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Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, inszeniert die Raumnot.


NATIONALGALERIE
I DER GETEILTE HIMMEL


Zwischen Marx und Elvis

von Elke Linda Buchholz

Wer in Berlin künftig Meisterwerke von Otto Dix, George Grosz oder Max Ernst sehen will, wird sie in der Neuen Nationalgalerie nicht finden. Die Klassische Moderne wurde ins Depot verfrachtet, damit die nächste Generation Platz hat. Um die immensen Bestände auszubreiten, ist der Mies-van-der-Rohe-Bau längst zu klein. Durch die Wiedervereinigung sind zwei komplette, mit unterschiedlichem Profil gewachsene Sammlungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts aus Ost und West zusammengekommen. Als Notbehelf hat der Sammlungschef Udo Kittelmann ein Rotationssystem ersonnen. In einer Ausstellungstrilogie wurde zunächst die erste Jahrhunderthälfte vorgeführt, nun folgt die Nachkriegsära, von Frühjahr 2013 an kommt die Kunst des letzten Jahrhundertdrittels zum Zug.

Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“ liefert den zugkräftigen Titel für die neu sortierten Bestände. Schon im Foyer prallen die Kontrahenten aufeinander: Ost und West, Figuration versus Abstraktion treten sich in Gestalt zweier Großformate von Willi Sitte und Rupprecht Geiger gegenüber. „Rot!“, schreit Geigers monochromes Farbfeld. Auch Sitte setzt die Signalfarbe flammend in Szene, allerdings als symbolträchtige Aura um eine kämpfende Proletariergestalt, gemalt im Auftrag der VEB Leunawerke. Zwischen diesen Polen öffnet sich der Weg in die Ausstellung.

Kurz nach Kriegsende waren die Fronten innerhalb der künstlerischen Landschaft Deutschlands noch nicht so klar abgesteckt, die Mauer in den Köpfen nicht gebaut, die Polarisierung zwischen ge­gen­-ständlicher und abstrakter Kunst nicht verhärtet. Karl Hofer im Westen oder Hans Grundig im Osten schärften ihre Figurenbilder durch abstrahierende Formen, während gegenstandslos arbeitende Kollegen wie Richard Oelze und Heinz Trökes durchaus mal figürliche Elemente aufblitzen ließen. Der erste Ausstellungsraum präsentiert ihre Gemälde an Stahlstangen frei in den Raum gestellt. Das ungewohnte Ausstellungsdisplay knüpft an die erste Documenta an, die 1955 in noch kriegsbeschädigten Räumen neue Präsentationsformen erfinden musste. Der Wahnsinn des gerade überstandenen Krieges, Verzweiflung, Hunger, Trauer und Trümmersituation stecken allen noch in den Gliedern, sprechen aus den Mienen, aus jedem Pinselstrich. Die Farbpalette ist gedämpft. Dann aber, im nächsten Jahrzehnt, ist mit Ernst Wilhelm Nays Riesengemälden die volle Farbe da, und der Schritt in die Abstraktion wird wie ein Befreiungsschlag vollzogen. Von nun an scheiden sich die We­ge. Und der Besucher muss selbst entscheiden, welcher Richtung er folgt.

Die Cobra-Gruppe lockt mit anarchischem Freiheitsdrang und farbstarkem Pinselschwung in einen furiosen Themenraum. Im Osten hingegen halten sich die progressiv gesinnten Maler lieber an Picasso. Max Lingner, Harald Metzkes, Strawalde und selbst der altmeisterliche Werner Tübke knüpften an den Malerstar an, der sich als bekennender Kommunist auch ideologisch zum Vorbild eignete. Doch aus dem Nachbarraum klingen schon Beatles-Songfetzen hinüber. Pop-Art!
Nun wird es lustig. Eine knallbunt gemusterte Tapete von Thomas Bayrle liefert die massenmediale Folie für Werke von Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Sigmar Polke, auch Einzelgänger wie Konrad Klap­heck und der Isländer Errò reihen sich ein. In filmreifer Pose zückt Warhols „Double Elvis“ die Pistole, doch der Gegner ist längst mausetot: Die Monumentalbüsten von Marx und Mao ruhen als bizarre Relikte serieller DDR-Staatskunst im Regal. „Davon haben wir noch eine ganze Menge“, meint der Kurator Joachim Jäger.

Viele Werke der DDR-Kunst ließen die Kuratoren im Depot. Je weiter der Parcours fortschreitet, desto mehr verflüchtigt sich der Osten. Amerikanische und westeuropäische Kunstrichtungen übernehmen die Führung. Abstrakter Expressio­nismus, Informel, Minimal-Art, Zero, Nouveau Réalisme, Body-Art und Fluxus: alle wichtigen Richtungen werden vorgestellt. Wie ein stilgeschichtliches Lexikon lassen sich die Räume durchwandern. Kittelmann und sein Team vertrauen dem Blick durch die westdeutsche Brille: Was jenseits der Mauer geschah, bleibt marginalisiert. Es gibt aber auch überraschende Begegnungen. Die vom Ostberliner Bildhauer Fritz Cremer geschaffene Monumentalskulptur „O Deutschland, bleiche Mutter“, eigentlich als Mahnmal für ein Konzentrationslager gedacht, behauptet sich souverän neben einer Liegenden von Henry Moore und den verzerrten Figurenbildern Francis Bacons. Existenzielle Fragen zur Verfassung des Individuums wurden hüben wie drüben gestellt. Und ein Mauerspringer der besonderen Art war der Objektkünstler Hans-Peter Alvermann. Der in Düsseldorf lebende Kommunist schenkte mehrere Werke der Ostberliner Nationalgalerie. Erst jetzt öffentlich zu sehen, entfaltet seine „Gott mit uns“-Maschine satirischen Biss und bleckt kurbelbetrieben ihre gewaltigen Zähne: eine Wiederentdeckung.

Als Epilog fungiert ein Querschnitt durch die Kunstproduktion des Jahres 1968. Da klappert geräuschvoll eine raumfüllende Schrott- und Scherbeninstallation von Wolf Vostell, die damals auf der Biennale in Venedig zu sehen war. Ein gemaltes Pferd von Harald Metzges, Neonröhren von Dan Flavin, Frauenakte von Renato Guttuso, Piktogramme von A. R. Penck, ein Video von Valie Export, Konzeptkunst von Marcel Broodthaers: eine erfrischend wilde Mischung, manches altbacken, anderes ganz unverbraucht.

Aber warum endet die Ausstellung 1968? Eine kunsthistorische Zäsur markiert das Jahr nicht, doch in diesem Jahr wurde der Mies-van-der-Rohe-Bau eröffnet. Das Ausstellungshaus selbst ist das größte Exponat. Doch die Architekturikone ist in die Jahre gekommen und wartet auf ihre Sanierung. Die Mittel für den vorbereitenden Architektenwettbewerb wurden nun frei gegeben. Groß zu gestalten gibt es für Architekten nicht viel. Umso wichtiger sind Detailfragen. Etwa ob die historischen Steckdosen und Notruftelefone an den Ausstellungswänden erhalten bleiben. Sie wirken selbst schon fast wie Kunstwerke aus einer anderen Zeit.

 
Bis Frühjahr 2013. Weitere Informationen unter http://www.smb.museum

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 12. November 2011


© Text und Fotos: Michael Bienert und Elke Linda Buchholz















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