62 tage
in riga

noch nie war ich länger von zu hause weg als 3 wochen. und jetzt gleich zwei monate. ist heimat nun wirklich nur zu hause oder geht's auch woanders? spielt es möglicherweise gar keine rolle? damit die zuhaus gebliebenen wissen, wie's mir geht, schreib ich es hier hin und wieder auf. die neuesten einträge stehen ganz oben. wer mir eine e-mail schreiben will, kann das hier> gerne tun.

     


für alle, die wissen
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  friedhöfe - 30. märz 03  


woche neun>


woche sieben/acht
30.3. - friedhöfe>
29.3. - eine woche>
28.3. - wohnen>
27.3. - der teufel>
26.3. - lieder>
25.3. - zu gast>
24.3. - tallinn>
23.3. - suff & schuhe>
22.3. - zeit>
21.3. - essen>
20.3. - im sommer>
19.3. - im wald>
18.3. - wie im westen>
17.3. - ganz oben>


woche fünf/sechs>


woche drei/vier>


woche eins/zwei>

 

Die Letten lieben Friedhöfe. Sonntags nach dem Kaffeetrinken flaniert man nicht durch die Fußgängerzone und bestimmt nicht an der Daugava entlang, sondern man schlendert über den nächstgelegenen Friedhof. Und weil ich wissen wollte, wie das ist, wenn man grundlos über den Friedhof geht, habe ich es ihnen nun schon mehrfach gleichgetan und festgestellt, dass sie mal wieder Recht hatten, die Letten. Jeder Friedhof besitzt eine einzigartige Atmosphäre. Oft mitten im Wald> gelegen, scheinen die Gräber bunt durcheinander gewürfelt zu sein. Nichts mit deutscher Ordnung.

Der bekannteste Friedhof dürfte der Bruderfriedhof> sein, auf dem ungefähr 2000 Soldaten ruhen. Zwischen 1924 und 1936 erhielt der symetrisch angelegte Friedhof> sein Architekturensemble. In der Mitte der Anlage brennt eine heilige Flamme, an der Stirnseite erhebt sich die Skulptur der trauenden 'Mutter Lettland'>, die das gesamte Areal überblickt. Ein weiterer bekannter Friedhof, der Rainis-Friedhof, befindet sich nur einige hundert Meter entfernt. Hier liegt unter anderem der lettische Dichter und Schriftsteller Jánis Rainis begraben. Rainis, der 1926 starb, muss für die Letten sowas wie Goethe für die Deutschen sein. Und das nicht nur, weil er dessen Faust ins Lettische übertragen und nachgedichtet hat. Daher scheut man sich kein bisschen, einen entsprechenden Heldenkult zu zelebrieren. Das Denkmal>, das man ihm zu Ehren angelegt hat, erinnert an einen griechischen Tempel. Als Grabstein, der im Übrigen aus einem Stück geschlagen ist, tront auf einem Steinblock eine halbnackte Figur> und streckt das Gesicht gen Sonne. Also, wenn das Jánis Rainis war, dann kann ich den Heldenkult verstehen. Wen die Skulptur tatsächlich darstellt, ist an keiner Stelle herauszubekommen, daher beschlossen wir, dass es Rainis ist. Ein wahrhaft gut aussehender Held...

Einige der Friedhöfe in Riga sind schon lange nicht mehr in Betrieb. Sie sind eher als Parks> zu betrachten, in denen vereinzelt noch der eine oder andere Grabstein> zu finden ist. Hier und da stehen Gruften>, die nicht gerade einladend aussehen. Wie auf allen anderen Friedhöfen auch, finden sich hier zu jeder Tageszeit zahlreiche Spaziergänger. Diesen Parks wohnt eine wilde Romantik inne, weil die alten, zum größten Teil nicht mehr gepflegten Grabstätten so friedlich und bedrohlich zugleich daherkommen. Es ist wirklich schön hier langzulaufen und wenn die Sonne durch den Laub- und Nadelwald scheint, tut das ein Übriges.

