Freiflug in der Nacht
aus: Fliegerrevue '83, Heft 10/368, S. 455ff
Dunkel der Nacht senkt sich über den Flugplatz; Lichter flammen auf: das gelbe Licht
der Vorstartlinienbeleuchtung, das blaue und rote der Landebahnbefeuerung, die roten und
grünen Lichter der Positionsbeleuchtung der Flugzeuge. Immer wieder auch wird die
Dunkelheit jäh zerschnitten von dem aufflammenden Feuer des Nachbrenners einer startenden
MiG. Und ebenso ergießt sich das Licht großer Scheinwerfer über die SLB [Start-
und Landebahn - Veith], wenn ein Flugzeug wieder landet. Für Leutnant Peter
Hebel, Flugzeugführer im Jagdfliegergeschwader "Juri Gagarin", ist das bereits
ein gewohntes Bild. Nimmt er doch nicht zum erstenmal an einer Nachtausbildung teil. Und
doch ist der heutige Tag von besonderer Bedeutung für ihn: Die Flugplanung weist seinen
ersten Alleinflug in der Nacht aus. Zur Zeit hat die Sonne auf ihrem Weg zum Horizont
allerdings noch ein gutes Stock zurückzulegen, ehe es soweit ist. Die Techniker beginnen
an der Vorstartlinie gerade damit, die Flugzeuge auf die Starts vorzubereiten. Die
Flugzeugführer melden sich beim Arzt zur Kontrolle. Auch Leutnant Hebel. Ruhig sieht er
der nächtlichen Ausbildung entgegen, hat er doch die vorgeschriebenen vier Stunden
geschlafen und die Flugvorbereitung am Vortag dazu genutzt, um alle Handlungen dieser
Übung in Gedanken zu vollziehen. Sein Kettenkommandeur schätzte ihn bei der
Überprüfung deshalb folgerichtig als "flugbereit" ein.
Von der Segelflugerlaubnis zur Leistungsklasse III
Als vierzehnjähriger Junge hatte Peter Hebel mit der Segelflugausbildung am
GST-Flugplatz Sömmerda, seiner Heimatstadt, begonnen. Angeregt worden war er dazu durch
einen Vortrag der OST an seiner Schule. Aber schon vorher hatte er sich, zunächst ohne
jede Absicht, den Segelflugplatz angesehen. Ja, das war etwas für ihn! Warum sollte er,
Peter Hebel, nicht fliegen lernen? Er meldete sich für die Ausbildung an, und fortan
gehörten die Wochenenden dem Segelflug. Zwei Jahre später hatte Peter die
Segelflugerlaubnis in der Tasche und gerade siebzehnjährig die Silber-C an der Brust. Hin
und wieder spielte er zu jener Zeit auch schon mit dem Gedanken, Militärflieger zu
werden. Aber würde er die Hürde der flugmedizinischen Kontrolle nehmen können? Wozu
Hoffnungen für etwas nähren, dessen Durchführbarkeit noch infrage stand. Also erst mal
abwarten. Mit bestandener FMK änderte sich diese Haltung. Während der
Tauglichkeitsuntersuchung hatte Peter Hebel auch die Lehrbasis an der Offiziershochschule
der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung "Franz Mehring" besichtigen können. Hier
würde er also zum Militärflieger ausgebildet werden. Die gesundheitlichen
Voraussetzungen dafür besitzt er - und den festen Willen auch! Von nun an ließ es Peter
Hebel nicht an der zielstrebigen Vorbereitung auf den militärischen Beruf fehlen. Als er
schließlich im August 1978 mit dem Studium an der OHS begann, da konnte er außer der
Silber-C auch auf 33 Motorflugstunden mit der Z-42 verweisen, auf Platzrunden und
Kunstflug, auf Strecken- und Instrumentenflüge. Eine gute Grundlage für die weitere
Ausbildung, die zunächst auf der L-29, später dann auf der MiG-21 erfolgte. Nun also
steht sogar sein erster Alleinflug in der Nacht unmittelbar bevor. Aufmerksam folgt
Leutnant Hebel den Ausfahrungen bei der Starteinweisung. Besonders interessiert er sich
für meteorologischen Bedingungen in dieser Nacht. Es wäre zu dumm, wenn ihm das Wetter
einen Strich durch die Rechnung machen würde. Aber glücklicherweise sind die Aussichten
günstig. Nach Mitternacht vielleicht ein bißchen Dunst. Vielleicht!' ,Ein bißchen!'
