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Die Internationale
Zivil Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte (CCIODH) ist
zu folgenden Einschätzungen gelangt:
1. Polizeiliche
und Rechtliche Aspekte:
Die Regierung
setzte Gewalt ein, ohne zuvor sämtliche Mittel der gewaltfreien
Konfliktlösung auszuschöpfen. Die internationalen Standards zum
Schutz der Menschenrechte wurden dabei nicht respektiert. Der Polizeieinsatz
am 4. Mai 2006 hatte einen Rache-Charakter für die Geschehnisse
am Vortag. Die Schwere und der vorsätzliche Charakter des Einsatzes
lassen es wenig glaubwürdig erscheinen, dass die Einsatzleitung
der Polizei keine Kenntnisse von den Geschehnissen hatte und nicht
in der Lage war diese zu verhindern. Es kam folglich zu einer illegitimen
Anwendung von Gewalt, in einer missbräuchlichen und willkürlichen
Weise, ebenso wie zu einem Missbrauch in dem Gebrauch von Schusswaffen.
Es wurden die Artikel 6.1 und 9. des Internationalen Pakts über
Bürgerliche und Politische Rechte verletzt; die Artikel 4, 5, 5.1,
5.2 und 7.1 des Amerikanischen Menschenrechts-Abkommens, sowie die
Artikel 4, 9 und 10 der Grundlegenden Prinzipien der Vereinten Nationen
zur Anwendung von Gewalt und Schusswaffen bei staatlichen Instanzen.
2. Der Polizeieinsatz:
Durch den Polizeieinsatz
kam es zu erheblichen Verzögerungen der medizinischen Behandlung,
ärztliche Untersuchungen von den entstandenen Schäden und Verletzungen
wurden in nur oberflächlicher und unzureichender Weise unternommen.
Dabei wurden keine den Verletzungen entsprechenden Behandlungen,
sondern nur Behandlungen allgemeiner und symptomatischer Art vorgenommen
- durch die Anwendung von Schmerzstillenden und Anti-Schwellungsmitteln
mit geringer Wirkung; zudem wurde die Folgebehandlung der Verletzten
grob vernachlässigt.
3. Gewalt gegen
Frauen:
Die Mehrheit
der im Zusammenhang des Atenco-Einsatzes in Polizeigewahrsam genommenen
Frauen erlitten verschiedene Formen sexueller Gewalt die von verbalen
Angriffen bis zu wiederholten und extrem gewalttätigen Vergewaltigungen
reichten. Das Gemeinsame aller Aussagen der betroffenen Frauen bezieht
sich auf die Methode, mit der die Gewalt angewandt wurde, die auf
das Bestehen einer strukturellen Gewalt ihnen gegenüber hinweist
sowie auf die allgemeine Akzeptanz dieser Struktur unter den beteiligten
Polizisten. Es muss besonders auf die unzureichende medizinische
und hygienischen Bedingungen hingewiesen werden, die die Frauen
erfuhren; die Ignorierung ihrer Beschwerden über die Misshandlungen
und Vergewaltigungen, das Fehlen von medizinisch-gynäkologischer
Behandlung – diese wurde ihnen bis zum 1. Juni verwehrt.
Während des Polizeieinsatzes
duldeten die verantwortlichen Instanzen die Entstehung von rechtsfreien
Momenten und Räumen, in denen eine Vielzahl kollektiver Gewaltpraktiken
möglich wurde. Es existieren Hinweise pautas des Einsatzes die darauf
hindeuten, dass die Polizisten im Bewusstsein darüber handelten,
dass sie sich durch die Anonymität der Gruppe schützen müssen.
Die juristische
Verantwortlichkeit aller Polizeibeamten, die an dem Transport der
Gefangenen beteiligt waren, ist dadurch unwiderlegbar, dass:
- die kollektive Duldung der Gewaltakte auf möglicherweise bestehende
Befehle von vorgesetzter Stelle hin weisen,
- es erwiesen ist, dass die gleichen Taten in unterschiedlicher
Intensitäten, in allen Fahrzeugen geschahen. Die Annahme der Existenz
von Befehlen höherer Instanzen nach denen die Beamten handelten
wird zusätzlich von folgenden Aussagen gestärkt:
- die Rechtfertigung der Vorgeordneten, dass es keine massiven
Rechts- und Menschenrechtsverletzungen während des Transports
der Gefangenen gegeben habe,
- erst im nach hinein und nur auf allgemeine Weise wurde den
Frauen ein Strafbestand vorgeworfen.
4. Individuelle
und kollektive Folgen des 3. und 4. Mai:
Die CCIODH ist
äußerst besorgt über die schwerwiegenden psychosozialen Folgen,
die in Atenco zu beobachten sind, unter den Gefangenen, sowie im
Allgemeinen unter den von dem Konflikt betroffenen Personen. Die
traumatischen Erinnerungen sind weit verbreitet: Neurosen, Insomnie,
wiederkehrende Blockaden und Amnesien bei fast allen Personen. Auf
fundamentalste Weise wurde das grundlegende Vertrauen in eine gerechte
Ordnung verletzt, das Vertrauen in die eigene und andere Personen
wurde bei jeder/m einzelnen verletzt und beschädigt. Dieser Befund
wird durch die Zufälligkeit und Ungerechtigkeit gestützt, die Wahrnehmung
der Hilflosigkeit und der Verlust jeglicher Kontrolle über die Situation
und das eigene Leben, die Abwesenheit einer sozialen Wahrnehmung
und Anerkennung des erfahrenen Leids, die Angst, der Umgang mit
emotionalen Aspekten dieses Ereignis im Versuch Identitäten zu zerstören,
sowie durch den ökonomischen Bruch. In Bezug auf die vejadas Frauen
kommt el peritaje psiquiátrico und medizinisch der CCIODH zu dem
Schluss, dass mindestens drei Frauen vollständig vergewaltigt und
dass bei zwei von ihnen die psychologischen Folgen Trastorno de
Estrés Prostraumático Severo qualifiziert werden müssen, ohne dass
bisher eine einzige von ihnen Zugang zu einer professionellen medizinisch-psychologischen
Hilfe ihres Vertrauens hatte. Die Angst, die Erniedrigungen und
die erfahrerenen vejaciones der interviewten Frauen deuten darauf
hin, dass systematisch versucht wurde, die Identität der Frauen
zu zerstören, die von dieser Gewalt betroffen waren.
