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62 tage in riga |
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noch nie war ich länger von zu hause weg als 3 wochen. und jetzt gleich zwei monate. ist heimat nun wirklich nur zu hause oder geht's auch woanders? spielt es möglicherweise gar keine rolle? damit die zuhaus gebliebenen wissen, wie's mir geht, schreib ich es hier hin und wieder auf. die neuesten einträge stehen ganz oben. wer mir eine e-mail schreiben will, kann das hier> gerne tun. |
fotos von hier? näher zu mir? wo ich bin? weg von hier? best view 800x600px |
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Ich
wollte eigentlich nie irgendwo anders leben. Auch nicht für zwei
Monate. Die Fremde erschien mir unheimlich und wenig reizvoll. Länger
als einen Urlaub, der bei mir nicht länger als drei Wochen dauert,
wollte ich nie weg. Nun sind neun Wochen um. Riga, von dem ich vermutet
hatte, es befände sich mindestens auf dem Mond, ist erheblich in
Richtung Erde gerückt. Selbst der Ostseestrand in Júrmala
hat, dank des anhaltenden Tauwetters, nicht mehr viel von Mondlandschaft.
Riga war mir für zwei Monate ein zu Hause und es hat sich redlich
Mühe gegeben dabei. Nie hatte ich das Gefühl, nicht mehr dort
bleiben zu wollen.
So manches war fremd für mich, so vieles neu und anders. Anderes widerum war vertrauter als ich es je zu glauben gewagt hätte. Zwei Monate habe ich von Riga erzählt. Geschichten aus der Fremde. Spricht man von der Fremde, so spricht man auch immer von sich selbst, denn das Fremde ist ja das, was nicht zu einem gehört. Das also, was man nicht ist. Demnach ist das Bild des Fremden auch ein indirektes Selbstbild und sagt vielleicht mehr als im ersten Moment offensichtlich wird. Wenn die Fremde nun nicht mehr fremd ist, dann muss auch ich mich verändert haben. Möglicherweise ist es das, was diesen Aufenthalt wichtig gemacht hat. Vielleicht ging es doch um mehr, als nur darum, mir zu beweisen, dass ich es zwei Monate fern der Heimat aushalte. Um auf das Max-Frisch-Zitat zurückzukommen: Dieser Teil Erde hat sich als viel heimatlicher erwiesen als ich das jemals angenommen hatte. Aber heimatlich ist nicht Heimat. Auch zu Hause ist nicht Heimat. Als ich aus Vilnius oder aus Tallinn zurück nach Riga kam, fühlte ich mich, als käme ich nach Hause, weil ich in diesen Wochen eben kein besseres zu Hause als das Wohnheim in der Rigaer Altstadt hatte. Heimat jedoch ist etwas anderes. Das ist immer noch da, wo meine Wurzeln sind, wo man mich versteht, wo man meine Sprache spricht, wo die Menschen leben, die mir wichtig sind. Ganz bestimmt ist Heimat etwas sehr individuelles, vielleicht die Gesamtsumme dessen, was einem fehlt, wenn man woanders ist. Jetzt, wo ich endlich zu Hause bin, merke ich, an wieviele Dinge ich mich in Riga gewöhnt hatte. Mir ist immer noch schleierhaft, wie ich es so lange in dieser kalten Stadt aushalten konnte. Der längste Winter meines Lebens. Und wenn schon nicht das Wetter, so wird mir doch einiges anderes fehlen. Und in Gedanken werde ich sicher noch oft durch diese Stadt laufen, vorbei an den Kirchtürmen, über den Fluss, am gefrorenen Meer entlang. Bestimmt werde ich wiederkommen. Irgendwann im Sommer, wenn die Bäume grün sind. Sicher aber auch im Winter. Zwei Monate sind nun um. Das eine ist vorbei, etwas neues beginnt. Am Ende steht immer ein Anfang. |
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Der letzte Tag. Noch heute werde ich ins Flugzeug steigen. Nach 62 Tagen Riga. Diese Zeit ist so schnell vergangen, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte. Während dessen ist mir Riga ans Herz gewachsen. Das hatte ich so nicht erwartet. Manche finden Riga schrecklich, weil es so ist wie es ist. Ich mag es aus genau dem gleichen Grund. Mit Berlin ist das auch so. So viel über Riga, Lettland und das Baltikum habe ich geschrieben. Und so viele Geschichten, sind nie erzählt worden. Kleinigkeiten, die ja mit dazu beigetragen haben, dass ich mich hier wohlgefühlt habe. Auch Dinge, die vielleicht weniger schön waren, die sich aber als lustige Anekdoten ins Gedächtnis eingraben werden, um hin und wieder einen Satz mit 'In Riga war das so...' beginnen lassen zu können. Auf einige dieser Episoden mag ich aber doch nicht verzichten, darum gibt es heute, beinahe zum Abschied, die vergessenen Geschichten aus Riga, aufrufbar auch aus der linken Navigationsleiste. |
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Riga
ist eine besondere Stadt in einem Land, das es erst seit 1991 wieder gibt.
