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THEATERKRITIK


Johnny Chicago von Jakob Hein. Premiere an der Volksbühne am 22. Juni 2009. Mit Kurt Krömer, Jakob Hein und Inka Löwendorf. Regie: Jochen A.  Freydank

Kurt Krömer, rette uns!


von Michael Bienert


So etwas habe er seit 25 Jahren nicht erlebt, das sei die ödeste Berliner Theaterspielzeit seit Menschengedenken, stöhnt ein älterer Kritikerkollege vor der Volksbühne. Wie fast alle Premierengäste genießt er den lauen Sommerabend und will gar nicht rein in das düstere Riesenhaus. So schöne Abende zum Flanieren gab es bisher wenige, und von dieser Spielzeit werden wohl nur die Seesäcke in Erinnerung bleiben, auf denen das Publikum die  Volksbühnenflops durchleiden musste.

Anfang des Monats hat der glücklose Intendant Frank Castorf seinen Chefdramaturgen Stefan Rosinski gefeuert, jährlich besetzt er diesen  Schleudersitz neu. Nun will er der Erfolg an der hoch subventionierten Volksbühne nach dem Rezept der Privattheater am Kurfürstendamm erzwingen: Man engagiere Fernsehprominenz als Knallchargen in einer Komödie, dann wird schon reichlich Publikum herbeiströmen und sich auf die Schenkel klatschen.

Während also am Kurfürstendamm der DEFA-Altstar Winfried Glatzeder „Die Nervensäge“ spielt, zersägt an der Volksbühne der Krawallkomiker Kurt Krömer mitleidlos alles Reste eines künstlerischen Anspruchs. Anders als vor drei Jahren in der Edelklamotte „Room Service“ an der Schaubühne ist Krömers Kodderschnauze nicht das Sahnehäubchen auf einer ausgefeilten Theaterinszenierung. Diesmal ist bloß die Krömershow aus dem Fernsehen ins Staatstheater umgezogen, um sich selbst auf die Schippe zu nehmen.
Die Bühne von Tom Hornig gleicht einem schäbigen Fernsehstudio mit obligatorischem Interviewsofa, Liveband, Bildschirmen und Kameraleuten.

Dort wird vor den Augen des Publikums der Nachmittagstalk „Ihre Stars von gestern“ produziert. Krömer, ohne Brille, dafür mit Wuschelperücke, ist nicht wie gewohnt Gastgeber, sondern Showgast. Als Johnny Chicago braucht er dringend Werbung für seine neue Schmuseschlager-CD „Ein kleines Stück Unsterblichkeit“. Berühmt wurde der abgehalfterte Publikumsliebling als ältester Mann der Welt. Das Altersgen muss bei ihm ausgefallen sein muss, mit mindestens 8000 Jahre auf dem Buckel sieht immer noch taufrisch aus.

Ein schleimiger Moderator mit dem eindeutigen Namen Kai Kacke nimmt ihn ins Talkverhör, diese Rolle hat der Theaterneuling und Stückautor Jakob Hein selbst übernommen. Lustlos beantwortet Johnny die immergleichen Fragen: Wie funktionierte Sex in der Steinzeit? Wieso hatte Johnny keine Lust, der 13. Jünger von Jesus zu werden? Wie war es, Hitler als Friseur den Bart zu rasieren? Zu manchen Episoden sind Einspielfilme vorbereitet, die als Sketche live dargeboten werden. In den Werbepausen giften sich Gast und Moderator an. Nervös stöckelt Inka Löwendorf als Assistentin Betty im knappen Röckchen durchs Studio und steht Krömer als starke Sparringspartnerin in den Sketchen zur Seite. Jochen A. Freydank, der im vergangenen Jahr einen Kurzfilm-“Oscar“ gewonnen hat, führt unauffällig Regie.

Sicher, man hat etwas zu lachen, sofern man brachialen Humor erträgt. So sieht halt derbes Berliner Volkstheater im Fernsehzeitalter aus. Dagegen wäre wenig zu sagen, wäre diese Aufführung eine Bereicherung für einen auch sonst attraktiven Spielplan der Volksbühne. So aber, als Höhepunkt am Ende der Spielzeit, macht dieser Abend nicht wirklich Freude. Der anfangs starke Applaus hielt nicht lange vor und alles drängte hinaus in die lauen Nacht: So einen Sommer wie diese Spielzeit möchte man wirklich nicht erleben.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 24. Juni 2010

Zum Spielplan: www.volksbuehne-berlin.de


© Text und Foto: Michael Bienert
















 










Michael Bienert
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