Jörgs Bericht
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Jörgs Dienstzeit als UaZ in Bad Düben und im JBG-37 vom 10.04.1987 bis 23.02.1990

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Am 10.04.1987 wurde ich als Unteroffizier auf Zeit, d.h. für drei Jahre, zur NVA einberufen. Die Gründe für die Verpflichtung für eine dreijährige Dienstzeit, heute würde man Zeitsoldat sagen, waren typisch für die damalige Zeit:
- der Wunsch für ein Fachschulstudium an einer sehr begehrten Ingenieurschule
- das Bedürfnis „es weg zu haben“ und nicht wie ggf. bis zum 25 Lebensjahr auf die Einberufung zu warten: „... verpflichte Dich zu 3 Jahren NVA und Du wirst sofort mit 18 oder 19 eingezogen, andernfalls musst Du vermutlich warten“.

Die nachträgliche Ironie daran ist, dass gerade aus meinem Jahrgang 1968 die Mehrzahl damit wohl erst 1991/92 zum Grundwehrdienst zur NVA eingezogen worden wäre, jedoch auf Grund der Wendeturbulenzen nie zu NVA oder Bundeswehr eingezogen wurde. So bleibt mir nur der äußerst fragwürdige Trost, dem letzten Jahrgang Unteroffizier auf Zeit der NVA angehört zu haben, welcher seine dreijährige Dienstzeit bis zum letzten Tag dienen musste.

Aber zurück zur Einberufung, diese erfolgte zur Militärtechnischen Schule (MTS) der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung „Harry Kuhn“ in Bad Düben als Unteroffiziersschüler. Das wir in der sechsmonatigen Zeit als Unteroffiziersschüler („Schnürsenkelgefreiter“ auf Grund des farbigen Balkens auf den Schulterstücken) so ziemlich an letzter Stelle in der halboffiziellen / informellen Hierarchie der NVA rangierten, spürten selbst die Gutwilligsten spätestens nach der Vereidigung. Am absolut untersten Ende dieser Hierarchie rangierten offenbar noch die Unteroffiziersschüler mit einer zehnjährigen Verpflichtung als Berufsunteroffizier. An den Schulterstücken waren diese zwar nicht erkennbar, jedoch an Feinheiten der Uniform und des Sportzeugs; besserer Uniformstoff, Reithosen, zusätzliche Biesen, bessere Stiefel und Trainingsanzug mit durchgehendem Reißverschluss und gelb-roten Streifen auch an den Hosenbeinen der Trainingshose. Zusätzlicher Leidensdruck für diese Spezi ergab sich daraus, dass es sich dabei wohl nicht immer nicht um die geistig hellsten Zeitgenossen handelte, obwohl der Anteil der SED-Mitglieder weit über unserem Durchschnitt lag.

Die Zustände an der MTS hat hier auf www.DDR-LUFTWAFFE.de bereits Michael Grau in seinem Bericht sehr ausführlich und treffend beschrieben. Dazu ergänzend lediglich einige Punkte spezifisch zu meiner Person:

Ich gehörte zum 3. Zug der 310. Kompanie Waffenmechaniker für gelenkte Flugzeugrakete für die TDZ der Geschwader der Luftstreitkräfte mit einem Stabsfähnrich an der Spitze. Der Alltag war sehr hart. Ausgang, oder gar Urlaub, war mit einem Lottogewinn vergleichbar. Lediglich Erfolge im außerdienstlichen, sportlichen Engagement, wie bei mir in der Laufgruppe der Kompanie, führten zu halbwegs berechenbarem Ausgang, so alle 1 bis 2 Wochen. Da ich mich aber bereits im dienstlichen Ablauf und Sport an der physischen Grenze bewegte, ging alles darüber hinaus an die Substanz. So kam ich mit einer Körpergröße von 193 cm und 89 Kilogramm nach Bad Düben und sechs Monate später durch nur noch 72 Kilogramm auf die Waage brachte und kurz vor der der Ernennung zum Unteroffizier physisch zusammenbrach. Die Ernennungszeremonie verbrachte ich dadurch im Med.-Punkt der Kaserne mit zwei weiteren Leidensgefährten.

