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KULTURMENSCHEN I GÜNTHER UECKER

Choreografie der Nägel

Von Elke Linda Buchholz

Günther Uecker ist ein zupackender Mensch. Er schlägt Nägel in Holz, lässt Glas zersplittern, durchpflügt die Farbmaterie mit bloßen Händen. Und er hantiert gern mit großen Menschheitsthemen wie Licht, Schöpfung, Leben und Zeit, zitiert Moses und den Koran, Majakowski, Habermas und die Charta der Menschenrechte in seinen Arbeiten. Aber ein grüblerischer, versponnener Intellektueller ist er nicht. Kunst ist bei Uecker Körpereinsatz.

Lebhaft gestikulierend führt er die Besucher durch die große Retrospektive, die der Neue Berliner Kunstverein ihm im Martin-Gropius-Bau zu seinem Geburtstag eingerichtet hat - seine erste große Werkschau in Berlin. Die 75 Jahre sieht man dem Künstler nicht an. In seiner weißen Malerlatzhose und den farbbespritzten Turnschuhen sieht er aus, als komme er geradewegs aus dem Atelier. Der Handwerker-Habitus ist sein Markenzeichen wie die Nägel in seinen Arbeiten. Lachend streicht er sich übers kurz geschorene Haar und äußert Sentenzen, die wie gehämmert wirken: „Die Quellen der Kunst liegen nicht in der Kunst, die Quellen der Kunst liegen außerhalb“. Kokett merkt der Altmeister an, dass der Martin-Gropius-Bau - immerhin Berlins größtes Ausstellungshaus - für eine wirkliche Retrospektive zu klein sei. In 19 Kapiteln wird dort sein Werk aufgerollt, das 20. Kapitel ist erst einen Monat später in der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Dort wird Uecker sieben „Sandmühlen“ in Gang setzen: endlos sich im Kreis drehende Apparate, die kreisförmig ihre Spuren in den Sand schleifen als Zeichen der gleichförmig vergehenden Zeit.
 
Die ältesten im Gropiusbau gezeigten Arbeiten entstanden vor fünfzig Jahren. Nach der Übersiedlung aus der DDR in den Westen war Uecker auf der Suche nach eigenen Ausdrucksformen. In Ostberlin hatte er an der Kunsthochschule Weißensee studiert, war „künstlerischer Bevollmächtigter für Parteiaufzüge“ gewesen. In Düsseldorf, wo er bis heute lebt, lernt er Yves Klein kennen und die Künstler der ZERO-Gruppe, Heinz Mack und Otto Piene, denen er sich für einige Zeit anschließt. Uecker experimentiert mit pastoser Farbmasse auf Leinwänden, in die er mit Fingern und Bürsten Strukturen eingräbt. Von der Bürste zum ersten Nagelbild ist es nicht weit: Das Handwerkszeug verselbständigt sich, wird selbst zum Material. Statt die Leinwand nur rückseitig am Keilrahmen festzunageln wie jeder Maler, schlägt Uecker die Nägel auf die Vorderseite - und hat sein Ausdrucksmittel gefunden. Frei nach Majakowski: „Die Poesie wird mit dem Hammer gemacht.“

Uecker benagelt Kugel und Zylinder, erprobt symmetrische und freie Strukturen, er versetzt seine Nagelbilder in Rotation und attackiert Fernseher und Klaviere mit Nagel-Formationen. Das ist frech, das birgt aggressives Potenzial, und es erweist sich als erstaunlich vielseitig. Geradezu poetisch wirken manche Tafelbilder, auf denen sich die dichtgesetzten Nagelteppiche wie Kornfelder im Wind wiegen. Jedes Jahr entsteht ein genageltes Selbstporträt im Format 2 x 2 Meter, choreografiert als abstraktes Psychogramm.