Die Vorfälle des
3. und 4. Mai zeigen bereits eine Reihe von Effekten die das sozial-psychologische
und gemeinschaftliche Gewebe beschädigen.
- der Polizeieinsatz schafft ein „Davor“ und „Danach“ in der
Gemeinde, dadurch dass auf schwerwiegende Weise eine soziale Division
und Polarisierung entstanden ist; ebenso sind innergemeindlicher
Konflikte entstanden und eine Stigmatisierung des ‚Anderen’.
- Es ist zu einem Bruch des historischen Gedächtnis der Gemeinde
gekommen und ihrer früheren Notwendigkeiten und Forderungen.
- Es entstand ein Riss des sozialen Gewebes durch die Enthauptung
der Führungspersonen und Bewegungen ebenso wie die Stigmatisierung
des sozialen Engagements.
5. Hintergründe
und Auslegung des Konflikts:
Basierend auf
den gesammelten Zeugenaussagen listet die CCIODH folgende Ursachen
auf, die zu diesem Konflikt geführt haben könnten: ein ökonomisches
Modell dass die ländliche Bevölkerung vertreibt; die Zerstörung
der informellen Ökonomie; „es ist der Polizei aus der Kontrolle
geraten“, Rache, Kriminalisierung der organisierten Bevölkerung
von Atenco; „den sozialen Organisationen von Atenco einen Schlag
versetzen“; sowie ein bei der Regierung nicht vorhandene Willen
zum Dialog.
6. Die Grundlegenden
Menschenrechtsverletzungen:
Wir unterscheiden
fünf Typen von Grundrechtsverletzungen, die begangen wurden:
- das Recht auf persönliche Freiheit;
- das Recht auf physische und moralische Unversehrtheit;
- das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung sowie Diebstahl;
- das Recht auf freie Bewegung und Wahl des Wohnorts,
- die Rechte der Frauen, und der sexuellen Freiheit (es bestehen
zudem Berichte von schwerwiegender sexueller Gewalt gegen Männer
und Minderjährige)
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Aus den hier genannten Gründen empfiehlt die CCIODH:
- die sofortige medizinische, therapeutische und soziale Hilfe
und Versorgung der betroffenen Frauen
- die Ergreifung sofortiger Maßnahmen zum Schutz der betroffenen
Frauen, insbesondere derjenigen, die sich zu einer Anzeige entschlossen
haben
- die entsprechenden staatlichen und Bundesbehörden zu identifizieren,
juristisch zu untersuchen und bei Feststellung der Schuldhaftigkeit
zu verurteilen, die durch Unterlassung oder vorsätzlich an der
Vorbereitung, Planung und / oder Durchführung des Einsatzes teilgenommen
haben.
- die sofortige Amtsenthebung des Generaldirektors der Staatlichen
Behörde für Sicherheit, Herr Wilfredo Robledo Madrid, sowie
Kommandeur David Pintado Espinos
- die sofortige Amtsenthebung des Verantwortlichen des Einsatzes
der Bundespolizei (PFP), Kommissar Alejandro Eduardo Martínez
Aduna sowie des Chefs des Generalstabs, Brigadegeneral Ardelio
Vargas Fosado.
- anstoßen notwendiger rechtlicher Reformen, um die von
den Polizisten begangenen Delikte verfolgen zu können, und die
Verantwortlichkeiten der Vorgesetzten zu depurar
- es muss fortan verhindert werden, dass Angehörige des Mexikanischen
Militärs in Polizeieinsätzen mitwirken.
- fortfahren mit der größtmöglichen Sorgfalt und celeridad in
der Untersuchung und Aufklärung der Vorfälle, ohne dass die Wahlperiode
zu einer Verzögerung oder Ablenkungen in der Verfolgung der Schuldigen
führt.
- die sofortige Freilassung der Gefangenen in den Strafanstalten
‚Santiaguito’ und ‚La Palma’ unter dem Prinzip der
Unschuldsvermutung sowie die Aufhebung der Ausweisungen gegen
die ausländischen Personen.
- die Reparation moralischer, emotionaler, wirtschaftlicher und
rechtlicher Art, ebenso wie die Wiedergutmachung des gemeinschaftlichen
Schadens, Ausgleich des sozialen Schadens und historischer Wiedergutmachung
der von dem Konflikt betroffenen Gemeinden. Es muss in angemessener
und gerechter Weise den Ansprüchen in Hinblick auf Bildung, Gesundheit,
Verkehrswesen, und öffentlichen Bauten etc. der Gemeinde entsprochen
werden, um den Ursachen des Konflikts zu begegnen. Dies ist das
wichtigste Reparationsmittel, das es umzusetzen gilt.
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