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eine woche - 29. märz 03

Nur noch eine Woche. Nach und nach stellt sich die Ungeduld ein. Im Laufe der kommenden Woche wird das sicher noch schlimmer. Ich kann mich noch gut erinnern, wie die letzte Woche vor dem Abflug nach Riga war - die reine Katastrophe. Ganz so heftig wird es dieses Mal natürlich nicht werden, denn ich weiß ja, was mich erwartet. Nämlich mein zu Hause, und das ist garantiert nichts unangenehmes. Aber auf den Flug freue ich mich trotzdem nicht. Nun versuche ich mein letztes Wochenende in Riga zu genießen. Ganz ruhig soll es sein, denn vom Rumreisen habe ich langsam genug. Das Wochenende wird naturgemäß schnell vorbeigehen. Und auch in der letzten Woche wird die Zeit rasen. Es bleiben noch fünf Tage, um zu arbeiten. Noch bin ich mit meiner Arbeit im Goethe-Institut nicht fertig, doch es sieht ganz so aus, als würde ich alles schaffen.

Heute in einer Woche werde ich im Flieger sitzen, der mich wieder zurück bringt in die Heimat. Vorausgesetzt natürlich, der Vogel bricht nicht auseinander und fällt unvorhergesehen vom Himmel. Schon Mittags werde ich dann, wenn alles gut geht, wieder zu Hause sein, in meiner schönen Wohnung. Das Wetter wird hoffentlich so sein, dass man problemlos VOR einer Kneipe sitzen kann, ohne zu erfrieren. Mein Hund wird angesichts meines unvermittelten Wiederauftauchens vermutlich einen Herzschlag bekommen und tot umfallen. Wir haben überlegt, wie man das arme alte Tier auf das Wiedersehen vorbereiten kann, aber es ist unmöglich, ihm das schonend beizubringen. Hunde sind nunmal doof.

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wohnen - 28. märz 03

Auf meine Fragen hat sich bestätigt, was ich sowieso ahnte: Ein normaler Einwohner Rigas könnte sich nie im Leben eine Wohnung in der Altstadt leisten. Hier wohnen nur die Reichen und Privilegierten. Das erkennt man schon an der Art der Autos, die für gewöhnlich durch die Gassen der Altstadt sausen. Dann wohnt dort noch eine handvoll "Ureinwohner", die schon immer hier lebten und deren Mietshäuser sich noch in Staatshand befinden. Der Staat versucht nach und nach alle Gebäude in Riga an die Alteigentümer rückzuübertragen, aber die Suche nach lebenden Erben gestaltet sich schwierig. Daher wird es die staatlichen Wohnungen noch eine Weile geben. Für diese Art Wohnraum existieren sehr lange Wartelisten. Diese haben eher symbolischen Wert und sind jeweils so lang, dass man es eigentlich vergessen kann.

Ein Haus oder eine Wohnung in Riga, ganz egal in welchem Stadtteil, gelten als absolute Wertanlage. Es ist üblich, sich eine Wohnung zu kaufen, da die Mieten in kürzester Zeit derart in die Höhe schnellen, dass man bei einer festen monatlichen Rate an die Bank nur sparen kann. Viele Menschen sind permanent auf der Suche nach billigem Wohnraum. Es spricht sich relativ schnell herum, wenn in einer Wohnung ein Todkranker oder ein Alkoholiker wohnt. Die Leute warten dann wie die Geier, um die Wohnung zu einem günstigen Preis abkaufen zu können. Das klingt makaber, aber hat natürlich seine Logik. Die Höhe der Mieten in Riga ist sicher keineswegs mit denen in Deutschland zu vergleichen, allerdings bekommt das, was wir an Miete zahlen, ein durchschnittlicher Lette noch nicht mal als Einkommen. Die Banken sind bei der Kreditvergabe für Immobilien außerordentlich großzügig. Quasi jeder kann hingehen und bekommt Geld, um sich eine Wohnung zu kaufen. Selbst wenn der Kreditnehmer irgendwann zahlungsunfähig ist, kann die Bank nur gewinnen, weil der Wert des Hauses in der Zwischenzeit schon wieder enorm gestiegen ist. Momentan sieht es nicht so aus, als würde dieses System einmal umkippen.

