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NEUE NATIONALGALERIE I MODERNE ZEITEN


Raus aus dem Depot!
Die Neue Nationalgalerie entdeckt ihre Sammlung neu

von Elke Linda Buchholz

Die Porträtgalerie ist ein Schock. Rahmen an Rahmen hängen Ikonen der Moderne von Dix, Modigliani und de Chirico in drei Reihen ohne Beschriftungstäfelchen übereinander, wie in einem drittklassigen Auktionshaus, untermischt mit Werken wenig bekannter Maler. Auf einem nachgebauten Kaminsims prangt die futuristische Bronzebüste des "Sturm"-Galeristen Herwarth Walden vor der weinroten Wand. Dann begreift man: Der Direktor der Berliner Nationalgalerie Udo Kittelmann ahmt mit dieser Inszenierung das private Salon-Ambiente nach, für das all diese Porträts ursprünglich entstanden. Losgelöst vom Ordnungssystem der Kunstgeschichte treten sie in einen Wettstreit der Gesichter und Stile. Wer ist dieser markante Typ mit der Hakennase? Welche Künstlerin blickt dort so konzentriert neben ihrem Aktmodell aus dem Bild?


"Moderne Zeiten" nennt Kittelmann seine Neupräsentation der Bestände von 1900 bis 1945 im Mies-van-der-Rohe-Bau. Das untere Ausstellungsgeschoss des Bauwerks hat er denkmalgerecht in seinen Urzustand zurückversetzt. Jeder Sessel von Mies steht am originalen Platz. Nur in der oberen, gläsernen Halle dürfen aktuelle Interventionen das Juwel der Architekturmoderne auch einmal ironisieren. Hier hat der Künstler Rudolf Stingel großgemusterte Teppiche ausgerollt und Kronleuchter aufgehängt. Doch solche Sonderausstellungen sollen künftig nur das Sahnehäubchen sein. Was zählt, ist die hauseigene Sammlung von Weltrang, und ihr will Kittelmann endlich wieder zu mehr Strahlkraft verhelfen. Zu oft wanderten die Meisterwerke ins Depot, um Blockbuster-Ausstellungen zu weichen. So macht der Direktor aus der Finanznot eine kuratorische Tugend.  

Nicht immer geht es dabei so mutig und unkonventionell zu wie im Porträtkabinett. Um zentrale Hauptwerke wie Ernst Ludwig Kirchners "Pariser Platz" oder Otto Dix´ "Stützen der Gesellschaft" wurden thematische Räume gestrickt, die nur locker einer Chronologie folgen. Brüche und Ungleichzeitigkeiten werden akzentuiert, gesellschaftliche Hintergründe angerissen. Den lichtdurchfluteten Gartensaal füllen die paradiesischen Freiluft-Akte der Brücke-Künstler mit Euphorie und Optimismus. Hannah Höchs freche, aber vergilbte Collage "Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die Weimarer Bierbauch-Kulturepoche" versprüht neuen Schwung und Witz, wenn daneben Charlie Chaplin auf Celluloid gegen das Räderwerk der Moderne ankämpft.


Für Überraschungen sorgen Künstler wie Kurt Querner oder Oskar Fischer, die als kommunistische Parteigänger in der DDR hohes Ansehen genossen, im Westen aber kaum bekannt sind. Der Ausstellungsparcours speist sie ganz selbstverständlich in den Kanon der klassischen Moderne ein. Souverän begegnet Oskar Nerlingers elegant-konstruktivistische Stadtbilder dem farbstarkem Pariser Eiffelturm-Gemälde von Robert Delaunay. Der Worpsweder Jugendstilkünstler Heinrich Vogler überrascht mit Agitprop-Gemälden in futuro-kubistischem Stil, entstanden in der Sowjetunion der 20er Jahre.

Auch ihre eigene, wechselvolle Sammlungsgeschichte will die Ausstellung miterzählen. So zeigen großformatige Schwarzweißreproduktionen neben den ausgestellten Gemälden die von den Nazis geschlagenen Lücken. Der Blick auf die Moderne in Deutschland ist eben nicht ohne die Brüche der NS-Zeit zu haben. Im letzten Raum "Nacht über Deutschland" hockt, nur von einem Schlaglicht erhellt, eine massige Mutterfigur von Käthe Kollwitz und birgt schützend ihre Kinder mit dem nackten Leib. Rundum an den Wänden gestikulieren brutale Agitatoren von Querner und Felixmüller, rattert die tödliche Rüstungsmaschinerie, wüten Polizeiterror und wilde Bestien. Die Dramatik der Inszenierung weckt Gänsehaut. Wenige Schritte weiter jedoch treten den ausgemergelten Gestalten des Realisten Karl Hofer unverhofft halbabstrakte Gemälde des jungen Ernst Wilhelm Nay gegenüber. Auch sie entstanden bereits während der NS-Zeit. Fortsetzung folgt: Der zweite Teil der Sammlung mit Werken ab 1945 wird ab Herbst 2011 gezeigt.
 
Alles auf einmal auszustellen, dafür fehlt der Nationalgalerie schlicht der Platz. Einen zumindest temporären Ausweg aus der Raumnot verspricht eine jüngst gemachte Entdeckung. Mies van der Rohe hatte ursprünglich zusätzliche Räume unterhalb der Terrassen des Bauwerks angelegt. Sie wurden bereits während der Bauphase verfüllt und gerieten in Vergessenheit. Bis zum Sommer soll ein bautechnisches Gutachten darüber Klarheit bringen. Die ganz große Perspektive für die Neue Nationalgalerie aber bleibt, so der Generaldirektor der Staatlichen Museen Michael Eissenhauer, der Umzug der Gemäldegalerie Alter Meister in einen geplanten Erweiterungsbau der Museumsinsel. Dann wäre am Kulturforum endlich genügend Platz für das 20. Jahrhundert. Hoffnungsvolle Zeiten - in weiter Ferne.


Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 9. April 2010
© Text und Foto: Elke Linda Buchholz



 


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Elke Linda Buchholz
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