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MARTIN-GROPIUS-BAU I OLAFUR ELIASSON


Fühle deine Stadt

von Michael Bienert

Wer wars? Ein abstraktes Gemälde überzog am letzten Wochenende den vielbefahrenen Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte. Radfahrer hatten eimerweise Farbe auf den Asphalt gekippt. Die Reifen zufällig kreuzender Autos schufen einen Farbteppich in Regenbogenfarben. Zur Beruhigung der Polizei hinterließen die Street-Art-Aktivisten einen Zettel an einer Ampel: die Farben seien wasserlöslich, schadstofffrei und biologisch abbaubar. Regen hat das Kunstwerk bald weggewaschen, als Fotoserie und Video kursiert es im Internet.

Auf der unansehnlichen Grünfläche vor dem Deutschen Theater sind die weißen Markierungsstreifen einer Kunstaktion vom vergangenen Herbst gerade noch zu erkennen. Sie erinnern an Parkbuchten und  Fußballplätze, doch ihr Zweck bleibt ein Rätsel. Als Urheber hat sich dieser Tage Olafur Eliasson geoutet. Kein anonymer Street-Art-Künstler, sondern ein Star des internationalen Kunstbetriebs. Seit 1994 lebt der Däne mit isländischen Wurzeln in Berlin, unterhält ein Atelier mit zahlreichen Mitarbeitern und Studenten der Universität der Künste. Eliasson hat grandiose Raum- und Lichtinstallationen für die Tate Modern und das Museum of Modern Art entworfen, hat künstliche Wasserfälle an der Südspitze von Manhattan realisiert und Flüsse eingefärbt.

Still und leise nahm er in den vergangenen Monaten allerlei Eingriffe im Berliner Stadtbild vor. Eliasson montierte kreisrunde Spiegel an Häuserecken und abgestellte Fahrräder, um die Wahrnehmung der Passanten zu irritieren. Sein Team legte Baumstämme auf Gehwegen, Verkehrsinseln und Parkpätzen ab, die kaum jemand als Kunstobjekte identifizierte. Es handelte sich um kostbares Treibholz, an den Küsten von Island angeschwemmt, dort eingesammelt und für viel Geld per Container in die deutsche Hauptstadt  verschifft: Symbole der Migration, die Berlin zu einer attraktiven Kunststadt gemacht hat. Wieviele Stämme die Stadtreinigung entsorgte, welche wofür verwendet oder nach Bekanntwerden der Aktion von Kunstsammlern kassiert wurden, weiß niemand genau.

Wo die Kunst anfängt und wo sie aufhört, das lässt Eliasson bewusst im Unklaren. Sein Atelier nennt er „Institut für Raumexperimente“, seine lang erwartete erste große Ausstellung in Berlin heißt „Innen Stadt Außen“. Den geschützten Innenraum des Martin-Gropius-Bau hat er zur Stadt hin Stadt geöffnet. An der Rückseite des Prachtbaus steht ein hässlicher Plastiktank, aus dem Wasser in das Gebäude strömt. An der Vorderfront neben dem Haupteingang bläst ein Ventilator eine Wasserdampfwolke auf die Straße hinaus. Nur heiße Abluft oder insprierende Kunst?

Zwei Wege führen in die Ausstellung. Linksherum geht es in eine fast leere Raumflucht. Hier weist eine von der Decke hängende Kompassnadel hinaus auf die Straße vor dem Fenster. Nur über einen Laufsteg aus huckligen Berliner Gehwegplatten kommt man weiter, ein simpler Eingriff mit enormer Wirkung. Die Füße signalisieren, man sei draußen auf der Straße, mit den Augen sieht man sich drinnen. Die Berührung mit dem Granitplatten löst Stadtassoziationen aus wie bei Proust, zugleich spürt man sich selbst intensiver.