Wir wurden als Unteroffiziersschüler immer in dem Glauben gehalten, dass der spätere Einsatzort, ganz speziell die Entfernung zwischen Heimatort und Stationierungsort, von unseren Leistungen in dem halben Jahr Unteroffiziersschule abhingen. In einer 1996 ausgestrahlten Fernsehdokumentation über die NVA äußerte ein ehemaliger NVA-Offizier jedoch, dass die Verwendung nach der Unteroffiziersschule, bereits vor deren Einberufung zwischen Wehrkreiskommando und Truppenteilen festgelegt gewesen sei.

An dieser Stelle packte mich einfach nur die kalte Wut, andererseits würden sich damit auch Fragen beantworten, wie:
Einer der Schlechtesten des Zuges kam aus Wolgast und wurde praktisch vor seine Haustür nach Peenemünde in das JG-9 versetzt, aber einer der Besten des Zuges aus Dresden fand sich im JG-2 in Neubrandenburg wieder.

Nicht weniger bösartig war die Art und Weise der Bekanntgabe der zukünftigen Standorte. Diese erfolgte einen Tag nach der Ernennung zum Unteroffizier, dabei wurden jedoch keine Bezeichnungen von Truppenteilen oder gar der Ortsnamen bekannt gegeben, sondern die Ortsnamen der Postanschriften. Ich entdeckte erst nach der Ankunft am Standort, dass „Drewitz-Süd“ das JBG-37 in Jänschwalde-Ost, zwischen Cottbus und Guben war. Das bedeutete von Dessau mindestens sechs Stunden mit der Bahn oder später mit dem Trabant drei bis vier Stunden Fahrtzeit zu meinen Eltern.

Nach der Erfahrung einer sehr starken „Not“ - Kameradschaft unter uns Unteroffiziersschüler in Bad Düben, waren die ersten Erfahrungen im Truppenteil durchaus ernüchternd:
-  der Dienstgrad Unteroffizier war in den technischen Einheiten, Staffeln, KRS und TDZ bis Anfang 1989 der unterste Dienstgrad, erst dann gab es auf Grund Personalmangel dort auch Grundwehrdienstleistende
-  entscheidend für die Stellung des Unteroffiziers waren die bereits abgeleisteten Diensthalbjahre
-  wobei auch hier nach kurzer Zeit zu entdecken war, das nicht alle, aber sehr viele Berufssoldaten die „E-Bewegung“ tolerierten oder in manchen Fällen die „lieben älteren Genossen“ auch noch unterstützten.

Leiter der TDZ im JBG-37 war ein wohl noch aus KVP-Zeiten stammendes „Urgestein“. Dazu kamen drei weitere Offiziere, zwei Berufsunteroffiziere und so zwischen 12 und 16 Unteroffiziere auf Zeit. Glück im Unglück hatten wir, da wir als vier „Glatte“ in die sehr kleine TDZ (Technische Dienst-Zone) kamen, sonst kamen je Halbjahr ein bis zwei, maximal drei Mann. Dadurch verteilte sich die fast ausschließlich durch unser Diensthalbjahr zu erledigenden Revier-, Waffenreinigungs- und sonstige Arbeiten, nicht wie in früheren Jahren auf zwei, sondern auf vier Paar Hände.

Andererseits entdeckten wir auch schnell die Spannungen zwischen KRS und TDZ. Da wir auf dem Flur der KRS mit untergebracht waren und zu den Toiletten und Waschräumen über den kompletten KRS-Flur mussten, fiel man immer wieder den „E’s“ der KRS in die Hände. Nach einer anfänglichen Scheu verliefen die Treffen dann meist so:
- KRS-„E“: „Na Du glatte Sau !“
- TDZ-„Glatter“ zum KRS-„E“: „Du blöder Tagesack !“
- KRS-„E“: flippte vollkommen aus und drohte einen „verheizen“ zu lassen
- und als krönender Abschluss kam dann der TDZ-„E“ und erklärte dem KRS-„E“ das er doch sowieso doof ist und die TDZ ihren Glatten nur selbst „verheizt“.

Das waren dann so die wenigen Glücksmomente, ansonsten war das erste Jahr in der Truppe ein „einziges Tal der Tränen“.
Getoppt wurde es nur noch in den Monaten der Ausbildung zum Militärkraftfahrer. Da waren wir als „glatte“ Unteroffizieren den Hilfsfahrlehrern, meist Gefreite des zweiten und des dritten Diensthalbjahres vollkommen ausgeliefert. Deren Vorgesetzte waren die Berufssoldaten im Fuhrpark, wobei diese sich um die Fahrschulausbildung herzlich wenig kümmerten. Ich hatte noch nie solange die Schutzmaske und häufig auch den Schutzanzug zusammenhängend an und habe noch nie so tief in Sand und Dreck gewühlt wie in der Zeit der Fahrschulausbildung.

