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THEATERKRITIK


Einfach kompliziert von Thomas Bernhard. Premiere am Berliner Ensemble am 17. Februar 2011. Mit Gert Voss. Regie: Claus Peymann

Berliner Burgtheater


von Michael Bienert


Vier Jahre ist es her, da fetzten sich Gert Voss und Claus Peymann in den Zeitungen über die Höhe ihrer Rentenbezüge. Der große Schauspieler drohte dem Großverdiener unter den Indentanten mit einer Verleumdungsklage, weil dieser fälschlich verbreitet hatte, nur wegen der Aussicht auf eine „Mordspension“ vom Burgtheater sei Voss in Wien kleben geblieben – damals in den Neunzigern, als Peymann dort von seinem Intendantenposten weggemobbt wurde und nach Berliner wechselte. Sicher gehört es zu den größten Enttäuschungen in Peymanns Künstlerleben, dass er Voss und andere Stars nicht wie Kasperlepuppen in einen Koffer stecken und im Berliner Ensemble wieder auspacken konnte. Als dann die Mäkeleien der Kritiker über den ästhetischen Stillstand an der Berliner Traditionsbühne nicht enden wollten, machte Peymann das Sitzfleisch der Wiener für hausgemachte Probleme verantwortlich - so als herrsche in Berlin ein Mangel an tollen Schauspielern.
 
Diese abstruse Altherrenposse haben Voss und Peymann nun zu einem glücklichen Ende gebracht, nach dem Motto: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Zum 22. Todestag des seligen Thomas Bernhard am 12. Februar feierten sie eine Art Totenmesse in Wien. Mit der gemeinsamen Premiere von „Einfach kompliziert“ knüpfen sie an die erfolgreiche Zusammenarbeit früherer Jahre an. Seit vorgestern ist die Peymann-Inszenierung mit Voss auch am Berliner Ensemble zu sehen. Wegen des 80. Geburtstags von Thomas Bernhard hat Peymann sein Brecht-Museum mit einer Ausstellung in mehreren Foyers zum Bernhard-Museum umdekoriert. „Einfach kompliziert“ wiederum schrieb der Autor 1986 zum 80. Geburtstag für Bernhard Minetti. Das alles signalisiert schon: Hier kreist alles um sich selbst, hier regiert eine Selbstbezüglichkeit, von der auch die Inszenierung durchsättigt ist.

Wie erstmals 1970, zur Uraufführung von Bernhards „Ein Fest für Boris“ in Peymanns Regie, gestaltet Karl-Ernst Herrmann den hyperrealistischen Bühnenraum, ein verwohntes Riesenzimmer mit blätternder Wandfarbe und alten Möbeln. Dort wartet ein misanthropischer alter Schauspieler auf den Tod, kämpft gegen eine Mäuseplage und empfängt zweimal in der Woche ein kleines Mädchen (zauberhaft: Wilhelmine Mischorr), das ihm Milch bringt. Er geht nicht mehr unter Leute, doch seine kleine Welt ist randvoll mit trüben Erinnerungen. Zwei pausenlose Stunden monologisiert der entthronte Theaterkönig, zur Selbstkontrolle lässt er ein altmodisches Tonband mitlaufen.

Ein Virtuosenstück machen Peymann und Voss aus dem Text, jedes Wort bekommt seinen eigenen Klang und körperliche Präsenz. Voss sieht man immer gern, doch Erschrecken über die Altersweisheiten oder Hinfälligkeit seiner Figur will sich nicht einstellen. Am intensivsten sind die Augenblicke, in denen Voss stumm spielt, nur dasteht, mit einer verlorenen Handbewegung oder greisenhafter Grimasse. Stimmt da etwas an der Einstellung zum Text nicht? Wie die Figur in ihrem Zimmer, so bleibt Voss gefangen in einer bereits historischen Aufführungspraxis. Sie feiert den Autor zum runden Geburtstag als sakrosankten Klassiker und ignoriert einfach, was in der Welt und auf dem Theater seit seinem Tod vorgegangen ist.

Claus Peymann zieht es mächtig in die gloriose Vergangenheit zurück: Wiener Zeitungen vermelden dieser Tage, er habe eine kleine Zweitwohnung am Belvedere angemietet. Seinen Intendantenvertrag am Berliner Ensemble hat Peymann allerdings auch erst kürzlich verlängert - bis 2014. Bis dahin dürften in seiner Berliner Burg noch einige Wiener Spezialitäten zu sehen sein. 

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 19. Februar 2011

Zum Spielplan: www.berliner-ensemble.de


© Text und Foto: Michael Bienert
















 










Michael Bienert
Mit Brecht durch Berlin
Insel Verlag it 2169
272 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-456-33869-1
10 Euro







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