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nach Ende der Ausstellungszeit ohne Bilder.

Lotte Laserstein, In meinem Atelier, 1928, Privatbesitz
Bild: Lotte-Laserstein-Archiv/ Krausse, Berlin
© VG Bild-Kunst, Bonn 2019
 


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LOTTE LASERSTEIN
VON ANGESICHT ZU ANGESICHT


Von Elke Linda Buchholz

Zuerst im Frankfurter Städel, jetzt in der Berlinischen Galerie: Zwei der renommiertesten Museen Deutschlands rollen für Lotte Laserstein den roten Teppich des ganz großen Ausstellungsformats aus und widmen ihr eine Solo-Retrospektive. Sie hat es verdient.

Die lange Zeit völlig vergessene Laserstein gehört mit ihren eigenwilligen Porträts, modernen Alltagsszenen und psychologisch tiefgründigen Gruppentableaux unbedingt mit in den kunsthistorischen Kanon und ins Gedächtnis der breiten Öffentlichkeit. Ihre ausgeklügelten Kompositionen und die versierte Pinselführung verraten ein herausragendes Talent. Vor allem aber wirft Laserstein einen ganz eigenen Blick auf ihre Zeitgenossinnen und Zeitgenossen der 20er Jahre, hinterfragt Geschlechterrollen und stellt auf den Prüfstand, was das sein könnte: die Neue Frau, von der in den Medien damals so viel die Rede war. Es gehört mehr dazu als ein Kurzhaarschnitt, die traditionellen Genderklischees auszuhebeln, das machen Lasersteins subtile Schilderungen klar.

Eine Malerin arbeitet an der Staffelei, dass kinnkurze Haar hinters Ohr gestreift. Kritisch schaut ihr eine zweite junge Frau beim Malen über die Schulter. Breitbeinig steht sie schräg im Bildraum mit ihrem schmalen, modischen Karo-Rock. Ein stabiles und zugleich elastisches Stehen ist das, mit den Händen locker auf der Hüfte. Im schrägen Streiflicht, das von hinten durch ein Dachfenster einfällt, bilden die Frauenkörper eine gespannte, raumgreifende Doppelfigur, wie zufällig aus der natürlichen Bewegung gewonnen. "Zwei Mädchen" heißt das Bild von 1927 lapidar. Dass sich die Künstlerin hier selbst bei der konzentrierten Arbeit zeigt, verrät ihre Physiognomie. Immer wieder hat Laserstein sich und ihr Metier reflektiert. Sie malt das Malen.

Ihre Pinselstriche sitzen breit und locker, schichten sich zu sorgfältig durchgearbeiteten Farbmodulationen und formen Licht- und Schattenpartien gekonnt. Koloristisch macht ihr niemand etwas vor. Aber forcierte Stilexperimente, wie sie die Expressiven und Abstrakten seinerzeit vollführten, waren Lasersteins Sache nicht. Sie hatte ihr Handwerk von der Pike auf gelernt und war stolz darauf, es zu beherrschen. Warum infragestellen, was sich noch immer eignete, im Bild einen Reflexionsraum der Gegenwart zu schaffen. Manet wollte ein Maler des Modernen Lebens sein. Laserstein war es auch, auf ihre Art.

Lotte Laserstein, Am Motorrad, 1929, Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin, Inv.-Nr. 1990/2491
© Foto: Deutsches Historisches Museum/ A. Psille; © VG Bild-Kunst, Bonn 2019


Einen Motorrad-Fahrer in Lederkluft lässt sie breitbeinig vor seiner Maschine posieren: Inbild einer motorisierten Generation. Ihre schlanke, trainierte Tennisspielerin pausiert im adrett gestreiftem Trainings-Outfit mit Sonnen-Cap lässig am Spielfeldrand. Aber sie bleibt aktiv, als wache Beobachterin des Geschehens. In Lasersteins Gemälden sind die Frauen nie bloß Objekt, sondern immer selbstbewusste Akteurinnen – sogar wenn sie nur Blicke aussenden. Übrigens sitzt die Tennisspielerin in ihrer komplexen Körperdrehung so formvollendet da, wie ein Diskuswerfer aus der antiken Bildhauerkunst. Das merkt aber nur, wer die Kunstgeschichte wie Laserstein verinnerlicht hat. Bei Ingres, Degas, Leibl und Schuch fand sie Darstellungsstrategien, die sie interessierten.

Ihr "Russisches Mädchen mit der Puderdose", das sie 1928 zum Wettbewerb um das "Schönste deutsche Frauenporträt" einreichte, ist an der berühmten "Venus mit Spiegel" des Renaissance-Malers Giovanni Bellini geschult. Unter 365 Einsendungen kam das Gemälde in eine Best-Of-Auswahl, die als Wanderausstellung tourte. Auslober der Schönheitskonkurrenz war die Kosmetikfirma Elida, was Lasersteins Motiv ohne Berührungsängste gegenüber der Populärkultur aufgreift. Gespür für Mode- und Stylingfragen hatte die Künstlerin ohnehin. Jeder Kragenschnitt, Rocksaum oder Schuhriemen ihrer Modelle sitzt. Aber das bleibt Nebensache. Eigentlich geht es bei Lotte Laserstein um Malerei.
 
