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THEATERKRITIK Lulu von Frank Wedekind. Premiere am Berliner Ensemble am 12. April 2011. Regie: Robert Wilson. Musik: Lou Reed. Mit Angela Winkler, Jürgen Holtz u. a. Auf der sicheren Seite von Michael Bienert Lulu stirbt viele Tode an diesem Abend. Mit „Lulus Death A“, von einer Lautsprecherstimme angekündigt, geht es los und dann in alphabetischer Reihenfolge weiter bis „Death E“. In Robert Wilsons Inszenierung der „Monstertragödie“ von Frank Wedekind waltet eine pedantischer Ordnungssinn. Das Archaische und Anarchische des Begehrens, das die Männer reihenweise an Lulu zerschellen lässt, bis sie selbst in London von Jack the Ripper aufgeschlitzt wird, bleibt eingeschlossen in ein blutleeres Ritual. Berührungslos kreisen die Figuren umeinander, puppenhaft mit weiß geschminkten Gesichter, wie ausgeliehen vom japanischen No-Theater. In den stilisierten Kostüme und Frisuren des Modedesigners Jacques Reynaud werden sie zu perfekten Schattentheaterfiguren vor farbig beleuchteten Vorhängen. In pantomimischer Motorik treten sie auf und ab, bleiben Marionetten in einer durchgestylten Bühnenarchitektur aus Stühlen, Stäben, Leuchtstoffröhren und – vor allem – raffinierter Beleuchtung. Ganz ähnlich hat man das alles auch schon in den letzten Jahren am Berliner Ensemble gesehen, mal inszenierte Wilson so das „Wintermärchen“, „Leonce und Lena“, die „Dreigroschenoper“ und zuletzt „Shakespeares Sonette“. Obwohl man schon vorher immer ahnte, was einen erwartete, produzierte Wilsons Bildermaschinerie doch immer wieder Überraschendes, erwies sich als weniger abgenutzt als befürchtet. Sie bestach mit grandiosen surrealen Bilderfindungen und mit jenen Momenten, in denen die singenden Schauspieler in ihrem strengen Korsett plötzlich ganz gelöst wirken. In der „Lulu“-Aufführung gibt es diese Momente auch, aber sie sind rar. Ulrich Brandhoff als Maler Schwarz legt eine tolle Nummer hin, auch Anke Engelsmann als lesbische Gräfin Geschwitz verspricht mit ihrer tiefen Stimme kurzzeitig eine aufregenden Gesangsabend. Was er hätte werden können, demonstriert Georgios Tsivanoglou mit seinem urkomischen Auftritt als Rodrigo Quast: In einem goldenen Anzug gezwängt, schnurrt er strotzend vor Selbstbewusstsein im Kreis: „I´m just a gift to the women of this world“. Ein paar solcher Shownummern mehr, dann wäre man mit dem Gefühl nachhause gegangen, wenigstens prächtig unterhalten worden zu sein. Keine junge Schauspielerin spielt Lulu, sondern Angela Winkler, die sich – rein rechnerisch – bereits im Rentenalter befindet, aber was sagt das schon? Sie besitzt eine verletzliche Zartheit, die ihr noch kein Regisseur austreiben konnte. Winkler findet ihren eigenen Weg, Lulu als begehrtes Lustobjekt geiler Männer glaubhaft zu machen. Ihre helle Mädchenstimme macht Lulu noch jünger. Sie bleibt immer ein Kind, das keusch von der großen Liebe träumt: In dem Song „Rooftop Garden“, den Lou Reed für sie geschrieben hat, sitzt ein Paar auf einem Hausdach und sieht ein Flugzeug vorbeifliegen – das wäre das Glück. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Lulus Mutter ist unbekannt, der Vater Schigolch hat das Kind missbraucht. Jürgen Holtz spielt ihn mehr knorrig als schmierig, greisenhaft mit langen weißen Haarzotteln. Gnadenlos schickt er Lulu am Ende ihrer Laufbahn erneut auf den Londoner Straßenstrich. Lulus Begegnung mit Jack the Ripper (Sabin Tambrea) bleibt eine spannungs- und blutarme Episode, danach stirbt sie zum fünften Mal mit Schreien aus dem Off. Schließlich marschiert das Ensemble in voller Breite auf und singt eine Schunkelnummer, begleitet von der sechsköpfigen Band unter der Leitung von Stefan Rager. Das Monströse, Abgründige, Verstörende des Lulu-Stoffes ist damit vollends versenkt. Auch wenn Lou Reeds englische Liedtexte mit poetischen Widerhaken gespickt und schrille Anklänge an Velvet Underground nicht zu überhören sind, aufs Ganze gesehen bleibt bei der Verwandlung der Geschlechtertragödie in eine Rockoper nur gefällige Sentimentalität übrig. Lou Reeds berühmtester Song heißt „A Walk On The Wild Side“. Genau das aber ist diese perfekt durcharrangierte Inszenierung nun wirklich nicht, leider. Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 14. April 2011 Zum Spielplan: www.berliner-ensemble.de © Text und Foto: Michael Bienert |
Michael Bienert Mit Brecht durch Berlin Insel Verlag it 2169 272 Seiten Mit zahlreichen Abbildungen ISBN 3-456-33869-1 10 Euro |
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