1968 im Jahr der hochkochenden Konflikte in Deutschland, gewinnen Ueckers Arbeiten an Aggressivität. Er dreht seine Spieße um: Jetzt ragen die Spitzen der Nägel dem Betrachter entgegen, gebändigt allein durch ein penibles Ordnungsraster - ganz im Sinne des damals aktuellen Minimalismus. Mit Gerhard Richter stürmt Uecker die Kunsthalle Baden-Baden und verkündet im Schlafanzug: „Auch Museen können Wohnorte sein“. Das Publikum verschreckt er mit seinem ohrenbetäubenden „Terror-Orchester“. Im Martin-Gropius-Bau darf das raumfüllende Ensemble von Krachmachermaschinen aus klopfenden Hämmern, beweglichen Messern, Waschmaschinenteilen, Hamsterkäfig und Rasenmäher noch einmal aufspielen. Provokant wirkt das alles heute nicht mehr, sondern eher wie ein großer Spaß für die Besucher, die das motorisierte Höllenspektakel per Knopfdruck selbst in Gang setzen.

Der anarchische Impuls, der sich in diesen Objekten Bahn brach, verflüchtigte sich später im Werk Ueckers. Mit zunehmend bombastischen Installationen ganz ohne Nägel reagierte er auf zeitgeschichtliche Ereignisse wie die Tschernobyl-Katastrophe, die Zerstörung heiliger Indianerstätten in Amerika oder Menschenrechtsverletzungen in China. Der Künstler wird zum Mahner, der seine Werke mit Botschaften befrachtet. Archaisierende Materialien wie Asche, Felsbrocken, Holzpfähle und Leinenbinden sollen nun die Gefährdung der Erde und den geschundenen Menschen verkörpern. Manches erinnert an Bühnenbilder. Tatsächlich hat Uecker seit den 70er Jahren auch für die Oper gearbeitet, oft zusammen mit Götz Friedrich. Sein jüngstes Theaterprojekt, das monumentale Freilicht-Bühnenbild für die Wilhelm-Tell-Inszenierung auf dem Schweizer Rütli, wird jetzt mit Hubschrauber und Eisenbahn nach Weimar geschafft. Vor Goethes Sommerhaus sollen die Holzbalken und Felsbrocken als Kulisse für Rezitationen zum Schillerjahr dienen.

Für das Reichstagsgebäude erhielt Uecker den Auftrag, einen Andachtsraum zu gestalten. Er entwarf einen Raum der Stille ohne konfessionelle Bindung, mit Nagelobjekten. Seither ist das Religiöse, das Spirituelle zunehmend zum Grundthema seiner künstlerischer Auseinandersetzung geworden. „Religio“ versteht er dabei ganz wörtlich als „Rückbindung“ an die Quellen traditioneller Weisheit. Seine letzte, für die Ausstellung geschaffene Arbeit inszeniert einen Trialog der Weltreligionen mit Originaltexten aus Bibel, Koran und Tora. Weiß in Weiß ist der Raum gehalten, mit hellen Schriftzeichen auf weißem Grund, als wolle der Künstler das göttliche Licht der Erkenntnis beschwören.

Farbigkeit ist auch sonst nicht Ueckers Markenzeichen. Erst ist Purist und liebt schlichte Materialien. Umso überraschender wirken seine farbenfrohen Aquarelle, die jetzt erstmals gezeigt werden, - parallel zur großen Retrospektive - in den Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins in Mitte. Es sind tagebuchartige Notate kleinen Formats, die Uecker zu Hunderten auf seinen Reisen gemalt hat. Da leuchten bunte kalligrafische Strukturen aus Japan, rot-blaue Sonnennachbilder aus Westafrika, Wolkenformationen aus Afrika. Als eigenständige Kunstwerke will der Künstler die seriell angefertigten Blätter nicht verstanden wissen, eher als Studien, in Farbe umgesetzte Wahrnehmungen, „Farbwirklichkeiten“. Erstaunlich heiter wirken die zu seriellen Blöcken gruppierten Blätter. Sie fügen Ueckers bekanntem Werk eine ganz neue Seite hinzu.

ERSTDRUCK: STUTTGARTER ZEITUNG vom 12. März 2005


© für Text und Fotos: Elke Linda Buchholz




Michael Bienert

Elke Linda Buchholz

Stille Winkel in
Potsdam

Ellert & Richter Verlag
Hamburg 2009
128 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag
Preis: 12.95 EUR

 



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