Nun zum JBG-37.
Nach NATO-Maßstäben war das Geschwader unter Berücksichtigung von den in der NATO üblichen Umlaufmaschinen m.E. nur eine bessere Staffel. Während die MiG-21 Geschwader der Luftverteidigung über drei Staffeln und Flugzeugbestände von teilweise bis zu 50 Maschinen verfügten, waren die seit Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre aufgestellten Geschwader der Luftstreitkräfte mit Mig-23BN und Su-22 nur noch mit zwei Staffeln zu 10+2 Maschinen und ohne Umlaufmaschinen ausgestattet. Besondere Ironie dabei, verlustig gegangene Maschinen wurden auch nicht mehr ersetzt. Der Grund lag wohl in der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Auf der einen Seite verpflichtete und ließ man sich im Warschauer Pakt zur Umrüstung und Neuaufstellung von Geschwadern verpflichten, andererseits ließen die ökonomischen Möglichkeiten nicht mehr viel anderes als diese „Mogel“-Geschwader zu.

Mit der Geschwaderhistorie und allerlei Hintergrundwissen kam ich durch einen für mich sehr glücklichen Zufall näher in Berührung: Als eine Art von Statussymbol war jeder Kommandeur einer technischen Einheit wie Staffeln, KRS und auch der TDZ bestrebt, möglichst viele technische Anleitungen und Zeichnungen auf große Holztafeln farbig gemalt und mit gestempelter Schrift in den Hallen, Flugzeugdeckungen und Bunkern hängen zu haben. In der Grauzone der Legalität gab es im Geschwader einen Major, welcher mit ein bis drei abgestellten Soldaten bzw. Unteroffizieren auf Zeit diese Tafeln und allerlei andere Dekorationen bis hin zu einem Traditionskabinett des Geschwaders schuf. Da die Staffeln und die KRS Vorrang hatten, die TDZ durfte sowieso kaum jemand - nicht einmal alle Offiziere - betreten, passierte lange Zeit nur wenig. Anfang 1988 wurden dann doch ein paar Tafeln für die TDZ angefertigt und das machte die Abstellung einer Person zur Bedingung. Diese Los traf dann mich, ohne das ich zunächst ahnte was dies bedeutete und was ich daraus machen konnte.

Da ich mit dem Zeichnen immer schon eine glückliche Hand hatte, mich anstellig zeigte und mit dem o.g. Major recht gut auskam, konnte ich mit etwas Geschick reichlich ein Drittel meiner verbleibenden Dienstzeit hier „abtauchen“. In besonders guter Erinnerung habe ich noch einen „Mitmaler“. Seinen richtigen Namen weiß ich nicht mehr, er wurde nur „Hugo“ gerufen. Als ein etwas ruhiger und sehr intelligenter Zeitgenosse wurde ihm von den „E’s“ und den Berufssoldaten in der KRS das Leben äußerst schwer gemacht. Erst mit dem vollständigen Wechsel zum Major blühte dieser absolut unmilitärische Mensch, eigentlich war er schon ein Schwejk, so richtig auf.

Die Anforderungen durch den Polit-Stellvertreter des Geschwaderkommandeurs für die Mitarbeit am Traditionskabinett und an der Ausgestaltung der Gebäude und Räumlichkeiten des Stabes waren auch ein willkommener Anlass sich immer mal wieder bis zu mehreren Wochen der TDZ zu entziehen. In diesem Zusammenhang erfuhr ich erstmalig näheres über die Geschwader-Geschichte:

- Anfang der 70er Jahre forderte der Warschauer Pakt, resultierend aus den Erfahrungen der Nahostkriege auch von der DDR die Aufstellung eines JBG
- da ein JBG nicht so recht in die permanenten Friedensbeteuerungen der DDR passte, wurde bis zum Ende der 90er Jahre fast nichts über die JBG’s publiziert
-  zunächst wurde das JBG-36 mit drei Staffeln MiG-17 formiert, diese kamen aus dem freigewordenen Bestand der auf MiG-21 Versionen umgerüsteten JG’s
- die MiG-17 wurden ähnlich der polnischen LIM Jagdbomber Varianten mit Aufhängpunkten unter den Tragflächen für Behälter mit ungelenkten Raketen und Freifallbomben ausgerüstet
- eine solche MiG-17 stand auch noch als Traditionsmaschine des Geschwaders auf einem Sockel vor dem Stabsgebäude, wobei zumindest in der TDZ die Tradition bestand, dass die frischgebackenen „Vize“ nachts heimlich die Heckflosse dieser Maschine anpinkeln mussten
-  noch im Verlauf der 70er Jahre änderte sich die Geschwaderbezeichnung JBG-36 in JBG-37, angeblich weil es in der Luftwaffe der Bundeswehr auch ein JBG-36 gab
- schon bei der Formierung des JBG mit der MiG-17 gab es Gedanken und Forderungen nach der Ausstattung mit einem modernen Jagdbomber, warum dann bei Verfügbarkeit der MiG-27 und den Su-17/20 und 22 Versionen die Entscheidung für das nur in Kleinserie produzierte Übergangsmuster MiG-23BN fiel, ist rätselhaft, den einzigen plausiblen Grund welchen ich hörte, dass die Flugzeuge von der Sowjetunion zu einem günstigen Preis angeboten wurden
- nach der Umrüstung von zwei Staffeln von MiG-17 auf die MiG-23BN wurde die dritte Staffel mit MiG-17 und MiG-15UTI nicht mehr umgerüstet und aufgelöst
- so bestand das nunmehrige JBG-37 seit Anfang der 80er Jahre aus 20 Maschinen MiG-23BN und 4 MiG-23UB in zwei Staffeln
- intern im Geschwader lästerte man nur über das „Schrott-BG“
- Standort des Geschwaders war, mit einer Unterbrechung für die Sanierung der SLB, der Flugplatz des JG-7 in Jänschwalde-Süd, wobei immer wieder zu spüren war, das das JG-7 Hausherr und wir nur Gäste waren
- als Erich Honecker 1989, weitestgehend ohne Rücksprache mit den NVA Oberen die Abrüstung eines Geschwaders verkündete, ohne dieses zunächst jedoch zu benennen, tippten alle einvernehmlich auf das JBG-37, da es das Geschwader mit dem geringsten und problematischstem Flugzeugbestand und als Angriffsgeschwader sowieso prädestiniert war
- als dann die vollkommen wundersame Entscheidung für das JG-7 fiel gab es nur noch Erstaunen, noch größer wurde das Erstaunen als die vollkommen unnötigen Tricksereien bei der Geschwaderauflösung zum Vorschein kamen
* der mit vielen Fotos publizierte letzte Geschwaderstart erfolgte mit den MiG-21MF des JG-7
* danach erfolgte der Flugzeugtausch mit dem JG-2 gegen ältere MiG-21SPS
* der ebenfalls mit vielen Fotos publizierte Abrüstungsappell des JG-7 erfolgte dann mit den ausgetauschten MiG-21SPS des JG-2
* aus dem Personal des JG-7 wurde kaum jemand aus der NVA entlassen, ein Teil kam in unser JBG-37, aus einem anderen Teil wurde eine zweite TAFS (taktische Aufklärungsflieger Staffel) für das Kommando Front- und Militärtransportfliegerkräfte) formiert
* ein weiterer Teil musste die abzurüstenden MiG-21 verschrotten, wobei ein Teil der Maschinen zum Verkauf an den Iran vorbereitet wurde
- aus letzterem Personenkreis und den Reservisten des FTB (Fliegertechnisches Bataillon) kamen dann auch die Proteste und Demonstrationen in der Kaserne zum Ende des Jahres 1989. 

In den JG’s hatte die TDZ mit dem Warten und Bereitstellen von gelenkten Flugzeugraketen, allein permanent für die DHS (Diensthabendes System) Maschinen jede Menge Arbeit. Im JBG-77 und im MFG 28 gab es mit der Vielzahl an gelenkten Raketen für die Su-22 auch einiges an Arbeit. Im JBG-37 gab es für die MiG-23BN keine gelenkte Luft-Luft-Rakete, sondern lediglich die Luft-Boden-Rakete Cha-23 mit einem antiquierten Leitverfahren. Die Cha-23 waren mit sehr wenigen Unterbrechungen fast das ganze Jahr eingemottet. Das Lenkverfahren erfolgte mittels Leitstrahl, der Flugzeugführer musste dazu die gesamte Zeit zwischen Abschuss und Einschlag der Rakete das Ziel anvisieren. Technisch basierte das Verfahren noch auf einer der ersten Luft-Luft-Raketen IS, welche hauptsächlich von der MiG-19 und frühen MiG-21 Versionen eingesetzt wurde.
 