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der teufel - 27. märz 03

Es gibt eine alte lettische Sage, nach der der Teufel Riga untergehen lassen will, sobald es vollendet ist. Dazu verwandelt er sich einmal in hundert Jahren in eine Elster und stellt, über der Stadt flatternd, die Frage, ob Riga schon fertig sei. Die Bürger müssen die Stadt ständig verändert und erneuern, um zu zeigen, dass an Riga noch gebaut wird. Für ewige Zeiten will der Teufel die Stadt in der Daugava versinken lassen, wenn jemand das Gegenteil behauptet.

Riga zeigt sich an vielen Stellen noch als Baustelle, denn es gibt hier viel zu tun. Auf alten Bildern erkennt man die Stadt gar nicht wieder. Zum einen, weil sie im Krieg so sehr zerstört wurde, was man sich heute wirklich nicht mehr vorstellen kann. Zum anderen, weil während der Sowjetzeit der Zahn der Zeit stark an einigen Gebäuden genagt hat. Zur 800-Jahr-Feier vor zwei Jahren hat man versucht, der Stadt ein neues Gewand zu verpassen. Viele Gebäude, die im Krieg zerstört und dann abgerissen wurden, hat man originalgetreu wieder aufgebaut. Unter anderem das Schwarzhäupterhaus> und das Rathaus>, das sich immer noch im Bau befindet. Beinahe die gesamte Altstadt hat man bis zum heutigen Tage saniert. Einige Häuser fehlen noch, doch man sieht, dass daran gearbeitet wird. Auch außerhalb der Altstadt, an den zahlreichen Jugendstilbauten>, hat sich schon viel getan. Einigen Gebäuden sieht man deutlich an, dass sie soeben restauriert wurden. Wieder andere sind eingerüstet und es wird heftig an ihnen gearbeitet. Viele Gebäude, ganz besonders auch die für Riga so typischen Holzhäuser>, sehen noch erbärmlich aus, doch glaubt man der alten Sage, dann ist das ja auch ganz gut so.

Riga kann so schnell gar nicht fertig werden. Diese Stadt hat so viel traurige Geschichte erlebt. Unzählige Heere sind durch sie hindurch gezogen, um die Stadt immer wieder zu zerstören und zu erobern, und erst nach fast 800 Jahren Stadtgeschichte gehörte Riga seinen lettischen Erbauern. 1997 wurde Rigas Altstadt in die UNESCO Liste für Weltkulturerbe aufgenommen. Die Stadt wartet immer noch darauf verbessert zu werden.

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lieder - 26. märz 03

Die Letten sind Weltmeister im Sammeln von Volksliedern. Schon im 19. Jahrhundert hat ein lettischer Folklorist begonnen, kleine, mündlich überlieferte Vierzeiler, so genannte Dainas, zu sammeln. Bis zu seinem Tod sammelte er weit über 200.000 Dainas, die er thematisch sortierte. Seine Nachfolger am Lettischen Literaturinstitut haben weitergesammelt und inzwischen gibt es ebensoviele Dainas wie Letten.

Die Begeisterung für alles, was mit Musik zu tun hat, ist riesig. So kommt es auch, dass hier in Riga das Interesse am Grand Prix d'Eurovision so groß ist. Am vierten Tag des Vorverkaufs waren bereits alle Tickets für den Song-Contest vergriffen. Die Vorjahressiegerin Marie N. ist eine Art Volksheldin und wird in unterschiedlichen Zusammenhängen immer mal wieder zur Frau des Jahres gekührt. Wie es scheint, werden die Vorausscheide der einzelnen europäischen Länder gleich live im lettischen Fernsehen übertragen. Sicher kommt das auch dem chronischen Geldmangel des staatlichen Fernsehens entgegen. Aufgrund dieser echten Begeisterung, hoffe ich, dass trotz aller Querelen und der Inkompetenz des hiesigen Fernsehens der Wettbewerb auch wirklich in Riga stattfindet und nicht, wie angedroht, doch noch verlegt wird.

