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DEUTSCHES BUCH- UND SCHRIFTMUSEUM
Showroom der Buchgeschichte
Das Leipziger Buch- und Schriftmuseum erhält den Antiquaria-Preis 2013. Eine Ortsbesichtigung
Von Michael Bienert
Ich
bin ein Haus der Bücher! Das ruft die Gebäudeskulptur der Stuttgarter
Architektin Gabriele Glöckler jedem zu, der an der Leipziger Haltstelle
“Deutsche Nationalbibliothek” aus der Straßenbahn steigt. Wie ein
lockerer Buchumschlag umfängt das Aludach die vier Obergeschosse, die
an einen Buchblock erinnern. Unter dem fensterlosen Buchrücken zieht
sich eine lange Glasfront an der Straße entlang, dort ist das Buch- und
Schriftmuseum untergebracht. Oder? Der Besucher muss das Gebäude erst
halb umrunden, um sicher zu sein. Erst am Deutschen Platz in Sichtweite
des kaiserzeitlichen Haupteingangs der Bibliothek findet sich endlich
eine beschriftete Drehtür, die hinter den glatten Glasvorhang führt.
“Die
Fünffachverglasung schirmt 98 Prozent der nicht sichtbaren schädlichen
Lichtstrahlung ab”, erklärt die Museumschefin Stephanie Jacobs, die mit
der Sichtbarkeit ihrer im vergangenen März eröffneten Dauerausstellung
noch nicht wirklich zufrieden ist. Wäre in dem futuristischen Showroom
kein Buchmuseum, sondern – leicht vorstellbar – ein Autosalon
untergebracht, gäbe es sicher längst eine Leuchtschrift zur
vielbefahrenen Straßenkreuzung hin. Drinnen spiegelt sich der Verkehr
in den Glasflächen superschicker Vitrinenwände. So elegant lassen sich
Bücher hinter Glas zeigen! Auf filigranen Buchwiegen scheinen sie
hinter den hohen stützenlosen Glasvorhängen zu schweben wie
Schmetterlinge. Die kurvigen Vitrinenglaswände bilden Inseln in der
lichtdurchfluteten Ausstellungshalle, zur Straße hin sind historische
Druckerpressen platziert, so als sollten sie Käufer anlocken. Es
könnten auch neue Apple-Produkte sein, die hier stilvoll in Szene
gesetzt werden.
Eine
weiße Laufschrift zieht an Büchern, Plakaten, Radioapparaten,
Bildschirmen und E-Book-Readern hinter spiegelndem Glas vorbei:
"Schreibt man ein Buch für Menschen, die Bücher lesen, kann das niemals
ein richtiger Bestseller werden. Schreibt man ein Buch für
Fernsehzuschauer, geht das." Das Zitat der Bestsellerautorin Charlotte
Roche ist nur eines von vielen widersprüchlichen Bonmots einer
Medieninstallation, aber es bringt die Crux des Museums auf den
Punkt. Eine Buchausstellung primär für Bibliophile wäre langweilig für
die Mehrzahl der aktiven Mediennutzer, insbesondere für die
Computervirtuosen der jüngeren Generation. Sie würde dem
Bildungsauftrag des Museums nicht gerecht.
Selbst
wer keine gedruckten Bücher mehr liest, hat doch täglich mit Schrift zu
tun. “Schrift geht alle an”, sagt Stephanie Jacobs, deshalb beginnt der
Ausstellungsparcours mit einer Rückblende auf Höhlenmalereien,
Kerbhölzer und Muschelketten, die Vorläufer von Schriftsystemen, um die
Besucher um die Ecke mit einer Tätowiermaschine und Graffitispraydose
zu konfrontieren.