Noch kein Grund zur Beunruhigung. Es wird schon klappen. Wie oft schon hatte er so bei der
Starteinweisung gesessen und auf gutes Wetter gehofft. Sonst allerdings auf Flugwetter am
Tage. Schließlich kann nur derjenige nachts fliegen, der das fliegerische Einmaleins am
Tag beherrscht. Und Leutnant Hebel beherrscht es, erreichte bereits die Leistungsklasse
III. Vom Führen des Flugzeuges her besteht zwischen Tag und Nacht kaum ein Unterschied,
aber es fehlen nachts doch gewohnte Orientierungshilfen. Nachtflüge sind im wesentlichen
reine Geräteflüge. Man stelle sich vor, völlig im Dunkeln, lediglich vor schwach
beleuchteten Anzeigeinstrumenten zu sitzen, nach denen man Flughöhe, Geschwindigkeit und
Kurs halten muß. Unter solchen Bedingungen ist der Flugauftrag zu erfüllen und das
Flugzeug so zu steuern, daß eine exakte Landung gewährleistet ist. Das verlangt eine
ständige Kontrolle der Flugüberwachungsgeräte durch den Flugzeugführer, eine hohe
Konzentration und festes Vertrauen in die Anzeige. Besonderes Vertrauen ist vonnöten,
wenn sich Mond und Sterne in Wolken oder in Gewässern spiegeln, was zu Illusionen über
die Lage des Flugzeuges im Raum fahren kann. Bei klarem, wolkenlosem Wetter existieren
natürlich bestimmte Orientierungshilfen. So haben größere Ortschaften beispielsweise
charakteristische Lichtbilder, die sich die Flugzeugführer in der Anfangsausbildung
einprägen.
Gut gewappnet für die Nacht
Überhaupt war eine umfangreiche spezielle Vorbereitung auf die Nachtflugausbildung
notwendig. Zunächst hieß es, sich mit den Besonderheiten des Fliegens und der Navigation
bei Nacht vertraut zu machen. Es folgten die methodische Vorbereitung der einzelnen
Übungen, eine Einweisung in das Verhalten bei auftretenden Illusionen, die Einweisung in
die Lichtlandeanlage sowie ein Rolltraining in der Nacht. Als Leutnant Hebel erstmals in
der Dunkelheit mit dem Flugzeug die Bahn entlang rollte, fürchtete er fast, er sei
nachtblind, so wenig konnte er erkennen. Inzwischen aber hat er sich an das Dunkel
gewöhnt. Dem Rolltraining schloß sich ein Abflug des Flugplatzgebietes bei Nacht an,
zunächst mit einer An-2 und schließlich mit der zweisitzigen Schulmaschine. Endlich,
nach weiteren Ausbildungsstunden, stellte Kettenkommandeur Oberstleutnant Gerhard Richter
Leutnant Hebel die Aufgabe, für die nächste Gefechtsausbildung in der Nacht seinen
Freiflug vorzubereiten.
Nun also würde es nur noch wenige Stunden bis dahin dauern. Die Flugzeugführer haben
sich bereits zum abschließenden Kabinentraining an die Flugzeuge begeben. Oberstleutnant
Richter fordert Leutnant Hebel auf, die Inbetriebnahme des Flugzeuges bei Nacht
vorzuführen. Besondere Elemente dabei sind weil am Tag sonst nicht nötig - das
Einschalten der Positionsbeleuchtung, der Scheinwerfer und der Instrumentenbeleuchtung.
Ruhig spricht der Kettenkommandeur dann mit dem Leutnant den Flug durch. Oberstleutnant
Richter verfügt über große Erfahrungen bei der Ausbildung junger Flugzeugführer. Seit
15 Jahren schon ist er als Fluglehrer tätig, seit fast 20 Jahren ist er Militärflieger.
1958 hatte Gerhard Richter am GST-Flugplatz Leipzig-Mockau mit der Segelflugausbildung
begonnen und sich danach für einen zweijährigen Ehrendienst in der NVA verpflichtet. Als
sich ihm die Gelegenheit bot, Militärflieger zu werden, zögerte er nicht lange. Heute
weist sein Flugbuch über 1600 Flugstunden aus. Oberstleutnant Richter ist Flugzeugführer
der Leistungsklasse I. Seinen ersten Nachtflug hatte er auf der MiG-17 absolviert. Als
erfahrener Flugzeugführer gibt er nun den Jüngeren Hinweise: Festhalten an dem, was man
gelernt hat! Unverzügliches und konsequentes Ausführen aller Kommandos des Flugleiters!