Zu den immer wieder kursierenden Gerüchten über taktische Atomwaffen kann ich nur die nachfolgenden Punkte anführen:
- auf dem gesamten Flugplatzgelände gab es keine einzige Atomwaffe
- lediglich auf dem Gelände der TDZ gab es in einem separatem Bunker so genannte Sonder-Bombenträger für MiG-23BN, wobei dazu jeder Offizier der TDZ ohne Einschränkungen Zugang hatte.
 
Wobei ich in der Luftfahrtliteratur auch keine Hinweise zur MiG-23BN als Träger taktischer Atomwaffen finden konnte. Für die Su-22 sah das dagegen gänzlich anders aus, zumal die DDR die Su-22 in einer eigentlich nicht für den Export vorgesehenen Version erhielt. Bei Besuchen von Maschinen der beiden Su-22 Geschwader aus Laage, dem JBG-77 und dem MFG-28, wurde die teilweise mitgeführte Bewaffnung, auch die Schreiberraketen der R60 in unserer TDZ über Nacht eingelagert.
 

Daraus ergab sich, dass wir mit allen möglichen Arbeiten beschäftigt oder aber auch nicht beschäftigt wurden. Die TDZ des JBG-37 war wohl eines der gepflegtesten Objekte des Geschwaders. Begünstigt wurde dies noch durch zwei Faktoren, zum einen durften nur sehr wenige Geschwaderangehörige, wie schon gesagt nicht einmal alle Offiziere, die nochmals eingemauerte TDZ betreten und zum anderen war es für unsere Offiziere auf Grund der äußerst abgelegenen Lage der TDZ auf dem Flugplatz, wesentlich bequemer das Dienstzimmer im Kasernenbereich zu nutzen.

Herz der TDZ war die Prüfstation für gelenkte Raketen. Dabei handelte es sich um drei Container, welche allerdings durch die Sowjetunion nicht allein, sondern nur mit allerlei russischem Drumherum verkauft wurden:
- ein gigantisches beheizbares Zelt, von der Größe fast ein Bierzelt
- ein LKW Kran auf einem Ural
- zwei SIL 131 LKW für die Container
- ein fast verboten zu betreibendes russisches Heizgerät für das Zelt
- und, und, und . . .
 
Diese Situation führte zu einem wilden Durcheinander zwischen DDR und russischer Technik. Vor allem bei den Fahrzeugen machte sich dies bemerkbar. Wesentlich mehr Freude bereitete mir dann der W50 LZ/A Pritsche, es war zwar ein steinaltes Fahrzeug von 1976, also 13 Jahre alt, aber da es alle zwei Jahre, wie fast alle TDZ Fahrzeuge, fast komplett auseinander genommen, gepflegt und neu lackiert wurde, war der Zustand recht gut, gerade bei den illegalen Fahrten im Gelände machten die Ballonreifen Spaß ohne Ende.

Hauptsächlich durch einen Unteroffizier des Diensthalbjahres über mir, wurde eine interessante Entwicklung in der TDZ in Gang gesetzt. Er kam aus Guben und wurde aus unerklärlichen Gründen nur „Muruzecke“ gerufen. Er machte einfach von seinen, aus seinem Diensthalbjahr resultierenden Privilegien, keinen Gebrauch und sabotierte mit sehr subtilen Methoden die E-Bewegung in den ihm nachfolgenden Diensthalbjahren. In jeder größeren Einheit wäre dies wahrscheinlich verpufft und hätte sich gegen ihn gewendet, aber in so einer kleinen Einheit wie der TDZ (zwischen 12 und 15 Unteroffizieren auf Zeit) führte die zu einem Einschlafen der E-Bewegung.

