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Blick aus der Etage von Stasichef Erich Mielke auf sein Ministerium (2012)
KULTURREPUBLIK I STASIMUSEUM Zentrale des Tugendterrors Von Michael Bienert Das achte Gebot für DDR-Bürger lautete: „Du sollst Deine Kinder im Geiste des Friedens und des Sozialismus zu allseitig gebildeten, charakterfesten und körperlich gestählten Menschen erziehen.“ Ganz oben in der Liste der „sozialistischen Moralgesetze“, die der 5. Parteitag der SED im Jahr 1958 beschloss, rangierten Vaterlandsliebe und Wehrhaftigkeit, es folgten Tugenden wie Leistungsbereitschaft, Sparsamkeit, Sauberkeit, Hilfsbereitschaft und schließlich die Solidarität mit dem Freiheitskampf anderer Völker. Die zehn Gebote für anständige DDR-Bürger hängen gerahmt in einer Zimmerecke des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit, als kalligraphische Fleißarbeit eines namenlosen Getreuen. Ihrem Selbstverständnis nach war die DDR ein Tugendstaat und die Stasi verstand sich als Elitetruppe, die ihn furchtlos gegen Feinde von innen und außen verteidigte. An der Spitze des Sicherheitsapparats mit zuletzt 91.000 hauptamtlichen und 174.000 inoffiziellen Mitarbeitern stand seit 1957 bis zum Ende der DDR ein fundamentalistischer Tugendwächter der übelsten Sorte. Als Erich Mielke am 13. November 1989 vor der DDR-Volkskammer erklären sollte, wozu die Stasi eigentlich nütze sei, stotterte er: „Ich liebe — Ich liebe doch alle — alle Menschen!” Zwei Monate späterer stürmten aufgebrachte DDR-Bürger das zwischenzeitlich in “Amt für nationale Sicherheit” umbenannte Stasiministerium, aus berechtigter Sorge, dort würden massenhaft Akten über die schmutzigen Praktiken des DDR-Geheimdienstes geschreddert. Die symbolische Bedeutung dieses Vorgangs ist heutzutage, wo jedermann ungehindert in die spießige Chefetage des Mielke-Ministeriums spazieren kann, nur noch schwer zu vermitteln. Die scheinbare Allmacht des Geheimdienstes beruhte nun einmal auf seinem konspirativen Charakter. Die Berliner Zentrale füllte ein großes Straßenkarree mit rund 30 Gebäuden, teils vergitterten Wohnhäusern, teils Baracken, Hallen und zwölfstöckigen Büroklötzen in Plattenbauweise (Foto). Diese für Normalsterbliche verbotene Stadt war auf Berlinplänen als ganz gewöhnliches Wohnviertel eingezeichnet. Jetzt stehen an den drei Zugängen ins Innere des verschachtelten Stasi-Komplexes große Aufsteller mir einem Luftbild und Legenden, die erkennen lassen, wie raumgreifend diese Topografie des Terrors war. Wenn Verdächtige aus dem Stasi-Untersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen zum Verhör in die Zentrale gebracht wurden, dann auf Umwegen in geschlossenen Wagen, um ihnen die räumliche Orientierung zu nehmen. Trotzdem machte ein geheimnisvolles Lied der Sängerin Bettina Wegner die Runde, nachdem diese wegen “staatsfeindlicher Hetze” in der Stasizentrale an der Normannen- und Magdalenenstraße (Foto) verhört worden war: “Magdalena war so schwarz / und hatte große Hände / wen sie liebte / streichelte sie in die Wände.” Auch der Dissident Jürgen Fuchs nannte seinen großen Roman über die schwierige Wahrheitsfindung in den Stasi-Akten “Madgalena”. Es lohnt sich dort nachzulesen, mit welchem Unbehagen und welchen Ängsten die Stasi-Opfer nach dem Untergang der DDR verfolgten, wie das Stasi-Archiv in eine bundesdeutsche Behörde für die Akteneinsicht überführt wurde. Mit Joachim Gauck stand zwar in den ersten zehn Jahren ein untadeliger Bürgerrechtler an der Spitze, aber in der Behörde arbeiteten ehemalige Stasi-Mitarbeiter mit Verwaltungsfachleuten und Wissenschaftlern aus dem Westen gemeinsam an der Aufarbeitung des Stasi-Nachlasses. So kam es, dass auf dem Gelände des Stasi-Ministeriums zwei Institutionen der Vergangenheitsaufarbeitung zwanzig Jahre lang mehr neben- als miteinander arbeiteten: die staatliche Stasi-Unterlagenbehörde und die 1990 gegründete “Antistalinistische Aktion Berlin-Normannenstraße”, kurz ASTAK. In diesem Bürgerverein sind bis heute ehemalige Besetzer des Geländes aktiv. Sie sorgten dafür, dass in Haus 1, dem Dienstsitz Erich Mielkes, ein Stasimuseum entstand, mit weitgehend original eingerichteten Büros und Besprechungsräumen. Schon die erste frei gewählte DDR-Regierung hatte dort schon eine Gedenk- und Bildungssstätte einrichten wollen. Dem Verein der Stasi-Geschädigten ist es zu verdanken, dass dieses Vorhaben im wiedervereinigten Deutschland nicht vergessen wurde. Das tief sitzende Misstrauen der ASTAK-Aktivisten gegen staatliche Einflussnahme hat erst der neue Beauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn, ein ehemaliger Häftling, beschwichtigen können. Für die Opfer ist es ein wichtiges Signal, dass Jahn versucht, die letzten ehemaligen Stasimitarbeiter aus seiner Behörde zu entfernen. Jahn kündigte nun an, das ASTAK und Stasiunterlagenbehörde im kommenden Jahr gemeinsam eine neue Ausstellung in Haus 1 präsentieren und auf dem Gelände einen “Campus der Demokratie” etablieren wollen. Vertrauensbildend hat außerdem gewirkt, dass die Bundesregierung das Haus 1 in ihr Gedenkstättenkonzept aufgenommen und 11 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II für dessen Sanierung abgezweigt hat. Ohne diese Investition hätte der marode Sechziger-Jahre-Bau für das Publikum gesperrrt werden müssen. Mit abgedichtetem Dach, neuen Elektroleitungen, Wärmedämmung und barrierefreien Zugängen ist nun sichergestellt, dass dieser authentische Ort der SED-Herrschaft für die Nachwelt erhalten bleibt. Auch Mielkes Büro- und Wohnmobiliar (Foto) wurde denkmalgerecht aufpoliert. Die Blümchengardinen, Sesselpolster und Holzpaneele an den Wänden wirkten schon vor 20 Jahren museal, jetzt erst recht. So unglaublich spießig sah das Nervenzentrum der monströsen Stasi-Krake aus! Die grauen Tischtelefone und klobigen Robotron-Schreibmaschinen machen augenfällig, dass Mielkes Apparat einer vergangenen Geheimdienstepoche angehörte. Umso schauerlicher die Vorstellung, seine Tugendwächter hätten sich der heute verfügbaren Überwachungswerkzeuge bedienen können. ■ Öffnungszeiten und Informationen unter www.stasimuseum.de ■ Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 18. Januar 2012. © Text und Fotos: Michael Bienert |
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