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Via Lewandowsky vor dem Deutschlandhaus, Juli 2020. Fotos: Michael Bienert  

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NÄGEL IM ASPHALT

Vor dem Deutschlandhaus gestaltet der Künstler Via Lewandowsky eine Installation zum Thema Flucht und Vertreibung. Eine Begegnung auf der Baustelle im Juli 2020.

Von Michael Bienert

Einen Nagel in die Wand zu schlagen, kann schmerzhaft sein, ein Abenteuer oder auch Kunst. Hundertausende Nägel in Gussasphalt zu versenken, dieses Vorhaben hat sich für den Künstler Via Lewandowsky zu einem Drama ausgewachsen. Im Atelier ist das Nageln kein Problem, aber im öffentlichen Raum, auf Straßenniveau, tun sich Abgründe auf: Könnten Spaziergänger auf dem mit Nagelköpfen gespickten Untergrund vielleicht ausrutschen oder sich verhaken? Könnten vorbeifahrende Autofahrer möglicherweise von den in der Sonne funkelnden Metallpunkten geblendet werden? Und zerbröselt vielleicht die Asphaltdecke, wenn sie vieltausendfach mit Stahlstiften durchbohrt wird?



Vor dem Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof erzählt der Künstler mit lebhafter Gestik von widerstreitenden Gutachten, Laborproben, Behördenauflagen, Zerwürfnissen, Rechtsanwaltsschreiben und einer Kulturstaatsministerin, ohne deren Rückhalt er das Projekt hingeschmissen hätte. Nun aber scheint alles gut zu werden, etwa die Hälfte der Stahlnägel ist schon im Boden. Bis Ende August soll die Installation fertig sein. 40.000 Nägel hat Lewandowsky selbst in den Boden gehämmert. Bis zu zwölf Helfer beschäftigt er täglich auf der kleinen Baustelle vor dem ehemaligen Café Stresemann.

Lewandowsky, 1963 in Dresden geboren, ist auch Performancekünstler, in den letzten Jahren der DDR gehörte er zu einer subversiven Truppe, die sich „Autoperforationsartisten“ nannte. Das schweißtreibende Perforieren des Asphalts in Handarbeit ist für ihn ein essentieller Bestandteil des Werkprozesses. Insgesamt 50 Leute hätten schon – bezahlt und unbezahlt – mitgemacht, berichtet der Künstler. Alte und Junge, Deutsche und Nichtdeutsche, Männer und Frauen, das ist ihm wichtig. Nur ein dünner Metallgitterbauzaun trennt das hammerschwingende Ensemble vom Verkehr auf der belebten Straßenkreuzung an der Ruine des Anhalter Bahnhofs.

Jan Sommerfeldt gehört zu denen, die aus Spaß mitmachen. Er sitzt auf dem Boden, neben sich einen Pappkarton mit einem Kilo Industrienägeln, rund 1400 Stück. Das sei für ihn ein Tagespensum, sagt er, dafür benötige er etwa sechs Stunden. Andere schaffen mehr. Durchschnittlich zehn Schläge sind nötig, ehe ein Nagelkopf bündig mit der Asphaltoberfläche abschließt. Das funktioniert nur, wenn der Asphalt weich ist, so um die 60, 70 Grad sollte er haben. Sofern die pralle Sommersonne scheint, sind die Bedingungen ideal – für den Nagel, nicht für die Arbeiter. An bewölkten Tagen ist das unbequeme Kauern auf dem Boden weniger schweißtreibend. Dann aber müssen die Einschlagstellen erst mit elektrischen Heizkissen erwärmt werden, damit die Nägel durchdringen.



Mit dünnen gelben Fäden hat Via Lewandowsky Felder auf dem Boden markiert, damit die Helfer wissen, wo sie die Stifte enger und weiter setzen sollen. „Die Dichte soll zum Gebäude hin zunehmen“, erklärt er. Das war ursprünglich mal anders geplant und auch einer der Streitpunkt mit den Architekten.“ Vor dem Haupteingang an der Stresemannstrasse ist der Nagelteppich schon vollständig. Die Metallpunkte gleißen im Gegenlicht der Vormittagssonne: „Wie eine anbrandende Welle, das ist doch sehr schön.“

Ein Überraschungsmoment, denn auf den allerersten Blick wirkte das Grau in Grau der benagelten und leicht beschmutzten Asphaltdecke wenig spektakulär. „Ich mag diese Unmerklichkeit“, sagt Lewandowsky. Seine Installationen wirken auf den ersten Blick oft profan. Ein listiger Verfremdungseffekt oder Perspektivenwechsel sorgen dann für ein Aha-Erlebnis. 2003 rollte Lewandowsky in einem Lichthof des Bendlerblocks einen roten Teppich aus, der die Besucher mit einem scheinbar abstrakten Muster empfängt. Aus größerem Abstand entpuppt die Ornamentik sich als fotografische Vogelschau auf das zerbombte Berlin am Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine Erinnerung an den Schrecken, der von dem Militärgebäude ausging und eine Mahnung an die Mitarbeiter im heutigen Bundesministerium für Verteidigung.

Der Nagelteppich um das Deutschlandhaus hat keine so pointierte Botschaft. Das Geschäftshaus aus den Zwanzigern war bis 1999 Sitz der Vertriebenenverbände. Seither wurde die Neueröffnung als Ausstellungshaus und Dokumentationszentrum der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung und Versöhnung“ vorbereitet. Beim aufwändigen Um- und Ausbau des Hauses kam es immer wieder zu Verzögerungen. Den Kunst-am-Bau-Wettbewerb für die Gestaltung der Freiräume um das Gebäude hatte Lewandowsky mit dem Architekturbüro Annabau bereits 2013 gewonnen. Erst letzten Sommer durfte er den ersten Nagel einschlagen, für nächste Jahr ist die Eröffnung des Lern- und Gedenkortes zur Zwangsmigration angekündigt.



Nägel sind oft die einzigen Spuren, die Archäologen von zerstörten Häusern vorfinden. In der christlichen Ikonographie steht der Nagel in Verbindung mit den Schmerzen des Erlösers am Kreuz. Via Lewandowsky erzählt, er sei durch einen Nagel im Alter von drei Jahren auf einem Auge erblindet. Der Nagel steht für Schmerz und Erinnerung. „Millionen von Nägeln symbolisieren die Nichtrepräsentierbarkeit, Unfaßbarkeit, Nichtzählbarkeit und Nichtdarstellung des Erlebens von Flucht und Vertreibung“, heißt es im Erläuterungstext zum Nagelprojekt. Es erzeuge ein „abstraktes Bild jenseits von Wertung und Bewertung“.

Einerseits ist die Installation hochgradig mit Bedeutung aufgeladen, andererseits hält sie sich damit zurück, weh zu tun, zu provozieren oder zu verletzen. Auf die Gefahr hin, dass die Arbeit lediglich als dekoratives Ornament um den künftigen Gedenk- und Lernort wahrgenommen wird, wenn überhaupt. Das Störende und Verstörende des Themas Vertreibung ist aufgehoben in einer unaufdringlichen und poetischen Rauminszenierung. Es hat etwas Versöhnliches und Tröstendes, wenn tausende Nägelköpfe in der Sonne blitzen wie eine ferne Galaxie.


Fotos: Michael Bienert









 
 
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