Madonnen auf Wolken treffen im selben Oberlichtsaal auf Gottesmütter von Correggio, Cranach, Dürer und Grünewald, alle nur ein paar Jahre früher oder später gemalt. Dabei erweist sich Dürer als ähnlich humorbegabt wie Raffael: Hinter seiner nicht ganz so idealisiert wirkenden Maria feudeln leicht bekleidete Engelsfiguren die  Tischlerwerkstatt des Heiligen Joseph. Grünewalds bleiche Stuppacher Madonna reicht dem pummeligen Jesuskind eine Feige, in Anspielung auf den Sündenfall. Die umgebende Fantasielandschaft ist ebenso aufgeladen mit mythologischen Bedeutungen. Grünewald übersetzt ein komplexes theologisches Weltbild in sinnliche Erscheinungen, das Ergebnis wirkt surreal.

Die Marienverehrung um 1500 nördlich und südlich der Alpen möge auch die heutigen Betrachter beeindrucken, so der fromme Wunsch der Leihgeber aus dem Vatikan. Ehe die Madonna von Foligno nach Deutschland reiste, haben sie das Werk mit einer neuen Firnis versehen, die seine leuchtende Farbigkeit ungefiltert zutage treten lässt. Auf der Sixtinischen Madonna liegt eine gelbliche Patina. Wieviel frischer sie vor 500 Jahren wohl aussah, kann man sich nun leichter imaginieren.
 
Die Ausstellung ist eine Anstoß, dieses auf Kalendern, Postkarten, Lesezeichen, Weihnachtsgeschenkpapier und Kaffeetassen beinah zu Tode reproduzierten Meisterwerk wie neu zu sehen. Angefangen hat die Popularisierung von Raffaels Madonnenbildern durch preiswerte Vervielfältigung schon zu dessen Lebzeiten: Sein Mitarbeiter Marcantonio Raimondi spezialisierte sich darauf, sie als Druckgrafik unters Volk zu bringen – auch diesen für die weitere Rezeption wichtigen Aspekt streift die Ausstellung. Schon in der Renaissance waren Madonnen nicht nur Adressatinnen der Volksfrömmigkeit, sondern wurden zielstrebig von den Kirchenoberen als Reklamefiguren eingesetzt.

Die Ausstellung „Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna“ ist bis 8. Januar 2012 in der Gemäldegalerie Alte Meister im Dresdner Zwinger zu sehen, bis dann ist die „Madonna di Foligno“ aus dem Vatikan dort zu Gast. Die Sonderschau ist Teil der Dauerausstellung, zugänglich in den täglichen Öffnungszeiten außer montags, immer von 10 bis 18 Uhr. Das Katalogbuch (128 Seiten, Hatje Cantz Verlag) kostet 24,80 Euro.

Am 26. Mai 2012 eröffnet die Sonderausstellung „Die Sixtinische Madonna. Raffaels Kultbild wird 500“, die sich ausführlicher der Entstehungsgeschichte und weltweiten Wirkung des Gemäldes widmet. Erst seit es 1754 in die Dresdner Gemäldegalerie kam, wurde es als Meisterwerk wahrgenommen. Die kulturhistorische Ausstellung wird auch die Rezeption in der Literatur, Musik, Design, Karikatur und Werbung berücksichtigen.

Weitere Informationen: www.skd.museum
 

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 7. September 2011

© Text: Michael Bienert








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