Alle fünf Jahre findet auch das große Lettische Sängerfest auf der Sängerbühne> in Riga statt. Bis zu 10.000 Sänger und bis zu 25.000 Zuschauer haben auf und an der Bühne> Platz. Wie ein so großer Chor dann singt, kann man sich wahrscheinlich nur vorstellen, wenn man es gesehen hat. Leider ist das nächste Sängerfest erst im Jahre 2006. Ich habe es also nicht gesehen und kann es mir daher auch nicht vorstellen. Zu diesen Sängerfesten, aber auch zu kleineren Veranstaltungen dieser Art, kommen die Zuschauer in Strömen. Das erstaunt nicht, denn vor allem durch ihre Musik ist es den Letten auch während der Jahrhunderte langen Fremdherrschaft gelungen, ihre Kultur und Sprache zu bewahren.

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zu gast - 25. märz 03

Seit nunmehr zehn Tagen habe ich Besuch hier in Riga. Gute Gelegenheit für einen Gastkommentar (dachte sich der Besuch). Daher lest Ihr heute keinen Text von mir, sondern einen von Katharina, der mir unter dem Titel 'Die Wahrheit über Riga...' zuging. Vielleicht wird so ja einiges geklärt und richtig gestellt :-)

Die Wahrheit über Riga ...
Schon vor der Ankunft wurde mir ein Gastkommentar auf Susis Website zugesichert, worauf ich mich auch schon die ganze Zeit gefreut habe, denn ich kann Euch jetzt die wahre Wahrheit über Riga erzählen. Ich hatte die Überschrift des Artikels schon mal beiläufig im Gespräch mit Susi fallen lassen und auch, dass ich dachte, gleich mit dem Wetter zu beginnen. Seitdem ich hier bin, genauer gesagt bis zum Wochenende, herrschte hier nämlich ein phantastisches sonniges Frühlingswetter. Es schlug mir gleich eine gewisse (und völlig ungewohnte) Feindseligkeit entgegen, die darin gipfelte, dass ich heute bei eisigem Wind und Temperaturen um ca. -20 Grad Celsius einen ausgedehnten Waldspaziergang und die Besteigung einer Freiluftbühne über mich ergehen lassen musste. Zwar bin ich trotz der Erfrierungen an meinen Händen in der Lage diesen Text zu schreiben, aber zum Thema Wetter habe ich nunmehr nichts hinzuzufügen.

Schon am ersten Tag meines Besuches in Riga konnte ich auch den bis dahin überzeugenden Beitrag: 'Riga ist auch im Winter eine wirklich tolle Stadt' von der Liste streichen. Als wir an der zugefrorenen Ostsee spazieren gingen, sahen mich die beiden Mädels schon immer so erwartungsvoll an und nach ca. 10 Minuten war es dann so weit, ich habe ihn gesagt den Satz - 'Im Sommer könnte es hier wirklich richtig schön sein'. Unter großem Jubel, ob dieser Rekordzeit, beschloss ich umgehend ein anderes Thema aufzugreifen. Und dabei kommt es zu einer wirklichen Enthüllung (vermutlich wird diese Textstelle in der Zensur entfernt). Diese einzigartige Likörspezialität "rigas balzams", von der hier die Rede war, kann man mit noch so phantastischen Flüssigkeiten mixen, es wird niemals ein genießbares Getränk daraus. Ich hatte es gestern schon unter mein Bett geschüttet, aber Susi hat es sofort bemerkt und ich musste mir ein neues Glas eingießen (und den Rest natürlich aufwischen). Also wenn ich Euch einen Rat geben darf, alles was Susi geschrieben hat, habe ich genauso vorgefunden, nur die Sache mit dem balzams .....

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tallinn - 24. märz 03

Um dem Klischee vorzubeugen, dass die einzige Sehenswürdigkeit in Tallinn die besoffenen Finnen sind, folgt heute nochmal ein versöhnlicherer Text. Tallinn ist nämlich eine wunderschöne Stadt. Die Altstadt ist möglicherweise die schönste des Baltikums. Zu einem großen Teil ist die Stadtmauer mit den zahlreichen Türmen noch erhalten. Sie verläuft mit einigen Lücken um das gesamte Areal. Die Stadt gliedert sich in eine obere und eine untere Altstadt. Von oben hat man einen atemberaubenden Blick auf die roten Dächer und Gassen der Stadt.

