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KULTURMENSCHEN I HERMANN PARZINGER
Archäologie als Leistungssport Von Elke Linda Buchholz Wuchtige Tische, wandhohe Bücherschränke, holzvertäfelte Wände und Eichenparkett: Das riesige Arbeitszimmer von Hermann Parzinger im Deutschen Archäologischen Institut könnte würdevoller nicht sein. Vor fast hundert Jahren hat der Architekt Peter Behrens die klassizistische Villa für den Direktor der Berliner Antikensammlung entworfen. Aus großen Fenstern geht der Blick in einen arkadengesäumten Gartenhof, wo die Bronzeskulptur eines antiken Kugelspielers zum großen Wurf ausholt. ![]() Zugute kommt ihm dabei, dass er zehn Sprachen beherrscht, darunter Russisch, Serbokroatisch, Türkisch. Gemeinsam mit Kollegen aus Russland stieß er 2001 in Arzhan (Republik Tuva) auf seinen sensationellsten Fund: das 2500 Jahre alte Grab eines Skythenkriegers, ausgestattet mit Tausenden von Goldobjekten. Eine Sternstunde der Archäologie. „Der Schatzfund war pures Glück,“ sagt Parzinger: „Uns interessierte eigentlich vor allem die Architektur der riesigen Königskurgane, dieser fürstlichen Grabhügel. Denn es sind architekturgewordene Rituale: Sie geben uns Auskunft über soziale Hierarchien.“ Mehr als 100 000 Besucher haben seine große Skythen-Ausstellung in Berlin und München gesehen. Parzinger ist ein Grenzgänger zwischen den Welten, zwischen West und Ost, zwischen Sprachräumen und Nationalitätengrenzen, zwischen computergestütztem Wissenschaftsbetrieb und uralten Steingräbern. „Ich bin Jahr vielleicht zwei Monate auf Grabung. Den Rest sitze ich am Schreibtisch. Das Schreiben ist ein Lebenselexier. Wenn ich nicht dazu käme, die Dinge zu durchdenken, wäre die Ausgrabungszeit verlorene Zeit.“ Das Interesse für Geschichte packte den 1959 in München geborenen Hermann Parzinger schon als Kind, auf Ferienreisen in Italien. Nach dem Abitur fiel ihm eine Broschüre über den Beruf des Archäologen in die Hände und Parzinger wusste: das ist es. Raus in die Welt, reisen, sich mit Geographie beschäftigen, Sprachen lernen, Entdeckungen machen, nicht nur die bekannten Denkmäler und Quellen interpretieren. „Eine archäologische Grabung kann unser Geschichtsbild völlig auf den Kopf stellen! Das fand ich sehr attraktiv.“ Mit sicherem Instinkt für wenig abgegraste Forschungsbereiche wählte Parzinger die Vor- und Frühgeschichte, eine Epoche, aus der sich keine schriftlichen Zeugnisse erhalten haben. „Am Institut in München war eine tolle Arbeitsatmosphäre, ungeheuer stimulierend, geradezu eine Offenbarung für mich, ganz anders als in der Schule.“ Bereits nach 9 Semestern war die Magisterarbeit fertig, parallel dazu die Dissertation in Arbeit. Mit 32 Jahren hatte sich Parzinger habilitiert und war in leitender Funktion im Deutschen Archäologischen Institut tätig. 1998 erhielt Parzinger die höchstdotierte deutsche Forschungsauszeichnung, den ersten Leibniz-Preis für einen Prähistoriker. Ein akademischer Überflieger, aber kein stromlinienförmiger. Anders als die Fachkollegen mochte Parzinger sich nie auf ein einziges Spezialgebiet festlegen. Das alte Idealbild eines Universalhistorikers schimmert durch, wenn Parzinger von seinen Forschungsschwerpunkten erzählt. Als man 1995 einen Direktor für die neugegründete Eurasien-Abteilung suchte, war er gerade der richtige. Denn die Ostblockländer waren bis zum Fall des eisernen Vorhangs für deutsche Archäologen ein weißer Fleck auf der Landkarte. So kam Parzinger zu den Skythen, die ihn unverhofft in die Spitze der internationalen Archäologenzunft katapultierten. Als Präsident seines Instituts genießt er es, das gesamte Spektrum der Archäologie im Blick zu haben. Auch den Kollegen mutet er zu, die großen Fragen nicht aus den Augen zu verlieren. „Wie entwickeln sich politische Räume? Unter welchen Bedingungen entstehen Heiligtümer? In Südamerika, in China, in Griechenland: Wenn man das im globalen Maßstab vergleicht, ist man den Grundmechanismen menschlichen Handelns auf der Spur.