Begünstigt wurde dieser Prozess noch durch eine Vielzahl von Dingen und Abläufen im Kasernenleben welche von uns möglichst zivil gestaltet wurden und zum Ärger der Offiziere sich entweder nicht oder nicht mehr verbieten ließen:
- ein Frühsport ließ sich nur noch in Ausnahmesituationen durchsetzen
- zum Frühstück gingen reihum nur noch ca. ein Drittel und brachten das einzig essenswerte, die Brötchen, für den Rest von uns mit
- gefrühstückt wurde dann auf den Zimmern mit von zu Hause mitgebrachter Butter, Wust, Marmelade vom Feinsten, wobei die mittlerweile legalen Kaffeemaschinen richtigen (!) Kaffee dazu beisteuerten und der von der Einheitskasse gekaufte und im Bastelraum platzierte Kühlschrank die Lagerung möglich machte
- da die Offiziere nicht in der Kaserne schliefen, war der Frühstückszauber bei ihrem Eintreffen zum Dienst längst vorbei, die manchmal eher eintreffenden Berufsunteroffizier hielten einfach den Mund
- der Weg vom Unterkunftsbereich zur TDZ betrug bei mäßigem Tempo in lockerer Ordnung ca. 25 Minuten, auch dies war ja gediente Zeit
- in der TDZ erfolgte dann das Umziehen aus der Felddienstuniform in die wesentlich beliebteren schwarzen Technikeranzüge
- mittlerweile waren dann auch die Offiziere für die Arbeitseinteilung auf ihren Fahrrädern eingetroffen, oder auch nicht
- so das sich jeder dann zu irgendwelchen Arbeiten verzog oder aber zumindest so tat als ob. Wenn definitiv feststand, dass die Offiziere nicht 'rauskamen, wurden die LKWs herausgeholt und der „Fahrriemen“ wurde auf dem Platz und im Gelände „geschliffen“, besonders beliebt waren dabei der W50 LA/Z mit Ballonreifen und der UAZ Jeep, dabei war es immer das Ziel Kilometer zwischen Fahrtennachweis und Kilometerstand für solche Zwecke gut zu haben
- Ärger hätte es einmal fast gegeben als ein Wahnsinniger von uns mit einem LO auf eine Flugzeugbox fuhr und ein Offizier aus der Staffel es sah. Zum Glück war es so absurd, dass man es einfach abstreiten konnte, dass der LO auf der Flugzeugbox gestanden hatte
- Nach einem kurzen Antreten ging es meist zu Fuß wieder zurück zum Mittagessen und zur Mittagspause in den Unterkunftsbereich
- wenn es dann am Nachmittag nochmals raus und wieder rein ging war der Tag eigentlich gelaufen, standen andere Maßnahmen am Nachmittag an, wie Waffenreinigen oder Politunterlicht, auch „Rotlichtbestrahlung“ genannt, ging die Zeit etwas langsamer rum.
- nach Dienstschluss ging es dann mit Badelatschen und den zum Ärger der Offiziere leider nicht zu verbietenden Bademänteln in den Waschraum. Dort wurde dann mit den illegalen Duschschläuchen lange und ausgiebig geduscht. Die Duschschläuche ließen sich in letzter Konsequenz nicht verbieten, da das JBG über keine (!) einzige Dusche verfügte
- am Abend gab es mit den legalen Kaffeemaschinen und den illegalen Kochplatten und Toastern das große Fressen
- die jüngeren Diensthalbjahre hatten dann die Aufgabe des Abräumens und des Abwaschens, wobei bei 80 Metern Flur zwischen Zimmer und Waschraum hielt sich die Begeisterung in Grenzen
- später ging auf Grund des Festsitzens in der Kaserne das ganze regelmäßig in eine finstere Sauferei über

Sehr interessant war auch der so genannte „MvD - Mechaniker vom Dienst“. Dabei handelte es sich um einen 24 Stunden Dienst in der TDZ. Die Aufgabe wäre im Alarmfall die Übergabe der Raketen an die Staffeln gewesen und regulär das Beaufsichtigen der TDZ, das Heizen im Heizhaus im Winterhalbjahr und der Ein- und Auslass. Da es separat eine von der Wachkompanie zu stellende Wache für die TDZ gab, blieb wirklich nicht viel zu tun. Ursprünglich sollte sich der MvD in seiner Uniform auf ein unbezogenes Bett nachts für ein paar Stunden schlafen legen und im Winter die Heizung weiter am Laufen halten.