Lettland hat mit einer schweren wie auch ungewöhnlichen Vergangenheit
zu kämpfen. Nur zweimal war es ein unabhängiger Staat, einmal
in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und eben jetzt. Davor
und dazwischen wurde das Land immer wieder neu besetzt, von zahlreichen
Kriegen und Massenvernichtungen heimgesucht. Deutsche, Polen, Schweden
und Russen regierten über Lettland und Riga, wechselten sich hin
und wieder ab, nicht ohne die Städte vorher in Schutt und Asche zu
legen und einen weiteren Teil der Einwohner zu vertreiben oder umzubringen.
Lettland ist eines der Länder mit dem geringsten Anteil männlicher
Bevölkerung überhaupt. Schon das weist auf viele Kriege, auf
viel Leid hin. Jeder Besatzer hat sich immer genommen, was er brauchte
und hat vertrieben, wer ihm nicht passte.
Das Baltikum ist nicht gut für Superlative. Man findet hier weder das Höchste noch das Größte. Es gibt keine nennenswerten Berge, Kirchtürme sind woanders höher, Flüsse woanders breiter und länger, Städte pulsierender. Eigentlich ist nirgendwo etwas Großartiges zu versäumen. Und genau das befreit von Zwängen und gibt einem Zeit. Man öffnet sich für Zwischentöne, man sieht plötzlich das Verborgene, das nicht Offensichtliche, das, was ein Land, eine Region, eine Stadt zu etwas ganz besonderem macht. Man muss in Riga nicht von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzen. Sicher, es gibt derer viele, doch es sind eher die kleinen Dinge, die hier faszinieren. Vielleicht genau die kleinen Dinge, die ich seit nunmehr neun Wochen aufschreibe. Riga ist eine wunderschöne Stadt. |
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Riga besitzt sehr viele Museen und ich habe so einige davon besucht. Ganz allgemein kosten Museumsbesuche hier auffällig wenig. Leider sieht der größte Teil der Museen auch so aus. Meistens sind alle Beschreibungen auf Lettisch oder Russisch, weshalb ich oft dazu verurteilt war, mir lediglich die Bilder anzugucken und mich etwas dumm dabei zu fühlen. Mein erstes Museum in Riga war das Lettische Kriegsmuseum. Nicht, dass mich das interessiert hätte, aber ich fühlte mich irgendwie dazu verpflichtet, weil es sich im alten Pulverturm>, genau gegenüber von meinem Fenster, befindet. Die von mir erwartete Waffenschmiede> entpuppte sich in den obeneren Etagen dann doch als etwas mehr. Wie in vielen anderen Museen in Lettland auch, hat man sich hier vor allem der Beschreibung des Jahrhunderte währenden Kampfes der Letten um die Unabhängigkeit gewidmet. Das ist besonders deshalb interessant, weil es in dem Museum auch Fotos von den Ereignissen Anfang der 90er Jahre gibt, die bei uns so eigentlich nie zu sehen waren. Offenbar hatte Deutschland in der Zeit andere Sorgen. Es gibt gleich zwei Museen zur Rigaer Stadtgeschichte, wobei man das eine, im Schloss>, so ziemlich vergessen kann. Es sei denn man kann lettisch und hat gesteigertes Interesse an unendlich vielen alten Töpfen und ehemals verbuddelten Knochen. Das andere im Domkloster> bietet wenigstens auch Informationen in Deutsch oder Englisch und dafür nicht so viele Knochen. Im Arsenalgebäude>, in dem sich ja auch das Goethe-Institut befindet, gibt es eine kleine Kunstgalerie, die in wechselnden Ausstellungen moderne Kunst zum besten gibt. Da die