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Fotoinstallation in der Heartfield-Ausstellung der Akademie der Künste, 2020. Foto: Michael Bienert |
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EIN SOMMER MIT JOHNNY
Ein Streifzug durch John Heartfields Berlin, sein Adressbuch und die dem Fotomonteur gewidmete Ausstellung der Akademie der Künste von Michael Bienert Als SA-Männer an der Wohnungstür rumorten, rettete sich der Künstler durch einen Sprung vom Balkon. Zum Glück lag die Wohnung im Hochparterre. Im Hof diente der ausgediente Leuchtreklamekasten eines Friseurs als Versteck. Ohne Papiere floh John Heartfield aus Berlin ins schlesische Oberschreiberhau und überquerte an Ostern 1933 die grüne Grenze nach Tschechien zu Fuß. In Prag tauchte er dann im Café Continental auf, wo andere deutsche Emigranten schon auf ihn warteten. Das Adressbuch „Künstlerspuren“ von Detlef Lorenz nennt als Ort der Beinahe-Verhaftung das Haus Bleibtreustraße 7, am S-Bahnhof Savignyplatz gleich neben der Stadtbahn. Die alten Berliner Adressbücher verzeichnen keinen Heartfield oder Herzfeld, wie er bürgerlich hieß, nur den Bruder und Malik-Verleger Wieland Herzfelde, der am Kurfürstendamm 76 wohnte. In der Bleibtreustraße 7 gab es mehrere Künstlerateliers und einen Friseur – das alles passt schon. Heute erinnern fünf Stolpersteine vor dem Haus an die Familie des Diamantenhändlers Abraham Wysniak, dessen Frau Dvora und Tochter Asta im Warschauer Ghetto starben. An der Bleibtreustraße 15 hängen Gedenktafeln für den 1933 vertriebenen Kunsthändler Alfred Flechtheim und die Schauspielerin Tilla Durieux. Und an der Nummer 10/11 gibt es den Hinweis auf die „alte Wunde, unvernarbt“ Mascha Kalékos, die 1974 in ihrem Gedicht „Bleibtreu heißt die Straße“ schrieb: „Hier war mein Glück zu Hause. Und meine Not. / Hier kam mein Kind zur Welt. / Und mußte fort. / Hier besuchten mich meine Freunde / Und die Gestapo.“ Eine Gedenktafel für John Heartfield würde die Betextung der Bleibtreustraße gut ergänzen. Das Leben der gemütlichen Seitenstraße des Kurfürstendamms mit ihren kleinen Lokalen wird vom Sound an- und abfahrender Stadtbahnzüge untermalt. Warum in die Ferne schweifen? In anderen Kulturmetropolen hätte man es jetzt auch nicht besser. Und hat man sich nicht immer geärgert, dass Berliner Ausstellungen, die man besuchen wollte, nach der Rückkehr aus dem Urlaub schon wieder abgelaufen waren? Die John-Heartfield-Ausstellung in der Akademie der Künste ist wegen der Pandemie zwei Monate verlängert und mangels Berlin-Touristen spontan buchbar. Auf den Spuren des Künstlers gibt es auch in der Stadt und im Umland genug zu entdecken. In der heutigen Osteria Caruso eröffnete 1923 die erste Malik-Buchhandlung.
Nächste Adresse: Der Meistersaal in der Köthener Straße 38, hinterm Potsdamer Platz, legendär wegen der im Haus produzierenden Hansa-Studios. Seit 2008 hängt dort eine Infotafel mit Fotos der ersten Malik-Buchhandlung. John Heartfield und George Grosz sorgten hier mit ihren Schaufensterdekorationen für Tumulte. Schon der Einzug der Buchhandlung musste 1923 unter Polizeischutz erzwungen werden, weil der Hausbesitzer-Verband im letzten Moment vom Mietvertrag zurücktreten wollte. Als sich 1924 der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum zehnten Mal jährte, dekorierte Heartfield die Fenster der heutigen Osteria Caruso mit mit schauerlichen Kriegsfotos, Lebensmittelkarten und Todesanzeigen. Seine Fotomontage „Väter und Söhne“ zeigte eine Reihe ausgewachsener Skelette, davor Kinder, die mit Pickelhauben paradierten. Solche giftigen Montagen sicherten den Nachruhm des überzeugten Kommunisten. Ab 1930 erschienen sie regelmäßig in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, manche werden heute noch in Schulbüchern nachgedruckt. Als Heuchler stellte Heartfield die Kriegstreiber Hitler, Göring, Goebbels und ihre Steigbügelhalter bloß, ehe sie ihr ganzes Zerstörungspotential entfesseln konnten. Der Spaziergang vom Meistersaal zum Pariser Platz führt an den Dienstadressen der Mörder in der Wilhelmstraße vorbei. In den alten Ausstellungssälen der Akademie lassen sich die akribischen Arbeitsprozesse des Fotomonteurs nachverfolgen. Mit Schere und Skalpell sezierte Heartfield Fundstücke aus der Presse, initiierte aber auch aufwendige Foto-Shootings. Zunächst revolutionierte er die Buchgestaltung durch aggressive Bild-Text-Inszenierungen. Klagen und Zensurversuche parierte Heartfield, indem er Eingriffe durch Schwärzungen, Ausstanzungen und Kommentare auf den Umschlägen kenntlich machte. Upton Sinclairs Roman „Petroleum“ lieferte der Verlag mit einem witzigen Lesezeichen in Form eines Feigenblatts aus, auf dem aufgedruckt war: „Dem sittlichen Leser wird anheim gestellt, Stellen, die ihm gefährlich werden könnten, im Notfall mit diesem Feigenblatt zu bedecken.