Vertrauen in das eigene Können und in die Technik!
Ein normaler Flug
Die Flugschicht hat begonnen. Leutnant Peter Hebel begibt sich zu der von
Flugzeugtechniker Leutnant Peter Lenk vorbereiteten Schulmaschine. Denn erst die Qualität
eines Kontrollfluges wird über seine endgültige Zulassung zum Alleinflug entscheiden.
Gewissenhaft führt Leutnant Hebel die vorgeschriebene Vorflugkontrolle an der Maschine
durch. Er ist zufrieden und übernimmt vom Techniker die MiG-21UTI. Leutnant Lenk hat
zuverlässig gearbeitet und das Flugzeug ordnungsgemäß für den Start vorbereitet.
Qualitätsarbeit des einen als Voraussetzung für die erfolgreiche Aufgabenerfüllung des
anderen. Wie Leutnant Hebel ist auch Leutnant Lenk seit 1981 Absolvent der
Offiziershochschule. Er wollte eigentlich mal Zahnarzt werden. Doch als Funktionär für
Wehrerziehung an der Erweiterten Oberschule und Gruppenführer in der
GST-Grundorganisation stellte er sich bald die Frage: Andere überzeugst du von der
Notwendigkeit des militärischen Schutzes des Sozialismus, aber wie eigentlich hältst du
es selbst damit? Seine Antwort darauf war die Entscheidung, Offizier des
Fliegeringenieurdienstes zu werden. Seine Erwartungen in eine solide technische Ausbildung
und in eine interessante Tätigkeit erfüllten sich. Und er ist stets bemüht, sein
Divissee und Können immer wieder in hohe technische Einsatzbereitschaft seines Flugzeuges
umzusetzen. So wie auch heute zur Sicherstellung des Kontrollfluges von Leutnant Hebel.
Leutnant in die MiG eingestiegen. Der Staffelkommandeur persönlich wird überprüfen, ob
Leutnant Hebel zu dem vorgesehenen Alleinflug in der Lage ist. Das spornt natürlich
zusätzlich an, obwohl es eigentlich egal ist, wer auf dem zweiten Kabinenplatz sitzt.
Wenn das Triebwerk erst läuft und das Flugzeug startet, dann gehören Aufmerksamkeit und
Konzentration völlig dem Flug. 'Na ja, die dritte und vierte Kurve hätten wohl etwas
besser sein können!' Nach der Landung fragt ihn der Staffelkommandeur, ob er sich den
Alleinflug denn zutraue. Seine Antwort: "Ja!" Der Kommandeur bestätigt ihm,
daß er zugelassen ist. Doch was macht das Wetter!? Zunehmender Dunst! Eine Rücksprache
mit dem Meteorologen macht sich erforderlich. Der beruhigt: Die Bedingungen für den
Freiflug sind gegeben. Und wieder kontrolliert Leutnant Hebel ein Flugzeug, übernimmt es,
steigt ein, läßt das Triebwerk an. So wie immer, und doch anders. Der Techniker gibt
Zeichen. Was will er? Ach so, die Positionsbeleuchtung noch einschalten. Jetzt tief
durchatmen, nochmals jeden Schalter kontrollieren, alles richtig machen. Das Zeichen zum
Rausrollen, also los! Ringrollbahn, Start- und Landebahn, Starterlaubnis! Ein ganz
normaler Flug, so wie immer. Bugrad anbremsen, Fahrwerke entriegeln. Drehzahl 100 Prozent.
So wie immer, nur daß es Nacht ist. Kontrolle des Triebwerkregimes, in Ordnung. Also
Nachbrenner rein, Bremse los, und ab geht die Post. Zum ersten Alleinflug in der Nacht.
Den Distelstrauß, den Leutnant Hebel nach erfolgreichem Freiflug von seinem
Staffelkommandeur erhält, soll - einem alten Fliegerbrauch zufolge - dazu führen, daß
sich Hornhaut an der Hand bildet, damit diese den Steuerknüppel länger halten kann.
- Hauptmann H. Herold
- Fotos: Hauptmann Herold (7), MBD/Fröbus (1) [auf die Wiedergabe wurde
verzichtet! Veith
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