Von einer Ausstellungswand leuchten weiß Schriftzüge wie “Helvetica”,
“Palatino”, “Times”, die inzwischen jedem vertraut sind, der Texte an
einem Computer schreibt und sich zwischen Schriftarten und -größen
entscheiden muss. Früher war die Typografie eine Geheimwissenschaft von
Spezialisten, heute ist fast jeder sein eigener Typograf. Da hakt das
Museum ein, klärt kurz über die Herkunft der Schriften auf und
sensibilisiert für ihre praktischen Anwendungen. Wer weiß schon, warum
die hässliche Schrift auf deutschen Autokennzeichen FE-Schrift heißt?
FE bedeutet “Fälschungen erschwerend”, sie wurde im Zuge der
Terrorabwehr vom Bundeskriminalamt nach dem “Deutschen Herbst” 1977 in
Auftrag gegeben und ist überdies maschinenlesbar.
Was an Inhalten in der elektronischen Medienwelt zirkuliert, speist
sich nach wie vor im Wesentlichen aus der Überlieferung der Buchkultur.
Die Idee von Wikipedia stammt nicht aus dem Internet, sondern geht auf
die gedruckten Enzyklopädien zurück. Und gibt es womöglich Parallelen
zwischen der Gutenberg-Revolution und der aktuellen Veränderung der
Medienlandschaft? Neben Gutenbergs Handwerkszeug zeigt die
Ausstellung Gussformen und Lettern aus Metall, mit denen in Korea
schon Jahrzehnte zuvor gedruckt wurde. Gutenberg perfektionierte das
Gussverfahren, er hatte einen Geldgeber und eine Werkstatt, er machte
die Technologie des Buchdrucks marktreif. Hinter den Phantombildern mit
dem langen Bart wird ein Steve Jobs des 15. Jahrhundert. sichtbar.
Hier
die Heiligen Schriften der Christen, Moslems, Juden in Prachtausgaben,
dort der “Index Librorum Prohibitorum” des Vatikans und all die anderen
Verzeichnisse von unerwünschten Büchern. Was wir für den Himmel und die
Hölle halten, stammt aus der Buchkultur. Zensurfällen und
fantasievollen Widerstandsmaßnahmen von Autoren und Verlegern räumt die
Leipziger Ausstellung viel Platz ein, denn daran wird die Brisanz von
Druckwerken schlagartig klar. Aufgeschlagen liegt ein Roman von Karl
May, mit der Schreibmaschine abgetippt, weil der Autor in der DDR nicht
im Buchhandel zu haben war. Beiläufig werden die Leipziger Besucher
daran erinnert, dass ihre geliebte Nationalbibliothek seit dem Ersten
Weltkrieg als Zensurstelle tätig war.
“Vielfalt,
das ist das eigentliche Prinzip der Moderne, nicht die
Vereinheitlichung, obwohl es sie auch gibt”, widerspricht Alexander
Kluge auf dem Weg zum Ausgang der geschäftstüchtigen Medienfrau
Charlotte Roche. Die Medieninstallation mit dem Laufband spiegelt das
Schicksal des Buches im 20. Jahrhundert. Immer wieder bedrängt und
totgesagt, umstellt von Konkurrenzangeboten, hat sich das Buch dennoch
als unverzichtbarer Kulturträger behauptet. “Wir hatten uns etwas
Irrlichterndes vorgestellt, aber viele Besucher glauben, die
Vitrinenbeleuchtung sei kaputt”, gibt Stephanie Jacobs zu. Dem
Buchmuseum geht es nicht besser als dem Buchhandel und den
Bibliotheken, es muss experimentieren, um sich in einer veränderten
Medienlandschaft zu behaupten. Auf diesem Weg ist das Leipziger
Ausstellungsteam risikofreudig voran gegangen. Dafür wird es am 24.
Januar 2013 in Ludwigsburg mit dem Antiquaria-Preis für Buchkultur
ausgezeichnet.
“Zeichen – Bücher – Netze. Von der Keilschrift zum Binärcode”, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Informationen: www.dnb.de
ERSTDRUCK: Stuttgarter Zeitung vom 18. Januar 2013
© Text und Fotos: Michael Bienert
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