In der Praxis sah der Dienst dann aber ganz anders aus:
- nach der Vergatterung ging es mit dem Fahrrad und gut gepackter Tasche raus zur TDZ den vorangegangenen MvD ablösen
- zunächst wurde mit einem zweiten Satz Bettwäsche, welchen sich jeder von uns beschafft hatte, das Bett bezogen
- dann wurde lecker zu Abend gegessen
- nach einem kurzen Abklären mit der Wache, dass sie die Heizung die Nacht über befeuern und dafür im Heizhaus abducken dürfen ging es mit Bademantel und Duschschlauch ausgiebig Duschen
- nach einer Nachtruhe wurde das Bett wieder abgezogen, gefrühstückt und auf die TDZ Besatzung gewartet
- der Tag war dann sehr ruhig, am Nachmittag kam dann der unangenehme Teil, das reinigen des Waschraums und im Winter die Asche aus dem Ofen und frische Kohlen in das Heizhaus
 
Viele Probleme hat sich die NVA in den Kasernen durch die hohe Gefechtsbereitschaft:
- 80% Personal mussten mindestens in der Kaserne sein
- nur viermal im Jahr, zu Ostern, zu Pfingsten, zu Weihnachten und Silvester waren 50% erlaubt
 
Und in Wechselwirkung dazu mit verkehrten sich die Verbote immer wieder abstrus in ihr Gegenteil:
- das Verbot von Zivilkleidung, mit der Einberufung mussten alle Zivilsachen unter Aufsicht verpackt und nach Hause gesendet werden. Trotzdem gelang es fast jedem von uns Zivilkleidung zu verstecken und sie in Ausgang und Urlaub zu nutzen, wobei die Strafen bei „Erwischt werden“ in Zivil lange Ausgangs- und Urlaubssperren waren

Nachdem ich fünf Wochen vor meinem 20. Geburtstag im Ausgang in Cottbus von einem Offizier in Zivil gesehen worden war, durfte ich meinen Urlaub und auch Ausgang abschreiben und konnte mich zum Geburtstag von meinen Eltern besuchen lassen, dabei bestand ohne Ausgangserlaubnis nur die Möglichkeit den Club aufzusuchen, in der Teiltasche auf dem oberen linken Bild befanden sich fünf Flaschen Gin mit denen wir uns dann furchtbar besoffen haben.

eine „Kulturrevolution“ war dann die Dienstvorschrift ab 01.11.1989 welche uns Zivil erlaubte und eine permanente Ausgangskarte für jeden von uns
- das Verbot von Alkohol, zusammen mit dem „Eingesperrtsein“ führte es zu einem Maß an Alkoholkonsum wie ich es nie zuvor und danach nie wieder erlebt habe. Es war durchaus normal das wir bis zu 14 Tage in Folge jeden Abend bis zum Umfallen getrunken haben. Getrunken wurde eingeschmuggelter Schnaps, Bier, Obstwein und der in der Kaserne verfügbaren technischen Alkohol „Willi“ mit Cola oder Instandpulver „Click“ gemischt, richtig schlimm wurde an den Wochenenden und an den Feiertagen
- das Verbot von „Westfernsehen“, um dies zu umgehen wurde durch geschickte Bastler der mit einer Petschaft versiegelte Fernseher manipuliert, da man spätestens im Urlaub merkte das man nur mit DDR-Medien versorgt, auf einem anderen Planet lebte
- ein zusätzliches Ventil fand sich in ausgedehnten Koch und Fressorgien, wobei viele auch zusammen mit dem permanenten Alkoholgenuss aufgegangen sind wie die „Hefeklöße“. Die einzige Chance, ohne sich auszuschließen, war Sport auf eigene Kappe außerhalb des Dienstes, so bin ich aller zwei Tage die Ringrollbahn gelaufen, das müssten etwa 9.000 Meter gewesen sein

An dieser Stelle eine kleine Betrachtung zum Thema Sprache. Die Sprache entwickelte sich zu einer eigenen Subkultur, gerade im Urlaub erntete man immer wieder verständnislose Blicke. Auch nach der Entlassung dauerte es Monate bis sich die Sprache „gereinigt“ hatte.

Nachfolgend ein paar Beispiele:
Brot = Offizier
Brötchen = Berufsunteroffizier
Glatter = 2. Diensthalbjahr
Keks = 3. Diensthalbjahr
Vize = 5. Diensthalbjahr
E = 6. Diensthalbjahr
Keulen = mit dem Bohnerbesen (Keule) die gebohnerten Fließen polieren
Frasse = Essen
Suffe = Trinken
Ninquatsche = Eingießen
 

Ab dem 07. Oktober 1989 waren dann auch in der Kaserne die Spannungen nicht mehr zu verheimlichen.