“ Forschungscluster nennt man das neudeutsch. Nach Jahrzehnten extremer wissenschaftlicher Spezialisierung setzt Parzinger einen Paradigmenwechsel durch. Der Prähistoriker entpuppt sich als Wissenschaftsmanager modernen Typs. In den knapp fünf Jahren als Institutschef hat er seiner alterwürdigen, vor über 175 Jahre gegründeten Anstalt eine Modernisierungskur verpasst, dass manchen Kollegen Hören und Sehen verging. Nicht nur die Effizienz der Verwaltung kam auf den Prüfstand. Statt sich über lästige Organisationsaufgaben zu ärgern, entdeckte Parzinger seine Aufgabe als kreative Herausforderung. Er ging daran, die Personalpolitik flexibler zu machen, das Forschungsprofil schärfer, die Außendarstellung zugkräftiger, die Kommunikation im Haus und zu den Geldgebern in der Politik offensiver. Manch einer dürfte froh sein, wenn der dynamische Präsident bald seinen Schreibtisch räumt. Für sich selbst verbucht Parzinger diese Zeit als Gewinn: „Ich habe festgestellt, dass das eine sehr schöne Aufgabe ist. Das ist auch ein Stück Persönlichkeitsentwicklung.“ Jetzt weiß er, dass er so etwas kann. Und dass er es will. Woher nimmt dieser Mann seine Energie? Im Büro liegt eine Judo-Zeitschrift zwischen Stapeln archäologischer Fachliteratur. In seiner Jugend war Parzinger Leistungssportler. Seit einigen Jahren trainiert er wieder und war schon mehr Berliner Meister, im Einzel und mit der Mannschaft. „Jogging wäre mir zu langweilig.“ Beim Kampfsport powert er sich aus, vergisst allen Stress und schätzt die sportliche Fairness: Es wird mit harten Bandagen gekämpft, aber danach gibt man sich in Freundschaft die Hand. Auseinandersetzungen auszuweichen ist - bei aller Konzilianz - nicht Parzingers Art. Alleinerziehender Vater in Teilzeit ist er auch noch: immer dann, wenn seine Ehefrau, eine spanische Althistorikerin, während des Semesters an der Universität in Madrid ihre Vorlesungen hält. Dem väterlichen Verhältnis zur inzwischen 13jährigen Tochter hat das nicht geschadet. Aber gut organisiert muss man sein, um alles unter einen Hut zu bringen. Jetzt steht der Wechsel an die Spitze der größten deutschen Kultureinrichtung bevor. Ob dann noch Zeit für archäologische Exkursionen in ferne Steppen bleibt? Alles eine Frage des Zeitmanagements: „Ich bin nicht der Typ, der sich im Sommer wochenlang ans Meer legt.“ Eher schon kann Parzinger sich vorstellen, seinen nächsten Jahresurlaub im Südosten Kazachstans zu verbringt. Dort gibt es ein paar Kurgane, die er gerne noch ausgraben würde. Sein weltläufiges Verhandlungsgeschick und seine guten persönlichen Kontakte in Osteuropa wird Parzinger auch weiterhin gut brauchen können: Tausende Kunstobjekte aus ehemals preußischem Besitz lagern noch immer in den Depots russischer Museen: Beutekunst. ![]() Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG, 5. Januar 2008 © für Text und Fotos: Elke Linda Buchholz ■ WEITER ZUM INTERVIEW MIT HERMANN PARZINGER >>> |
![]() Michael Bienert Elke Linda Buchholz Stille Winkel in Potsdam Ellert & Richter Verlag Hamburg 2009 ISBN: 978-3-8319-0348-1 128 Seiten mit 23 Abbildungen und Karte Format: 12 x 20 cm; Hardcover mit Schutzumschlag Preis: 12.95 EUR |
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