Natürlich hatten wir auch einfach mit dem Wetter Glück. Pünktlich zum Frühlingsbeginn zeigte sich Tallinns Himmel strahlend blau, weshalb die Stadt noch farbenprächtiger leuchtete als sie es sowieso schon tut. Mein Fotoapparat war im Dauereinsatz und zeigen kann ich nur einen kleinen Teil der Bilder. Auch hier sei anzumerken, dass Tallinn ganz sicher zu kurz kommt. Soviel gäbe es zu berichten. Über die wunderschöne Altstadt mit den zahllosen Türmen, über den Hafen, über das gefrorene Meer und über die Parks am Rande der Stadt. So bleibt es bei einem kurzen Fotobericht, aufrufbar auch aus der linken Navigationsleiste.

Fotos zu meinem Ausflug nach Tallinn>

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suff & schuhe - 23. märz 03

Tallinn, die estnische Hauptstadt, ist touristisch viel erschlossener als die anderen baltischen Großstädte. Und dieser Umstand hat vor allem etwas mit dem Fährhafen und mit Finnland zu tun. Oder, genau genommen, mit den finnischen Touristen und der Tatsache, dass sämtliche Alkoholitäten in Estland weit günstiger zu haben sind als in Finnland. Daher trifft man in Tallinn auch immer wieder auf mehr oder weniger stark angetrunkene Finnen, die locker auch schon um 9.00Uhr morgens das erste Bier schaffen, während sich unsereins noch mit Kaffee wachhält.

Interessant sind die Auswirkungen des finnischen Sauftourismus auf den Einzelhandel in der Innenstadt. Neben den unvermeidlichen Souvenirläden gibt es dort nämlich vor allem Bars und Geschäfte, in denen man nichts anderes bekommt als Zigaretten und Getränke mit mehr als 40% Alkoholgehalt. Das ist jedoch nur die eine Hälfte. Der andere Teil der Geschäfte vertreibt ausschließlich Kosmetikprodukte, Taschen und vor allem jede Menge Schuhe. Also all jene Produkte, deren ständigen Einkauf die durchschnittliche europäische Frau als ihr Grundrecht betrachtet. Woran das liegt, ist klar. Man kann davon ausgehen, dass ein sehr großer Teil der finnischen Einkommen in estnischen Schnapsläden landet, während der Rest für Damenschuhe draufgeht, um das weibliche Geschlecht auch dann noch bei Laune zu halten, wenn der geliebte Herr Gemahl sich bereits volltrunken mit beiden Händen fest an die Bordsteinkante klammert.

Was ich eigentlich erzählen wollte: Die Anschaffung von Waren des täglichen Bedarfs (sofern man Schnaps mal nicht dazu zählt), ist in der Altstadt von Tallinn beinahe ausgeschlossen. Dafür ist es umso wahrscheinlicher, zahlreichen schwankenden Finnen zu begegnen, was irgendwie entschädigt.

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zeit - 22. märz 03

Die Zeit rennt. Das tut sie immer, aber selten wird das so deutlich wie hier. Eben erst bin ich in Riga angekommen, schon sind bereits mehr als drei Viertel der Zeit um. Ich habe wieder Besuch, weshalb wir viel unternehmen und die Tage noch schneller vergehen. Nur rein wettermäßig schien die Zeit hier lange stehen geblieben zu sein. Doch nun wird es sogar hier langsam wärmer. Der Himmel ist manchmal so blau, dass einem die Augen wehtun, wenn man zu lange hinschaut. Ein kalter rauher Frühling. Man merkt richtig wie der Winter kämpft, wie schwer es die Sonne hat, auch mal zu wärmen. Doch es wird besser, soviel ist klar.