“ Die Ausstellungskuratorinnen Angela Lammert, Rosa von Schulenburg und Anna Schultz konnten aus dem Vollen schöpfen, da Heartfield der Akademie der Künste seinen ganzen Nachlass vermacht hat. Er ist inzwischen komplett digitalisiert im Netz, auch eine exzellente Internet-Ausstellung wurde pünktlich zum ursprünglich geplanten Eröffnungstermin fertig. Es gibt jetzt viele Möglichkeiten, durch das Heartfield-Universum zu flanieren. Zu den vielen Überraschungen gehört ein Film, den Heartfield 1919 als Mitarbeiter der Ufa mitverantwortet hat. Er entwarf Bühnenbilder für den Berliner und Wiener Theaterkönig Max Reinhardt, war von 1920 bis 1922 sogar dessen Ausstattungsleiter am Deutschen Theater, den Kammerspielen und Großen Schauspielhaus. Für Erwin Piscators proletarisches Theater bastelte er mobile Dekorationen, die man in verrauchten Arbeitersälen rasch aufschlagen konnte. Als Piscator 1927 im heutigen Metropol am Nollendorfplatz sein eigenes Theater eröffnete, gehörte Heartfield selbstverständlich zum Team. Er kümmerte sich um die Filmprojektionen in Inszenierungen, die viel vom multimedialen Castorf-Theater der Jahrtausendwende vorwegnahmen. Am Berliner Ensemble und am Deutschen Theater war Heartfield wieder gefragt, als er in den Fünfzigerjahren aus dem britischen Exil zurückkehrte. Vor allem Brecht setzte sich dafür ein, dass „der liebe Johnny“ in die Akademie der Künste aufgenommen wurde, gegen zähe Widerstände aus dem DDR-Parteiapparat. Brecht hat ihn auch angeregt, sich in der Nähe seines Sommerhauses in Buckow nach einer Wochenendresidenz umzusehen. Aus Resten einer Wehrmachtbaracke bastelte Heartfield ein malerisches Holzhaus am Großen Däbersee in Waldsieversdorf: Seit zehn Jahren ist das intime Heartfieldmuseum im Kiefernwald ein lohnendes Ausflugsziel. In Berlin wohnte Heartfield bis zu seinem Tod 1968 an der Friedrichstraße, etwas versteckt in einer hübschen Wohnanlage von 1925 mit den heutigen Hausnummern 129 a-e. Seite an Seite mit seinem unzertrennlichen Bruder Wieland liegt er auf dem nahen Dorotheenstädtischen Friedhof begraben. Ein paar Schritte nur von Brecht und Helene Weigel, Anna Seghers, Stefan Hermlin, Johannes R. Becher, Hanns Eisler: Die Topografie der Toten spiegelt das Netzwerk der Lebenden, die sich in finsteren Zeiten stützten. Zahlreiche weniger bekannte Künstlerfreundschaften der DDR-Jahre dokumentiert das Adressbuch John Heartfields, das jetzt in einer ausführlich kommentierten und schön bebilderten Edition erschienen ist. Ein Schmökerbuch, das zudem verrät, welche Kinos er gerne besuchte und in welchem Hundezwinger er seinen geliebten Cockerspaniel während Auslandsreisen unterbrachte. John Heartfields Adressbuch
Überraschend findet sich im Adressbuch auch eine Hamburger Adresse von Ulrike Meinhof, der späteren RAF-Terroristin, die 1961 für das linke Politmagazin „Konkret“ arbeitete. Sie wollte unbedingt ein Titelbild vom Altmeister der politischen Fotomontage. Es kam jedoch nicht zu einer Zusammenarbeit. Am 17. Januar 1961 schickte Meinhof ein Telegramm nach Ost-Berlin: Ein geplantes Treffen mit Heartfield platzte wegen einer Autopanne. „John Heartfield – Fotografie plus Dynamit", Akademie der Künste am Pariser Platz, bis 23. 8. 2020, geöffnet Di – So 11–19 Uhr. Weitere Informationen: https://www.adk.de/heartfield Internetausstellung „Kosmos Heartfield“: https://www.johnheartfield.de/kosmos-heartfield Ausstellungskatalog: Hirmer Verlag, 312 Seiten, 250 Abbildungen, ISBN 978-3-7774-3442-€ 39,90, € 29,90 (Angebot limitiert bis zum 23.8.2020) Christine Fischer-Defoy und Michael Krejsa (Hg.): John Heartfield. Das Berliner Adressbuch 1950–1968, Quintus-Verlag 2020, 200 Seiten, 91 Abbildungen, ISBN 978-3-947215-75-1, € 18 Ein Interview mit den Herausgebern des Adressbuchs lesen Sie hier. Telegramm von Ulrike Meinhof an John Heartfield, 1961
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