Rechtsherum führt eine Schleuse in lauwarmen Wasserdampf. Dichter, farbig illuminierter Nebel verschluckt alle festen Raumgrenzen. Was für ein Glücksgefühl, im scheinbar uferlosen Farbnebel zu baden! Man kann darin völlig die Orientierung verlieren - und kommt unerwartet mit anderen Besuchern in Gespräch, denen es ähnlich geht.

In anderen Sälen entstehen flüchtige Bilder allein durch die zartfarbigen Schatten der Besucher an kahlen Wänden. Ein gewaltiger Spiegel an der Außenfassade vermittelt die perfekte Illusion, durch das Fenster eines  Nachbargebäudes in die Ausstellung zu blicken. Ein lärmender Film zeigt die Reise einer Spiegelwand auf einem Lastwagen durch den Berliner Verkehr. Nebenan verbreiten abstrakte Projektionen aus Licht und Schatten eine meditative Atmosphäre. Auf einem riesigen Tisch sind geometrische Körper ausgebreitet, Studienobjekte aus Eliassons Atelier: eine abstrakte Stadtlandschaft.

Den prächtigen Lichthof des Martin-Gropius-Baus verstellt eine riesiges Baugerüst. In schräg geneigten Spiegelwänden sieht sich das Publikum um die imposante Installation herumgehen. Eine kleine Pforte lockt ins lichte Herz der Ausstellung: ein bis zur gläsernen Lichtdecke reichendes Kaleidoskop aus Spiegelfolien, in dem man rundum vom Berliner Himmel umgeben scheint. Die erhabene  Illusion eines gigantischen Glaspalasts zittert wie eine Fata Morgana. Jeden Moment droht das Luft- und Lichtgebilde in sich zusammen zu stürzen. Schwindelerregend.

Dieser Riesenkristall korrespondiert mit den kleineren Spiegelinstallationen Eliassons an Häuserwänden oder auf der verwunschenen Pfaueninsel. Auch sie holen Wolken und Sterne in den städtischen Alltag herab. Wie ein Kind hat der Künstler das Staunen darüber nicht verlernt. Die Reize der Stadt komponiert er im Martin-Gropius-Bau zu einem Lehrpfad für die Sinne. Die Museumsflaneure mit ihren Empfindungen und Assoziationen macht Eliasson zu unverzichtbaren Mitschöpfern der Ausstellung. Das hat hohen Unterhaltungswert, doch darin steckt auch eine politische Botschaft: Wir sollen uns nicht als Konsumenten, sondern als Akteure in städtischen Räumen begreifen.

www.innenstadtaussen.de

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 6. Mai 2010
© Text und Foto: Michael Bienert



 


Michael Bienert
Elke Linda Buchholz
Die Zwanziger Jahre
in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt

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Olafur Eliasson und Frida Kahlo im Martin-Gropius-Bau

Eliassons Ausstellung „Innen Stadt Außen“ läuft bis 9. August, der Katalog aus dem Verlag der Buchhandlung Walther König kostet dort 29 Euro. Im selben Zeitraum zeigt der Martin-Gropius-Bau eine Etage höher die umfangreichste Frida Kahlo-Retrospektive, die je in Deutschland zu sehen war. Die surreal anmutende Begegnung des Isländers mit der Mexikanerin ergab sich zufällig bei der Programmplanung des auf Gastspiele angewiesenen Hauses. Kahlo zählt mit ihrem ganz auf ihre eigene Person bezogenen Schaffen, das zwischen Surrealismus, Realismus und individuellen Mythen changiert, zu den wichtigsten Künstlern Lateinamerikas. Auch aufgrund ihrer mehrfach verfilmten Lebensgeschichte avancierte sie zu einer Kultfigur. Die Ausstellung präsentiert, begleitet von einer biografischen Fotoausstellung, 150 Gemälde und Zeichnungen aus bedeutenden Sammlungen Mexikos und der USA, darunter viele unbekannte und verloren geglaubte Werke. Der umfangreiche Katalog erscheint bei Prestel und kostet in der Ausstellung 25 Euro.


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