An vieles hier habe ich mich inzwischen gewöhnt, unter anderem eben auch daran, hier den längsten Winter meines Lebens zu verbringen. Das bedeutet keinesfalls, dass mir Berlin nicht fehlt, doch Riga ist auch nicht mehr fremd für mich. Ich wohne ja seit sieben Wochen in dieser Stadt. Ich kann sagen, welche Museen sich lohnen, weiß, wo die Stadt am schönsten, wo sie am lebendigsten, wo sie am ruhigsten ist. Ich kenne die gemütlichen Kneipen und weiß, wo man preiswert gutes Essen bekommt. Vielleicht bin ich ja inzwischen wirklich zu einer Art 'Riga-Reiseführer' mutiert. Kein Wunder, habe ich doch nun so viel über diese Stadt gelesen, gelernt und geschrieben.

An das Leben im Wohnheim werde ich mich auch in den letzten beiden Wochen nicht mehr gewöhnen. Nichts werde ich zu Hause mehr genießen als das eigene Bad und die eigene Küche. Beides dann auch einigermaßen sauber und wenn nicht, dann ist es wenigstens mein eigener Dreck. In einer Woche wird die große Unruhe in mir beginnen. Dann werde ich plötzlich genug von der Ferne haben, genug von Riga und Lettland. Dann werde ich anfangen, den Tag der Heimreise herbeizusehen. Auch wenn ich mich auf den Flug keineswegs freue. Aber bislang bin ich guter Dinge und die Ungeduld hält sich in Grenzen. Ich bin immer noch gerne in Riga.

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essen - 21. märz 03
Verhungern muss hier keiner. Nicht nur, weil die Letten quasi alles in Blätterteig einbacken, was ihnen in die Finger kommt. Auch an sehr preiswerten warmen Speisen mangelt ist nicht. Ein sehr typisches Gericht sind Pelmeni. Kleine gekochte Teigtaschen, in denen sich eine Fleisch- oder Gemüsefüllung befindet. Hat was von Tortellini. Hier gibt es mehrere Pelmeni-Läden. Dort tut man sich einfach so viel von dem Zeug auf den Teller, wie man glaubt, essen zu können. An der Kasse wird gewogen und für lächerlich wenig Geld hat man dann ein preiswertes und vor allem warmes Essen. An allen Ecken gibt es auch Soljanka und Borschtsch, der viel genießbarer ist, als ich es dem Namen nach vermutet hätte.

Eine weitere Spezialität sind 'pankúkas', also Pfannkuchen (bzw. Eierkuchen, wie wir Preußen zu sagen pflegen). Diese gibt es hier für wenig Geld mit einer leckeren süßen oder würzigen Füllung. In der Altstadt gibt es einen richtigen 'pankúkas'-Laden, aber auch in jedem anderen Restaurant kann man welche bestellen. Dann gibt es noch ein wirklich empfehlenswertes Selbstbedienungs-Restaurant, namens 'lido'. Eigentlich handelt es sich um eine ganze Kette und man könnte es mit den 'marché'-Fresstempeln in Deutschland vergleichen. Nur ist hier alles viel preiswerter. Trotzdem geht man aus diesen Läden immer vollkommen überfressen raus, weil die Augen ständig größer sind als der Magen. Selbst am Flughafen gibt es einen 'lido', wo das Essen komischerweise genauso wenig kostet, wie in der Stadt. Für das Geld, das man dort für ein komplettes Essen plus Getränk bezahlt, bekommt man an deutschen Flughäfen noch nicht mal einen Espresso. Wirklich tödlich sind in Lettland die vielen Süßwaren. Das muss erwähnt werden, obwohl es sich hierbei ja nicht um Nahrungsmittel im herkömmlichen Sinne handelt. Schon vor meinem Aufenthalt wurde mir angekündigt, dass es in Lettland hervorragendes und vor allem süchtig machendes Schokoladenkonfekt gibt. Das ist leider wahr, aber ich kämpfe dagegen an...

Falls sich also zu diesem Zeitpunkt noch jemand Sorgen gemacht hat, dass ich hier nicht genug zu Essen bekomme, dann konnte ich diese Zweifel jetzt sicher beseitigen.

