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AUSSTELLUNG
I DER ARCHITEKT ALFRED MESSEL


Der Palladio von Berlin

von Michael Bienert

„Berlin ist versaut und wird es in immer größerem Maße werden“, schrieb 1903 der Architekt Alfred Messel, desillusioniert von der hektischen Bautätigkeit in der Reichshauptstadt. Die Berliner verdienten es auch nicht besser. Zu diesem Zeitpunkt war Messel 50 Jahre alt, hatte chronische Herzprobleme und nicht mehr allzu lange zu leben. Er rackerte sich buchstäblich zu Tode, um zu beweisen, dass es „sogar in Berlin möglich ist, etwas einigermaßen Anständiges hinzustellen.“

Sein letztes Projekt war das Pergamonmuseum, die bauliche Vollendung der Berliner Museumsinsel. Im Februar 1909 drängte Messels enger Freund, der Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann, den geschwächten Kollegen zu Eile. Wenigstens pro forma solle er die Baugrube ausheben zu lassen, denn Konkurrenten intrigierten bereits gegen den Kranken. Während der Besprechung erlitt Messel einen Herzanfall, von dem er sich nicht mehr erholte.

Als er einen Monat später starb, waren sich Feuilletons und Fachpresse einig, dass Deutschland seinen größten lebenden Architekten verloren habe. Ludwig Hoffmann baute dann das Pergamon-Museum nach Messels Vorstellungen, aber als es 1930 eingeweiht wurde, wirkte der klassizistische Monumentalbau in der radikal erneuerten Architekturszene wie ein Dinosaurier. Die Propagandisten des Funktionalismus und der Neuen Sachlichkeit verwarfen die historischen Bauformen, die für Messel noch selbstverständliches Vokabular gewesen waren. Sonst wäre er vielleicht als ein zweiter Schinkel in die Architekturgeschichte eingegangen, als virtuoser Erneuerer der Tradition aus dem Lebensgefühl der modernen Großstadt.

Die Nazis hatten kein Interesse daran, Messel zu rehabilitieren. Er stammte aus jüdischer Familie und war als Architekt des Warenhauskonzerns Wertheim bekannt geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte lange niemand an die Baukunst der Kaiserzeit anknüpfen. Messel berühmtestes Werk, das Wertheim-Warenhaus am Leipziger Platz, stand als Kriegsruine an der Berliner Sektorengrenze. Der Bauhäusler Richard Paulick, der auch die Staatsoper im Osten wiederaufbaute, hätte dieses Wahrzeichen des modernen Berlin gerne gerettet. Doch am Eisernen Vorhang war kein Platz mehr für einen riesigen Warenpalast, die Ruine wurde abgerissen und die Brache nach dem Mauerbau in die DDR-Grenzsicherung einbezogen.

Trotz der energischen Bautätigkeit am Leipziger und Potsdamer Platz seit dem Mauerfall ist dieser Ort eine Leerstelle im heutigen Berlin geblieben. Sie verursacht ähnliche Phantomschmerzen wie das abgerissene Stadtschloss, als dessen moderner Gegenpol der Wertheimbau in Erinnerung geblieben ist. Er war nicht nur der größte und prächtigste Warenpalast des Kontinents, seine durch schlanke Steinpfeiler gegliederte Glasfassade galt um 1900 als architektonische Revolution im Berliner Straßenbild. Hier hatte, nach dem Urteil der Zeitgenossen, das moderne Berlin endlich zu einer eigenen Architektursprache gefunden. Wertheim am Leipziger Platz wurde zum Vorbild für Warenhausbauten in ganz Deutschland.

Genau 100 Jahre nach Messels Tod ist der verschollene Glanz noch einmal nachzuerleben, in den Ausstellungshallen des Berliner Kulturforums, nicht weit vom Leipziger Platz. Die Architekten Paul und Petra Kahlfeldt haben die Empfangssituation des Warenhauses geschmackvoll nachinszeniert und Räume geschaffen, in denen Messels großformatige Architekturzeichungen aus der Sammlung der Technischen Universität glänzend zur Geltung kommen. An einer großen Filmprojektion des einstigen Großstadtverkehrs auf dem Leipziger Platz vorbei gelangt man in die Arkadenhalle des Warenhauses mit dem anmutigen Bärenbrunnen des Bildhauers August Gaul. Im folgenden Saal lässt ein leuchtendes Glasbild die Kathedralenwirkung des Konsumtempels erahnen. Es zeigt die launenhafte Königin der Mode auf ihrem Thron. Die Saalmitte aber beherrscht die Bronzeskulptur einer Arbeiterin, die an einer Werkmaschine lehnt und mit der Linken lässig ein schweres Eisenstück gegen ihre Hüfte presst.