Ihre Wiederentdeckung begann, als eine britische Galeristin 1987 auf der Suche nach Arbeiten von Erich Wolfsfeld, dem Akademielehrer Lasersteins,   zufällig auf Werke von ihr stieß. Eine erste Laserstein-Retrospektive richtete 2003 das auf Kunst von Frauen spezialisierte Verborgene Museum in Berlin aus. Seither ist viele Unbekanntes und verschollen Geglaubtes aus Privatbesitz ans Licht gekommen. Das wichtige Werk "Im Gasthaus", das eine emanizipierte Städterin allein in einem Bierlokal zeigt, fehlt leider in der aktuellen Ausstellung. Es war zwischenzeitlich in einer Auktion aufgetaucht, dann aber wieder in einer unbekannten Privatsammlung verschwunden. Die fulminante Werkauswahl konzentriert sich mit rund 70 Arbeiten vom großformatigen Ölgemälde bis zum Skizzenbuchblatt hauptsächlich auf Lasersteins Berliner Glanzzeit der 20er und 30er Jahre. Nur wenige Gemälde, wie das Porträt Otto Klemperers von 1947, werfen ein Schlaglicht auf ihr Nachkriegswerk.

Sachlich und sinnlich zugleich spiegeln ihre Werke einen eindringlichen Blick auf die Gegenwart. Nicht der Mythos der hektischen Großstadt Berlin mit ihrer schillernden Vergnügungsmaschinerie wird da bedient. Oft ziehen sich Lasersteins Szenen ins ruhige Interieur–Setting zurück, um mit Spiegeln raffinierte Bildräume und Blickbeziehungen aufzuspannen. Ihr Lieblingsmodell Traute Rose wird dabei zur vertrauten Gefährtin. Thema Malerin und Muse: Was man tausendfach aus männlicher Perspektive kennt, formuliert Laserstein neu und anders. Auf einem Doppelbildnis legt Traute der Malerin behutsam eine Hand auf die Schulter. Man meint erotische Untertöne in der körperlichen und emotionalen Nähe der beiden Frauen zu spüren. Aber, wie Kuratorin Annelie Lütgens betont, gibt es keine Belege, dass zwischen ihnen mehr war als freundschaftliche Verbundenheit.

Oft sind Lasersteins Gemälde in Wirklichkeit kleiner, als sie auf Abbildungen wirken. Vielleicht liegt das daran, dass sie so unglaublich gut komponiert sind. Sie besitzen innere Monumentalität. Etwa beim ganzfigurigen Akt, einem Prüfstein malerischen Könnens seit Tizian, Velázquez und Manet. "In meinem Atelier" zeigt Laserstein ihr Lieblingsmodell hüllenlos im nüchternen Tageslicht vor der beschneiten Großstadtkulisse des Fensterausblicks. Auch koloristisch ist die sensible Schilderung ein Meisterstück. Man spürt: Laserstein will zeigen, dass sie´s kann. Ohne aufzutrumpfen. Künstlerinnen war das akademische Aktstudium bis in die Weimarer Republik ja verwehrt. Es galt absurderweise als unschicklich, obwohl die Modelle ja ebenfalls meist weiblich waren. Als Laserstein sich 1921 an der Berliner Kunsthochschule einschrieb, war diese Ausgrenzung vorbei. Ihre großformatigen Männerakt-Zeichnungen aus dem Studium erfassen mit kräftigen Strichen feinfühlig das Spiel der Muskeln unter der Haut.

Wanda von Debschitz-Kunowski, Ohne Titel (Lotte Laserstein vor dem Gemälde „Abend über Potsdam“), undatiert, Schenkung aus Privatbesitz, Repro: Anja Elisabeth Witte
© VG Bild-Kunst, Bonn 2019


"Die kann malen", resümierte eine Kritiker 1930. "Ihr starkes Können imponiert", gab auch der angesehene Adolph Donath zu. Laserstein hatte Erfolg, und sie ging es strategisch an. Sie beschickte zahlreiche Ausstellungen, vernetzte sich in Künstlervereinen und Frauenorganisationen, unterschrieb aber bei keinem Galeristen einen festen Vertrag. Bei der Ausschreibung zum Großen Staatspreis 1929 kam sie unter die ersten vier; Mitjurorin Käthe Kollwitz zollte ausdrücklich Respekt. Mit einer gleich nach Studienende eröffneten Malschule sichert Laserstein ihren Broterwerb, wie sie es schon bei ihrer eigenen Tante als kleines Mädchen erlebt hatte. Mit ihren Malschülern reiste zu  Studienexkursionen ins Weserbergland und ans Meer, wovon in der Ausstellung ländliche Szenen zeugen.

Eine der wichtigsten Leihgaben steuerte die Nationalgalerie bei: "Abend über Potsdam" von 1930 genießt mittlerweile schon fast Kultstatus als seismographisches Psychogramm einer Epoche. Auf einer Dachterrasse haben sich am langen Tisch junge Erwachsene versammelt, eine säkularisierte Abendmahlsszene. Die Gespräche schweigen, die Biergläser sind halbleer. Die Stimmung changiert zwischen sanfter Melancholie und intellektueller Ernüchterung. Was tun? Weggehen oder bleiben? Wenige Jahre später ist die Freundesrunde verstreut. Laserstein selbst ging ins Exil nach Schweden. Dass sie jüdische Vorfahren hatte, wurde ihr erst in der NS-Zeit bewusst.

Bis 12. August 2019 in der Berlinischen Galerie. Weitere Informationen auf der Ausstellungswebsite

Lotte Laserstein, Abend über Potsdam, 1930, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. Bild: bpk/ Nationalgalerie, SMB/ Roman März
© VG Bild-Kunst, Bonn 2019















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