Ausstellung nur zwei Räume umfasst, hält man es dort gut aus, ohne einen Kulturschock zu bekommen. Derzeit wird relativ harmlose Textilkunst> gezeigt, die sich irgendwo zwischen nichtssagend und lustig bewegt. Ganz spaßig ist auch das Museum für ausländische Kunst. Da Lettland nicht gerade mit Beutekunst gesegnet ist, sondern vielmehr selber jahrelang ausgebeutet wurde, sind die Bestände eher dürftig. In der griechischen und ägyptischen Abteilung hat man relativ bald das Gefühl, all die Exponate> schon mal irgendwo gesehen zu haben. Schnell klärt sich, warum: Es handelt sich nämlich um Kopien, deren Originale vorzugsweise in London, Paris, Berlin, Rom und Kairo stehen. Selbst eine Nofretete gibt es. Ein vorsichtiges Pochen an die armlosen griechischen Statuen verrät, dass sie aus Gips sind und vollkommen hohl. Irgendwie lustig. Die anderen Exponate, die dann wohl echt sind, sehen ein bisschen so aus, als wollte sie sonst niemand haben. Unbedingt sehenswert ist allerdings das Okkupationsmuseum>, beheimatet in einem gruselig schwarzen Klotz, im dem zu Sowjetzeiten das Museum der Lettischen Schützen war. Im Okkupationsmuseum, das keinen Eintritt kostet, wird die Zeit von 1941 bis 1991 aufgearbeitet, in der Lettland zunächst von den Deutschen und dann von der Sowjetunion besetzt war. Die Ausstellung ist sehr beklemmend und man erfährt vieles, was man nicht für möglich gehalten hätte. |
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Ich weiß jetzt, wie Eiszeit funktioniert. Am Ostseestrand von Júrmala, ganz in der Nähe Rigas, findet sie nämlich gerade statt. Die Ostsee taut auf. Jedes Mal, wenn ich dort bin, sieht das Meer anders aus. Es hört sich auch jedes Mal anders an. Inzwischen bekommt der Strand nach und nach seine Geräusche zurück. Von Wellenrauschen noch keine Spur, doch die Möwen> sind schon wieder da und verkünden das lautstark. Vereinzelt hört man noch ein paar Raben>, die krächzend das Tauwetter beklagen. Auch sind die Menschen> an den Strand zurückgekehrt. Und dann herrscht dort eben die Eiszeit. Langsam haben sich in den letzten zwei Wochen gigantische Eisberge> am Ufer aufgetürmt. Die dürften locker zehn Meter hoch sein und wurden vom erwachenden Meer einfach an den Strand geschoben. Dabei ist auch ein ganze Menge Dreck und Sand>. Die Berge werden immer höher und mächtiger und am Ufer bilden sich lustige Endmoränen. So war das also mit der Eiszeit. Ich wusste von Anfang an, dass hier was mit dem Wetter nicht stimmt. Eiszeit ist natürlich eine plausible Erklärung dafür, dass es am Wochenanfang wieder geschneit hat. Neben den Eisbergen steht immer ein Polizeiauto, deren Insassen sich lautstark zu Wort melden, wenn mal wieder jemand auf die Idee gekommen ist, auf die Berge klettern zu wollen. Obwohl das Eis der Ostsee zum Teil schon getaut ist, laufen die Leute immer noch wie verrückt auf den verbliebenen Eisflächen> herum. Jeder zweite hat mindestens ein nasses Hosenbein nebst nasser Schuhe und Socken. Kein Wunder, dass hier alle rumhusten. Die waren offenbar alle am Meer spazieren. |