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im sommer - 20. märz 03

'Es ist wirklich schön hier, aber im Sommer ist es sicher noch viel schöner...' Das ist zweifelsohne meistgesprochenste Satz hier. Jeder sagt das früher oder später und auch ich ertappe mich ständig dabei. Der Ausspruch entwickelt sich langsam zur Universalentschuldigung, wenn man mal wieder im Schlamm stecken geblieben ist oder fast von fallenden Eiszapfen erschlagen worden wäre. Es gibt vermutlich niemanden, dem ich noch nicht mitgeteilt habe, dass es hier im Sommer sicher schöner ist. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Vilnius und der Gedanke wird mich auch in Tallinn nicht loslassen. Ganz egal, wo man hinfährt, wo man sich aufhält, wo man spazieren geht, immer denkt man: Schön hier, aber im Sommer sicher noch besser. Man denkt: Toller Fluss, aber leider zugefroren. Netter Park, aber leider nur kahle Bäume. Beeindruckende Burg, aber der Berg auf dem sie steht, ist wegen der vereisten Wege unbezwingbar, die Burg damit uneinnehmbar...

So kristallisiert sich eines immer mehr heraus: Ich muss hier noch mal im Sommer herkommen. Und dann am besten das ganze Baltikum bereisen. Andererseits sehe ich auch die positive Seite. Denn der Winter hat auch etwas gutes. Ich habe diese Stadt vollkommen eingeschneit> erleben dürfen, ich konnte sehen, wie eine bis zum Horizont zugefrorene Ostsee> aussieht und konnte einen Spaziergang AUF dem hiesigen Fluss> unternehmen. Sieht man es so, bin ich eigentlich ein großer Glückspilz. Es ist mir nämlich gelungen, im tiefsten Winter in eine eiskalte Gegend> zu fahren, die trotz allem immer noch großartig ist. OBWOHL nicht Sommer und vielleicht auch gerade WEIL Winter ist.

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im wald - 19. märz 03

Hätte mich jemand gefragt, ob ich Lust auf einen Spaziergang im Wald habe, so hätte ich sicher dankend abgelehnt. Nicht nur, weil wir tags zuvor ein riesiges Laufpensum bewältigt hatten. Auch schien mir der lettische Wald momentan ein nicht unbedingt empfehlenswerter Ort zu sein. Das ganze Land befindet sich lautstark tropfend im Auftauen. Wald ist hier im Moment also ungefähr das gleiche wie ein eisiges Schlammloch. Unser Ziel am letzten Sonntag war aber nicht einfach nur der Wald, sondern das Lettische Ethnographische Freiluftmuseum. In diesem sind die vier lettischen Regionen Kurzeme, Zemgale, Vidzeme und Latgale anhand historischer Bauten erklärt. Mitten im Wald stehen zahlreiche Holz- und Strohhütten, die zeigen, wie das Leben auf einem alten lettischen Bauernhof aussah (und - wie ich hin und wieder befürchte - bisweilen immer noch aussieht).

Die Straßenbahn spuckte uns an einem Ort aus, der stark an das Ende der Welt erinnerte und an dem sowas wie eine Autobahn begann. Auf einem riesigen See saßen trotz des Tauwetters immer noch zahlreiche Eisangler und irgendein Verrückter fuhr auch dauernd mit dem Auto übers Eis. Vielleicht waren es auch immer andere Verrückte, denn ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das Eis gehalten hat... Und obwohl ich nichts weniger wollte, als einen ausgedehnten Spaziergang durch einen auftauenden Wald, war es ein fabelhafter Tag. Das lag vor allem daran, dass es endlich mal sonnig UND warm war. Ein deutliches Zeichen von Frühling. Die Ausstellung im Wald passte zum Wetter und zu den langen Schatten, die die Bäume warfen. Um Euch den lettischen Wald näher zu bringen, habe ich einige Fotos von unserem Ausflug ins Netz gestellt, aufrufbar auch aus der linken Navigationsleiste.

Und natürlich sieht man auch ein wenig von dem Museum im Wald>.

