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THEATERKRITIK


Prometheus, gefesselt von Aischylos. Premiere an der Schaubühne am 26. November 2009. Mit Ernst Stötzner u. a.. Regie: Jossi Wieler.


Triumph der Ohnmacht

von Michael Bienert

Die griechischen Götter sind sehr menschlich in ihren Launen, ihren Schwächen und ihrer Zerstrittenheit. Deshalb können sie auch von Menschen auf der Bühne gespielt werden. Unsere Konflikte erscheinen dann verfremdet: Sie sind nichts Persönliches und Vergängliches mehr, sondern etwas Allgemeines und Überzeitliches.

Mit wenig Bühnenpersonal und minimalem Aufwand skizzierte Aischylos vor 2500 Jahren eine Weltordnung, an der sich erschreckend wenig geändert hat. Sein Drama „Prometheus, gefesselt“ stellt den Widerspruch zwischen Geist und Macht in einem einzigen Bild vor Augen. Prometheus, der den Menschen das Feuer gebracht hat, ist auf Befehl des neuen Machthabers Zeus an einen Felsen geschmiedet worden. Der Protagonist ist zwar handlungsunfähig, aber sein Kampf noch lange nicht zuende. Denn Prometheus ist unsterblich und weiß: Es kommt die Zeit, wo die Macht an ihren Widersprüchen zerbricht. Nur mit Hilfe des listigen Prometheus konnte Zeus ganz nach oben gelangen. Eines Tages wird dem Weltenlenker nichts übrig bleiben, als den gedemütigten Gott erneut um Beistand anzuflehen.

Prometheus ist älter als Zeus, daher hat es seine Richtigkeit, dass an der Schaubühne der weißstruppige Ernst Stötzner die Hauptrolle spielt. In Jeans und weißem T-Shirt steht er auf einem kleinen Steinquader im Wasser, angekettet an eine halbrunde Betonwand (Ausstattung von Jens Kilian). Teilnahmslos lässt er den Kopf hängen, wacht erst langsam auf, als andere Götter sein Elend in Augenschein nehmen. Dieser Prometheus könnte ein eingekerkerter Intellektueller irgendwo auf der Welt sein. Er leidet, er jammert, er klagt an, doch vor allem ist er stolz darauf, was er aus den Menschen gemacht hat. Zeus wollte sie auslöschen und durch ein anderes Geschlecht ersetzen. Prometheus hat sie von schmutzigen Höhlenbewohnern zum Kulturvolk gebildet.

Wie leistet jemand Widerstand, der sich nicht bewegen kann? Indem er seinen Standpunkt verteidigt. Das Leiden des Eingekerkerten weckt das Mitleid der anderen Götter, die sich mit der neuen Weltordnung des Zeus arrangiert haben. Der Meergott Okeanos (Thomas Bading) bietet sich als Vermittler an: In seinem blauen Anzug ist er das Inbild eines  opportunistischen Funktionärs. Seine Fahrigkeit verrät, wie wenig er mit sich im Reinen ist. In adretten Matrosenblusen bilden seine beiden Töchter (Grit Paulussen und Luise Wolfram) den antiken Chor, hin- und hergerissen zwischen naiver Neugier und Entsetzen.

Prometheus soll den Riss durch die Welt kitten, indem er die herrschenden Machtverhältnisse anerkennt. Vergeblich bitten die Okeaniden, umsonst droht der vom wütenden Zeus geschickte Götterbote Hermes, der an einem Seil von der Saaldecke schwebt, mit drakonischer Strafverschärfung. Seine Dumpfheit spricht klar gegen das Regime des Zeus. Außer Hermes und dem Götterschmied Hephaistos verkörpert der bärenhafte Niels Bormann auch das Mädchen Io, dem Zeus nachstellt und das vom Mückenstichen bis zum Wahnsinn gepeinigt durch die Welt irrt. Wie Prometheus muss Io noch lange leiden, denn einer ihrer Nachkommen soll ihn in ferner Zukunft befreien.

Für ihre großen Antikenprojekte war die Schaubühne einmal berühmt, unter der Leitung von Thomas Ostermeier geriet das in den letzten 10 Jahren fast in Vergessenheit. Als Gastregisseur knüpft der Stuttgarter Opernchef Jossi Wieler den abgerissenen Faden wieder an. Dass die Zeiten sich geändert haben, merkt man vor allem am Tempo: Um die Götter Griechenlands wiederzubeleben, reichen heutzutage 80 Minuten vollkommen aus.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 28. November 2009

Zum Spielplan: www.schaubuehne.de


© Text: Michael Bienert







Michael Bienert
Mit Brecht durch Berlin
Insel Verlag it 2169
272 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-456-33869-1
10 Euro







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