„Auf eigenen Füssen“ - dieses selbstbewusste Motto wählte der junge Alfred Messel schon für seinen Entwurf eines Weltausstellungspalastes samt Freigelände im Süden Berlins, mit dem er 1881 den Schinkelpreis gewann. Wenig später beteiligte er sich erfolglos am Wettbewerb für die Bebauung der Museumsinsel. Der frühe Plan zeigt bereits die Grundidee, eine neue Brücke über die Spree zu schlagen und vor dem heutigen Pergamonmuseum ein öffentliches Forum zu schaffen; den Staatsauftrag dazu bekam Messel erst zwei Jahrzehnte später. In der Zwischenzeit realisierte er noble Landhäuser und Villen für geschmackssichere Kunstmäzene, ein Verwaltungsgebäude für die AEG oder das Großherzogliche Museum in Darmstadt. Messel befriedigte die Repräsentationsbedürfnisse seiner Auftraggeber, gliederte Warenhausfassaden mit neugotischen Pfeilern und Bankhäuser mit neobarocken Formen. So einfühlsam, dass der gestrenge Mies van der Rohe noch in hohem Alter schwärmte: „Der Messel war ja wunderbar, wie Palladio.“

Die Ausstellung setzt ihm nun spät, aber verdient einen Heiligenschein auf, feiert Messel als „Visionär der Großstadt“, berücksichtigt jedoch nur ganz am Rande, dass er auch als sozial engagierter Architekt ein Pionier war. Zwei erhaltene Volkskaffeehäuser und mehrere Wohnanlagen für Geringverdiener zeugen von seinem Wunsch, das Mietskasernenelend zu überwinden. Messel war Vorstandsmitglied des „Vereins zur Verbesserung der kleinen Wohnungen in Berlin“ und wurde für seine Wohnanlage an der Proskauer Straße auf der Pariser Weltausstellung 1900 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Schöner kann man mitten in der Stadt auch heute nicht wohnen.

Es ist ein glücklicher Zeitpunkt, dass Berlin seinen Messel gerade jetzt wiederentdeckt. Das Grundstück am Leipziger Platz, auf dem sein Wertheimbau stand, blieb unbebaut, weil die Klärung der Eigentumsverhältnisse mit den Wertheim-Erben sich viele Jahre hinzog. Mitte November hat der Senat einen Bebauungsplan verabschiedet, nun soll ein Investor gefunden werden, der dort geschätzte 450 Millionen in eine weitere Einkaufspassage mit Läden, Büros und Wohnungen investiert. Messel hat an diesem Ort den Maßstab für großstädtisches Bauen gesetzt. Wird Berlin es sich leisten, auch diese prominente Ecke mit mediokrer Kommerzarchitektur zu versauen?

Die Ausstellung der Kunstbibliothek und des Architekturmuseums der Technischen Universität Berlin am Kulturforum läuft bis 21. Februar 2010. Der Katalog der Edition Minerva kostet 35 Euro. Wer Messels Bauten vor Ort anschauen möchte, bekommt erst Mitte Dezember die passende Handreichung: „Alfred Messel - ein Führer zu seinen Bauten“ erscheint im Verlag Ludwig (192 Seiten, 19,80 Euro). Das aktuelle Standardwerk zu Messel ist Rudolf Habels Buch „Alfred Messels Wertheimbauten in Berlin“, das auch ein Werkverzeichnis enthält (Gebr. Mann Verlag, 2009, 824 Seiten, 118 Euro) - die erste Monografie über den Architekten seit 1911.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 20. November 2009



Messels Wohnanlage an der Stargader Straße  I   © Text und Fotos: Michael Bienert  I
Historische Abbildungen sind unseren Büchern "Kaiserzeit und Moderne" und "Die Zwanziger Jahre in Berlin" (erschienen im Berlin Story Verlag) entnommen.




 


MODERNES BERLIN
DER KAISERZEIT
von Michael Bienert
und Elke Linda Buchholz
320 Seiten, ca. 250 Abb.
Berlin Story Verlag 2016, 24,95€

(erscheint August 2016)
Weitere Informationen

Das Buch enthält ein Kapitel über Alfred Messel als Pionier des Reformwohnungsbaus in Berlin, sowie zahlreiche Adressen seiner erhaltenen Bauten.


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