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wie im westen - 18. märz 03

Kommt man nach Riga, dann könnte man denken, man befindet sich in einer beliebigen europäischen Metropole. Man fühlt sich, wie es so schön heißt, wie im Westen. Zwar ist Riga eine kleine Hauptstadt, doch vor allem ist es sauber, unchaotisch und irgendwie nordeuropäisch. Auf den Straßen nur Westautos und in den Geschäften nur Waren, die man auch aus Deutschland kennt. Und hier fangen die Probleme vermutlich auch an, denn die Importe nehmen zu, während die heimische Wirtschaft so nach und nach vor die Hunde geht. Viel Wirtschaft gibt es seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 sowieso nicht mehr. Das meiste ging zusammen mit der Sowjetunion unter. Lettland ist im europäischen Durchschnitt mit einem unglaublich hohen Wirtschaftswachstum gesegnet. Das ist aber auch kein Wunder, denn hier gibt es so wenig Industrie, dass jedes neu eröffnete Unternehmen die Statistik in die Höhe treibt.

In den Läden gibt es auch jede Menge einheimische Produkte, doch viele Letten kaufen wie verrückt das durch Einfuhrzolle total überteuerte Westzeug. Dabei ist das durchschnittliche Einkommen in Lettland kaum mit dem eines Deutschen zu vergleichen. Besonders wenig verdienen übrigens Lehrer, die meistens ohne Zweitjob gar nicht leben können. Lettland gibt sich als Sozialstaat und versucht jedem Bedürftigen unter die Arme zu greifen, doch ist dafür viel zu wenig Geld da. Am meisten leiden darunter die Alten, denn bei den hiesigen Renten kann man eigentlich nicht mehr davon reden, dass sie zum Sterben zuviel sind. Die meisten Bettler, die man hier sieht, sind jenseits der 60. Und viele dieser Menschen verrichten sehr harte Arbeiten, wie Schneeschippen oder Fußwege vom Eis befreien, um sich etwas Geld dazu zu verdienen.

Ich möchte hier keine Klischees verbreiten. Lettland ist ein wunderschönes und auf gewisse Weise auch modernes Land, dessen Probleme wahrscheinlich nicht mit denen anderer Staaten zu vergleichen sind. Man muss auch nicht darüber reden, dass Riga, wenn man aus der Stadt herausfährt, nicht mehr ganz so prächtig ist, wie die Altstadt. Das ist ein Phänomen, dass eigentlich jeder Hauptstadt zueigen ist. Zumal diverse Hauptstädte noch nicht einmal in der Stadtmitte erträglich sind. Es ist nur so, dass Lettland ein Land mit einer tragischen Vergangenheit ist und die Folgen davon noch lange nicht überwunden sind. Viele Besucher Rigas merken davon nichts und ich vergesse das hier hin und wieder auch.

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ganz oben - 17. märz 03

Der höchste Punkt in der Altstadt, von dem aus man auf Riga schauen kann, ist die St. Petri-Kirche>. Die Aussichtsplattform auf dem Dom> ist nicht so hoch und außerdem im Winter geschlossen. Der Fernsehturm> ist zu weit weg, als dass man von dort noch ernsthaft etwas von der Stadt sehen könnte.

St. Petri kann, ebenso wie Riga, auf eine 800-jährige Geschichte zurückblicken. Aus dem 13. Jahrhundert sind inzwischen jedoch nur noch die seitlichen Außenwände geblieben. Im Laufe der Zeit wurde die Kirche immer wieder zerstört und aufgebaut. Im zweiten Weltkrieg ist sie komplett ausgebrannt und hat ihren Turm verloren. Seit 1973 hat sie ihn wieder. Insgesamt misst er 123 Meter. Die provisorische Kirchturmuhr spielt alle drei Stunden eine lettische Volksweise. Der Wiederaufbau hatte zur Folge, dass man nun bequem mit dem Fahrstuhl auf die Aussichtsplattform gelangt. Kein Treppensteigen und trotzdem 72 Meter über der Altstadt. Daran sollte sich der Kölner Dom unbedingt mal ein Beispiel nehmen.

Mein Besuch auf St. Petri hat fast zum Tod durch Erfrieren geführt. Ich konnte schlicht nicht aufhören, um mich rum zu fotografieren. Die Ergebnisse könnt Ihr in einer kleinen Bilderserie bestaunen. Aufrufbar auch aus der linken Navigationsleiste.

Ganz oben - auf dem Turm von St. Petri>

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