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40 JAHRE GRIPS-THEATER
FRIENDS4EVA


Von Berlin nach Windhuk und wieder nach Berlin

Das Berliner Grips-Theater feiert seinen 40. Geburtstag und hat sich ein ungewöhnliches Geschenk gemacht. Der Musicalklassiker „Linie 1“ wurde mit Schauspielern aus Nambibia neu produziert und geht auf Tournee durch die Bundesrepublik.

von Michael Bienert

„My name is Obama“, behauptet der smarte Taxibesitzer aus Windhuk felsenfest. In der namibischen Hauptstadt gibt es keine U-Bahn, man muss ein Sammeltaxi nehmen oder auch einen Eselskarren, um vorwärts zu kommen. Das kann ähnlich aufregend sein wie eine U-Bahn-Fahrt in Berlin, wenn man nur Augen für seine Mitfahrer hat. Erst recht, wenn man von anderswo kommt und das Staunen über den Alltag der fremden Stadt noch nicht verlernt hat.

23 Jahre nach seiner Uraufführung im Berliner Grips-Theater ist „Linie 1“, das erfolgreichste deutsche Musical überhaupt, in Afrika angekommen. In Namibia heißt die Revue „Friends4eva“, schon weil die meisten Einheimischen noch nie eine U-Bahn zu Gesicht bekommen haben. Ausgesprochen klingt der neue Titel nach  „Friends forever“ oder nach „Friends for Eva“. Anfang Oktober gastierte die deutsch-namibische Theaterproduktion im Berliner Grips-Theater, bei der Gelegenheit brachte Bundespräsident Horst Köhler den ganzen Saal zum Lachen, als er am Ende seiner launigen Ansprache verschmitzt fragte: „Und was hat das mit meiner Frau Eva zu tun?“ Man weiß, dass Köhler die Freundschaft mit Afrika sehr am Herzen liegt und kann sich seine sympathische First Lady unschwer in einem afrikanischen Sammeltaxi vorstellen, an dessen Steuer ein falscher Obama sitzt.

Rassenhaß und Pfefferspray

In der Theaterproduktion wird Eva von einer blonden deutschen Schauspielerin verkörpert, die sich im Sammeltaxi von schwarzen jungen Männern anbaggern lassen muss. Kathrin Osterode spielte die Rolle des Mädchens in der fremden Stadt jahrelang am Grips-Theater in der „Linie 1“. Alle anderen Rollen sind mit Nambianern besetzt. Drogendealer, Marktweiber, Bettler, das Unglücksmädchen Maria oder Silly & Sally, die lieber in Glitzerkleidchen auf Männerfang gehen als in die Schule - es sind Typen aus dem afrikanischen Alltag und zugleich faszinierende Wiedergänger der Berliner Figuren aus dem Originalmusical. Politische Brisanz gewinnt diese Travestie dadurch, dass auch weiße Namibianer von farbigen Schauspielern dargestellt werden.

In „Friends4eva“ liest das Sammeltaxi eine Geschäftsfrau auf, die mit ihrem Auto liegen geblieben ist. Sie singt davon, wie ihre Angehörigen bei einem Raubmord auf einer Farm umgebracht wurden. Unter den schwarzen  Fahrgästen gerät sie in Panik und zückt ihr Pfefferspray. Sogar für die legendären Wilmersdorfer Witwen fand sich in Windhuk ein Pendant: Rüstige alte Burenfrauen, die Schwarze noch immer wie Untermenschen behandeln. Ebenso satirisch zugespitzt wird aber auch gezeigt, wie Farbige ihre Vorurteile gegen die Weißen pflegen und wie sie die Ahnungslosigkeit der Touristen aus Europa ausnutzen.

Rock mit Marimba

Die 12 namibischen Schauspieler machen sich den pointierten, frechen Grips-Stil virtuos zu eigen, dabei singen und tanzen sie mit afrikanischem Temperament, dass es eine wahre Freude ist. Der afrikanische Einfluss wirkt wie ein Jungbrunnen auf die 80er-Jahre Rocksongs der „Linie 1“. Die Grips-Band hat sie neu arrangiert und eingespielt, dazu wird live gesungen und furios getrommelt. Zwei namibische Musiker mit Marimba und Flöte stehen mit auf der Bühne - so ist es zu verschmerzen, dass ein Teil der Musik aus der Konserve kommt. Wahrscheinlich wäre es überhaupt nicht finanzierbar gewesen, auch noch die komplette Berliner Grips-Band zur Premiere im September nach Windhuk und anschließend auf Deutschlandtournee zu schicken.

Dass diese Koproduktion überhaupt zustande kam, ist schon ein Wunder. Den Anstoß gab ein Aufenthalt der Künstlerin Imke Rust mit einem DAAD-Stipendium in Berlin. In Windhoek begeisterte sich die Schauspielerin und Regisseurin Natasha Lamoela für die Idee einer afrikanischen „Linie 1“. Mit ihrem Kompagnon Frank Dornbach erarbeitete sie die Spielfassung, sie steht auch selbst in einer Vielzahl von Rollen in „Friends4eva“ auf der Bühne. Das Grips-Theater bereitete die Produktion mit Workshops in Namibia vor, unterstützt von dem Berliner Grünen-Politiker Oliver Schruoffenegger, dessen Organisation „p.art.ners“ die Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Windhuk voranbringen will. Schruoffenegger wiederum lobt den Einsatz der namibischen Botschaft, ohne deren Hilfe die Gastspiele in Deutschland nicht möglich gewesen wären.

Dass Deutsche und Afrikaner in schöner Gemeinsamkeit ein solches Theaterprojekt realisieren, hat es in dieser Form bisher nicht gegeben. Und da bisher niemanden solche transnationalen Theaterprojekte stetig fördert, dürfte es lange dauern, bis man wieder etwas Vergleichbares zu sehen bekommt.


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© Text: Michael Bienert / Foto mit freundlicher Genehmigung von Avalon Event/Grips-Theater



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Michael Bienert
Mit Brecht durch Berlin
Insel Verlag it 2169
272 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-456-33869-1
10 Euro







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