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Wenn man wirklich etwas von Riga sehen möchte, dann empfiehlt es sich, die Straßenbahnlinie 11 zu nehmen und einfach aus der Stadt herauszufahren. Unterwegs zeigt sich ein interessantes Spektrum dessen, was Riga außer der Altstadt noch zu bieten hat. Das weiß sogar der Baedecker, obwohl der sonst eigentlich nicht viel nennenswertes über Riga zu sagen hat. Die Linie 11 fährt mitten in der Stadt, in der Nähe des Hauptbahnhofs los und endet am Zoologischen Garten in Meaparks. Meaparks, was übersetzt soviel bedeutet wie 'Waldpark', ist eine alte russische Gartenstadt, die Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurde. Ursprünglich entstand sie als Villenviertel außerhalb der Stadt mit viel Holz, Fachwerk und Jugendstil. Auf der fast 30-minütigen Fahrt nach Meaparks sieht man nicht nur den neueren Teil der Stadt mit den Jugenstilbauten, sondern auch viele Einkaufsstraßen, Märkte und pulsierenden Verkehr, der ohrenbetäubenden Krach macht. Immer wieder fallen die für Riga so typischen Holzhäuser ins Auge. Weiter am Stadtrand fährt man an zahlreichen Friedhöfen vorbei, dazwischen befinden sich immer wieder triste Wohnsiedlungen und furchtbare Industrie. Am schönsten ist das letzte Stück durch Meaparks, vorbei an den wunderschönen Villen und den Holzhäuschen, die idyllisch im Wald liegen. Ich bin oft mit der Linie 11 gefahren in den letzten Wochen. Unterwegs kann man immer wieder aussteigen und findet garantiert etwas Sehenswertes. Um Euch daran teilhaben zu lassen, habe ich einige Fotos entlang der Linie 11 zusammengestellt. Aufrufbar auch aus der linken Navigationsleiste. Fahrt nach Meaparks mit der Linie 11>. |
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Ich hatte das Glück, ein Orgelkonzert im Rigaer Dom> erleben zu dürfen. Das ist nicht nur deshalb etwas besonderes, weil diese Konzerte nicht öfter als einmal in der Woche stattfinden. Vielmehr verfügt der Dom durch seine Architektur über eine einzigartige Akustik. Ende des 19. Jahrhunderts hat man die damals größte Orgel der Welt eingebaut. Sie hat fast 7.000 Pfeifen und klingt einfach fantastisch. Wenn auf einer solchen Orgel Werke von Bach ertönen, ist das schon ein Erlebnis. Selbstverständlich ist der Dom nicht wirklich geheizt und die Bänke sind, wie eben alle Kirchenbänke, aus Holz, weshalb mir während des gesamten Konzerts im wahrsten Sinne des Wortes arschkalt war. Mit dem Bau des Doms und des anliegenden Klosters wurde bereits 1211 begonnen, Ende des 13. Jahrhunderts wurde der Dom in seiner ursprünglichen Gestalt vollendet. Seine barocke Form und den heutigen Turm> erhielt er erst 1776. Mehrmals in seiner Geschichte wurde das Gebäude verwüstet und wieder hergerichtet. Zu Sowjetzeiten diente der Dom nicht als Gotteshaus, sondern man verwandelte ihn in einen Konzertsaal. Seit Ende der 80er Jahre finden sowohl Konzerte als auch wieder Gottesdienste statt. Der Domplatz, dessen auffallendstes Gebäude wohl die Börse> ist, ist ein beliebter Treffpunkt. Oft kann man hier Musikanten hören. Zu Beginn jedes Studienjahres soll es auf dem Platz eine große Party geben. In der Adventszeit steht dort der größte Tannenbaum der Stadt. Bereits 1510 haben die Einwohner Rigas eine in der Nähe des Doms wachsende Tanne geschmückt. Es wird behauptet, sie hätten so die weltweite Tradition des adventlichen Baum-schmückens begründet. Ob das wohl stimmt? Ich weiß es nicht. |
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