So wurden mehrere Kompanien Unteroffiziersschüler der Grenztruppen zur Sperrung der Grenze nach Polen in unser Objekt verlegt. Auf der einen Seite waren das wirklich arme Schweine, im August, September und Oktober noch solche Aktionen mitmachen zu müssen. Als sie aber auf der anderen Seite anfingen unsere Leute im Ausgang in Zivil aufzugreifen, kam es zu massiven Konflikten, das führte auch dazu, dass die LKWs der Grenzer immer wieder morgen auf vier Platten standen.
 
Einerseits sollte mit einer (zu spät kommenden) neuen Innendienstvorschrift ab dem 01.11.1989 der Druck 'rausgenommen werden:
- Zivil wurde erlaubt
- Bärte wurden erlaubt
- Grundwehrdienstleistende und Reservisten durften ihre PKW mitbringen
- die Unteroffiziere auf Zeit erhielten permanent ihre eigene Ausgangskarte
- der Kantinenbesuch war nicht mehr Pflicht, sondern die Kantine musste sich, über von uns rücklaufende Gutscheine, schon etwas anstrengen
- die Anwesenheitsquoten (Gefechtsstärken) wurden auf ein realistisches Maß gesenkt
- und noch diverse andere längst überfällige und zeitgemäße Dinge 

Andererseits kam dies alles zu spät. Im November 1989 demonstrierten dann die Reservisten der Wachkompanie und Teile des Nachkommandos des aufgelösten JG-7 für Ausgang, Urlaub und ihre Entlassung. Es war einfach gespenstisch in der nächtlichen Kaserne einen Demonstrationszug mit Fackeln langsam zu den beiden Stabsgebäuden ziehen zu sehen. Die Offiziere zeigten sich mehrheitlich hilflos. Diese Hilflosigkeit verstärkte sich dann noch im Dezember 1989:
- als die politische Situation vollends kippte
- die Dienstzeiten von uns von drei auf zwei Jahre verkürzt wurden und in der Kaserne plötzlich drei Diensthalbjahre „E’s“ gleichzeitig unterwegs waren
- die Berufssoldaten und die Angehörigen des Stabes und der TDZ offiziell nicht nach Westberlin und in die Bundesrepublik durften, am Ende aber fast doch jeder gefahren ist und keiner sich traute zu bestrafen
 
Im Januar tauchten dann aus den Kreisen einiger weniger Berufssoldaten nochmals beängstigende Parolen von einem Marsch auf Cottbus und dem Kriegsrecht auf. In dieser Zeit wurde noch der irrwitzige Umzug in die Anlage der ehemaligen TDZ-7 durchgezogen. Alle haben irgendwie so getan als wenn sie mitmachen, aber richtig ernst hat es keiner mehr genommen.
 
Ebenfalls im Januar begann das große Klauen. Alles was nicht niet- und nagelfest war wurde weggeschleppt. Selbst bis vor kurzem Undenkbares passierte, so wurden die neben den Flugzeugen verschlossenen Kisten mit dem durchnummeriertem Bordwerkzeug aufgebrochen und ausgeräumt. Ab Februar 1990 ähnelte die Kaserne einem Tanz auf dem Vulkan. Durch die verkürzten Dienstzeiten standen zwei Drittel der Grundwehrdienstleisten und mehr als die Hälfte der Unteroffiziere auf Zeit vor der Entlassung.
 
Am 23.02.1990 konnte auch ich dann nach drei Jahren meine Zeltbahn voll Ausrüstung abgeben und mein Reservistentuch mit Medaille in Empfang nehmen. Die Welt die mich erwartete hatte nichts mehr mit der des Jahres 1987 zu tun. Mein Betrieb hatte mir gekündigt, die Fachschule an der ich studieren wollte wurde geschlossen, alles war in Frage gestellt, nichts war mehr gültig und alles möglich.
 
Durch Zufall fing ich bei einem internationalen Getränke Markenartikler an, studierte erfolgreich berufsbegleitend BWL und machte einen harten aber interessanten und steilen beruflichen Weg. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
 
Dessau 04.01.2005
Jörg Neumann -
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Anmerkung des Webmasters:
Ich musste aus rechtlichen Gründen den Bericht von Jörg insoweit abändern, als ich nach Möglichkeit alle Namen und Hinweise auf Personen gelöscht habe. Ebenfalls wurden Kürzungen und redaktionelle Änderungen von mir vorgenommen. Ehemalige, können sicher von Jörg die „ungeschnittene Fassung“ per Mail erhalten.


Militärflugplätze der NVA