Hollywood-Strich (Teil II)
Sexuelle Kettenreaktionen (Teil I)
The Way We Are
Ein Faden aus sexueller Lust, zwischenmenschlichen Defiziten und Gewalt zieht sich durch die Episoden armer und reicher Menschen in Hollywood.
Lolita ist Filmfan und Prostituierte auf dem Hollywood Boulevard. Nachdem sie ein Foto des gefeierten Schauspielers Peter Blaine schießen konnte, gerät sie zufällig an einen Kunden mit einem "Engelsgesicht", der eigentlich Schmiere stehen sollte. Als der tatsächlich Angel genannte Kriminelle seinen Job vermasselt und die Polizei auffährt, muss er verschwinden – vor seinen nicht geschnappten "Freunden".
Als er am nächsten Tag mit seiner neuen Freundin Julie nach Mexiko aufbrechen möchte, schwindet ihr Beziehungsoptimismus, als sie im gestohlenen Auto eine Waffe findet...
Einige Zeit später hat Julie einen Job als Kellnerin gefunden. Sie bedient ein Trio arroganter, chauvinistischer und oberflächlicher Yuppies, als sie von einem von ihnen, Richard, angerempelt wird und ihm somit die Spaghettis in den Schoß kippt. Auf der Toilette rettet sie dem an einem Kaugummi zu ersticken drohenden Mann das Leben. Nach einer kleineren Konversation netterer Natur wendet sich das Blatt und Richard vergewaltigt sie.
Dieser führt eine Affäre mit Kathy, der Frau seines Bosses Bobby, und weiß nicht, dass er dem Ehepaar als Experiment zur Erhaltung dessen Beziehung dient.
Bobby wiederum zieht im Sportstudio die Aufmerksamkeit Patricks auf sich. Patrick hat weder Glück beim Flirten, noch in seiner 6-monatigen Beziehung zu seinem Lover Peter, dem bereits erwähnten Schauspieler. Peter ist eine Klemmschwester, der sich in der Öffentlichkeit nicht mit einem anderen Mann sehen lassen will. Nach einer Auseinandersetzung schnappt sich Patrick die gerade von Peter gewonnene Trophäe für außerordentliche Schauspielkünste und setzt sie als Einsatz für ein Billiardspiel mit zwielichtigen Zeitgenossen ein. Peter treibt die Gesellschaft auf und steckt seine ganze Energie in die Erhaltung seiner Beziehung...
In der letzten Episode wacht Peter völlig verstört in den Armen der Prostituierten Lolita auf, die auch dazu bereit ist, neben der bezahlten Dienstleistung morgendliche Sozialarbeit zu leisten, nicht ahnend, dass sie es mit ihrem größten Idol zu tun hat...
ACHTUNG: Der Ausgang der einen oder anderen Episode muss in dieser Besprechung erwähnt werden.
Was tatsächlich neu an The Way We Are ist, findet sich in der Abschweifung vom sexuellen Akt an sich einerseits und einer Konzentrierung auf die zwischenmenschlichen Defizite der 90er andererseits: Die Menschen experimentieren viel, glücklich werden sie dabei nicht. Im Gegenteil: sie sind unehrlich miteinander und nutzen sich gegenseitig aus, bis letztendlich ein jeder Traum bitterböse zerplatzt ist. Auf niemanden ist Verlass, eben sind die Partner und ZeitgenossInnen nett, im nächsten betrügen, stehlen, vergewaltigen sie oder prügeln eine auf den Strich. Queer View LeserInnen mit einer geschädigten Vertrauensbereitschaft dürfen sich mit diesem Gang ins Kino voll und ganz in ihrem vom Desaster der Enttäuschungen dominierten Weltbild suhlen.
Es kommt dem deutschen, aus Tadschikistan stammenden Regisseur und Drehbuchautor Josef Rusnak bedeutend mehr auf die Charaktere an, als auf den inzwischen ausgereizten sexuellen Vergnügungstrip. So muss der Übergang von der Heterosexualität in die schwule Welt nicht zwanghaft in die gehabte anything goes-Bisexualität münden. Rusnaks Erzählweise ist dabei durchaus glaubhaft. Die Episoden sind zwar nicht spektakulär, werden aber die KinogängerIn dazu veranlassen, nach der Vorstellung einen kritischen Seitenblick auf die jeweilige LebensabschnittsbegleiterIn zu werfen, ob es da nicht etwa bösartige Parallelen zu der Filmwelt gäbe.
