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Am 07. April 1965 donnerten hunderte sowjetische Kampfflugzeuge im Tiefflug und mit hoher Geschwindigkeit über Reichstag und Kongreßhalle in West-Berlin. Dort fand ab 15 Uhr eine Sitzung des Bundestages statt, auf der Tagesordnung des westdeutschen Parlaments standen eigentlich banale Dinge wie die 19. Verordnung zur Zolltarifänderung für Industriekartoffeln. An diesem Tag ist auch der Verkehr auf der Autobahn zwischen Helmstedt und Berlin von 8.30 Uhr bis gegen 12 Uhr unterbrochen, die Wartezeiten betragen mehr als 20 Stunden. Den Abgeordneten des BRD-Bundestages, Willy Brandt als Regierender Bürgermeister des Westberliner Senates eingeschlossen, gelang es nicht auf dem Landweg nach Westberlin vorzudringen. Sie mußten auf Hilfe und Flugzeuge der Westalliierten zurückgreifen. Die Su- und MiG-Maschinen fliegen einzeln und in Staffeln im Sturz- und Tiefflug über dem Tiergarten, den Flughäfen Tempelhof, Tegel und Gatow sowie den Hauptquartieren der Alliierten. Es nicht das erste Mal, daß der Bundestag Bonn verließ und in Berlin tagte. Aber es war die Zeit, als der US-Präsident Johnson die systematische Bombardierung Nordvietnams angeordnet hatte, die Spannungen zwischen Ost und West hatten einen Höhepunkt erreicht. Die Aktion war zudem eine Reaktion auf diverse Provokationen der Bundesluftwaffe der BRD, so der Flug einer F-84 am 14. September 1961 nach Tegel. Die Flüge über der Stadt wurden als Einzelflüge mit kurzen Abständen und nur im Horizontalflug ohne Nachbrenner durchgeführt. Dabei gab es eine Plangrafik mit festgelegten Überflugzeiten und Überflugpunkten. Die Kanonen dröhnten zum Glück nicht, wohl aber die Triebwerke und sie sprachen eine klare Sprache:
Die Aktion erfolgte zeitgleich mit einer vom 05. bis 11. April 1965 im Raum Berlin bis westlich der Elbe stattfindenden Truppenübung der Land- und Luftstreitkräfte der NVA und der Sowjetarmee. Es kamen bei der Übung ca. 500 Flugzeuge zum Einsatz. Schwerpunkt war - man glaubt es kaum - Tiefflugeinsätze mit hoher Geschwindigkeit. Die Übung weist aber auch darauf hin, wie gefährlich die Aktion war und das die beteiligten Truppenteile diese durch ihre Präsenz unmittelbar militärisch absicherten. Verschärfend kam hinzu, das bereits 1959 die westlichen Alliierten (FR, GB, USA) einen streng geheimen Sonderstab "Live oak" (Lebenseiche) gebildet hatten. An diesem beteiligten sich ab 1961 "zur logistischen Unterstützung" auch Offiziere der Bundeswehr. Aufgabe dieses Sonderstabes war es, den freien Zugang nach Westberlin zu gewährleisten. "Heiße Phasen gab es vor allem in den 60er Jahren, .... 'Counter-measures' in unterschiedlichen Eskalationsstufen hatte "Live oak" in petto: von der Entsendung bewaffneter Divisionen bis hin zum Einsatz taktischer Atomwaffen." Die Kampfjets und die Boden-Blockaden von Westberlin (1965, 1968, 1969) erreichten ihr Ziel: Im Berliner Viermächte-Abkommen vom 03. September 1971 (BAnz Nr.174/72-Beil.) verpflichten sich die Westmächte, keine Plenarsitzungen des Bundestages in Berlin mehr zuzulassen. Erst 25 Jahre später, erst nach dem Fall der Mauer, tagten die Parlamentarier wieder in Berlin. Dabei hat es sich sowohl um DDR- als auch sowjetische Maschinen gehandelt. So schreibt z.B. die Hamburger Morgenpost vom 24.05.1999: "...Sitzung des Bonner Bundestags wird von tieffliegenden DDR-Düsenjägern gestört." Unsere Maschinen waren dabei einzeln zwischen den sowjetischen Maschinen eingeordnet. Parallel dazu flogen Maschinen anderer NVA- und sowjetischer Geschwader Sperreflug in großen Höhen über Berlin. Weitere Einheiten der NVA waren an der Sicherstellung der Flüge beteiligt. Bei den unmittelbar beteiligten 5 DDR-Maschinen handelte es sich um "Silberpfeile", vermutlich MiG-21 PF. Die beteiligten DDR-Piloten waren die Genossen Wolf, Fischer, Brucke, Gareis und Weinhold. Karl-Eduard von Schnitzler widmete den Berichten des Westfernsehens zu diesem Ereignis seine 261. Sendung vom 12. April 1965 mit Titel "Reinfall des Bundestags". Das vollständige Script, einschließlich der westdeutschen TV-Kommentare, findet sich auf dem Web des dra.de zum download (PDF, 6,4 MB), Zitat: "...wer die DDR gern zum Frühstück verspeisen möchte, für den sind die DDR-Straßen versperrt." Im Fliegerkalender 1966 (Foto) las sich das so: "Während der gemeinsamen Übung sowjetischer und deutscher Truppenteile und Verbände im April 1965 westlich von Berlin zeichneten sich die Flugzeugführer Wolf, Fischer, Brucke, Gareis und Weinhold bei Einsätzen unter komplizierten Bedingungen besonders aus." Diese "Übung" war Bestandteil der herrschenden Konfrontation, durch die Bundestagssitzung provoziert, und unterschied sich nicht von westlichen Provokationen die an der Tagesordnung waren.
Vorsorglich: Der Westberliner Senat und erst Recht die BRD hatten keine Hoheitsrechte im Luftraum von Westberlin. In diesem Luftraum hatten ausschließlich die alliierten Siegermächten des zweiten Weltkrieges, einschließlich UdSSR, das Sagen, vgl. Berlin-Status.
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