Wenden wir uns der Repräsentation zweier Gruppen zu, den Frauen und den Homos. Die weiblichen Charaktere des Films unterteilen sich im Kampf zwischen den Geschlechtern diametral entgegengesetzt in reiche Gewinnerinnen und arme Verliererinnnen. Kathy hält die Fäden in der Dreiecksbeziehung zwischen ihrem Mann und dessen Angestellten, ihrer Affäre, fest in den Händen. Auch der kurze Auftritt einer erfolgreichen Dame aus gutem Haus in Julies Restaurant zeigt auf, dass die Männer zwar prahlerisch beruflich wie sexuell daherschwätzen, ein kurzer Tischbesuch im Stehen allerdings ausreicht, um zu offenbaren, dass Frauen den Yuppies auf verschiedenen Gebieten und ohne viel Aufhebens überlegen sind. Solche gutsituierten Frauen können sich auch die kranke Theorie leisten, dass sich die Emanzipation der Frau bewusst gegen eine 200.000 Jahre währende Evolution stelle.
Für Julie allerdings bedeutet der Job als Kellnerin ein sozialer Aufstieg. Wenn sie von einem ihrer Gäste am Arbeitsplatz vergewaltigt wird, so zieht das für den Täter keinerlei Konsequenzen nach sich. Sie dagegen erhält eine Abmahnung. Ein Job als Kellnerin ist dagegen zu respektieren, dazu forderte bereits Quentin Tarantino in Reservoir Dogs auf. Jede Frau könne so einen Job bekommen, was auch zu einem Fluch werde. Der andere Beruf mit diesen Eigenschaften ist der der Prostitution, den Lolita mit ihrer Freundin ausführt. Gewalt ist auf diesem Feld imminent.
Unvertretbare Verlautbarungen zum Thema Vergewaltigung ahnden wir an jeder Stelle, hier muss das Presseheft dran glauben. Die Gefühlsaufwallung des beruflich erniedrigten Richard verwandele sich in der Restaurant-Toilette in "verzweifelte Lust", bis er "fast gewalttätig" werde. Also meine lieben Damen und Herren, wenn eine Frau mehrmals und deutlich sich verbal und physich gegen eine sexuelle Attacke wehrt, sie aber dennoch zum Sex gezwungen wird, so ist dies eine Vergewaltigung, und eine solche ist nicht fast, sondern in der schlimmsten Form gewalttätig. "Julie fühlt sich verletzt und gleichzeitig tief bewegt von seinem emotionalen Ausbruch. Umso schockierter reagiert sie, als Richard sie wenige Minuten später am Tisch mit seinen Freunden wie Luft behandelt." Ersteinmal vorneweg, die "wenigen Minuten" sind im Film tatsächlich ein nicht näher definierter Zeitraum von Tagen oder Wochen, eine der vielen Ungenauigkeiten des Pressematerials. Aber worauf es ankommt: Der Schreiberling dieser Zeilen ist offensichtlich ein recht männer-, bzw. täterzentrierter Zeitgenosse. Da wird eine Frau an ihrem Arbeitsplatz am ersten Tag vergewaltigt und soll sich tief bewegt von dieser drastischen "Emotion" zeigen? Vielleicht noch Mitleid mit dem Gewalttäter haben? Aus welcher Szene hat der Verfasser oder die Verfasserin jener Zeilen das gezogen? Jedenfalls kaum aus dem Endschnitt des Films, da liegt Julie nämlich zerstört am Boden der Herrentoilette. Fehlinterpretiert hat die VerfasserIn des Pressetextes auch die Wiedersehensszene. Frau könnte nach dem Lesen des oben zitierten Textes fast denken, Julie hätte sich eine Beziehung mit ihrem Vergewaltiger ausgemalt. Stattdessen soll offenbart werden, wie gleichgültig und kommentarlos des Verbrechens nicht nur der Täter über sein Opfer hinweggeht. Sondern wie die vergewaltigte Frau auch noch Ärger mit der Restaurantführung bekommt, die den Vorfall mitgekriegt, aber anders gewertet hat. Dass Julie sich noch glücklich schätzen darf, dass ihr nicht gekündigt wurde. Eine sehr wahre, bösartige Szenerie, vom Pressematerial vollkommen entweiht. Wollen wir hoffen, dass dies nicht gedankenlos von anderen Magazinen abgeschrieben wird.
Schwule im Sportstudio, eine Anmache mit fallengelassener Seife unter der Dusche und ein heimlicher Homo-Star, der seinen Lover nicht vorzeigen will, dies alles treibt Ober- und Unterkiefer verwöhnter Großstadttucken nur noch weit auseinander. Immerhin sind die Schwulen das einzige Pärchen, das sich wieder zusammenraufen darf. Was nicht heißen soll, dass diese Episode überglücklich endet.
Alles in allem liefert The Way We Are einen Film mit hohem strukturellen Wiedererkennungswert ab, der es im Gegensatz zu seinen Genregenossen allerdings vermag, interessante inhaltliche Aussagen zu liefern.
ki, Berlin
Foto ©: Warner Bros.
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White
Sexuelle Kettenreaktion, Teil II: Eclipse
Sexuelle Kettenreaktion, Teil III: The
Chain Reaction
Kino-Start in Deutschland ist der 17. Juli '97 im Verleih von Warner Bros.
copyright: Queer View, 21. Mai 1997