Küss mich oder geh zur Hölle!
Neue Schwulenfilme entdecken ethnische Minderheiten als rauhe Sexualobjekte wieder.
 
Die weißen Schwulen sind Ende der 90er nun mittlerweile fast alle aus ihren Schränken gekrochen gekommen, jedenfalls filmgeschichtlich, da muss die frohe Botschaft der frohlockenden schwulen Freuden missionarisch weitergereicht werden. Es bleiben nur noch diejenigen übrig, die die Weißen so sehr fürchten, ganz besonders die schwulen Weißen. Und mehr noch, als die Schwulen die Afrostämmigen, Latinos und Italianos eines angenommenen Macho-Gehabes wegen fürchten, begehren sie sie sexuell. Eine denkbar ungünstige Kombination, was da an Botschaften im Film zwangsläufig transportiert wird: "Das Sexsymbol" und "Der Furchteinflößende".

1996 / 97 bringt in kurzer Folge gleich drei schwule Filme auf den Markt, die dringend nach einem Ausgleich schreien. In Liebe! Stärke! Mitgefühl! übernimmt Randy Becker in seinem zweiten Film abermals die Rolle des schwulen Latin Lovers, etwas wirr im Kopf, aber gut im Bett, und dieses mit möglichst jedem. Wie die Furcht vor dem schwarzen Manne geschürt wird, ist in unserer Besprechung des Filmes nachzulesen. Nach diesem Ausflug in eine Nebenhandlung widmen sich anschließend zwei weitere Spielfilme gänzlich ethnischen Minderheiten, die lernen werden, wie toll die Homosexualität doch sein kann.

In der Tat gleichen sich Latin Boys Go to Hell und Kiss Me, Guido frappierend. Beide spielen in New York, der erste in Brooklyn, der zweite in der Bronx, einer befasst sich mit der Latino-Minderheit, der andere mit der italienisch-stämmigen. Die Idee zu dem ersteren wie zum letzteren entstand 1987 und 10 Jahre später ist nun für beide, bestimmt nicht zufällig, die Zeit der Finanzierung gekommen. Die RegisseurInnen stammen aus den Minderheiten selbst und dem homofreundlichen Trend haben sie sich ebenfalls angepasst.

D.h., dem weißen homofreundlichen Trend. Schwule werden in den 90ern in weiten Kreisen geliebt, besonders der unabhängigen Filmszene in den USA. Wenn Ira Deutchmann, Produzent von Kiss Me, Guido zum Besten gibt, dass er bei seinem neuesten Werk nicht Angst haben durfte, die Gefühle seiner ZuschauerInnen zu verletzen, so bezog er dies auf die dargestellten Klischees, besonders gegenüber den Schwulen; und nicht auf die Funktion, die seine Italos einnehmen. So wird besonders mit den weißen Männern gelacht, aber über alle anderen. In dem Fall auch über Frauen. "Sie braucht einen Vibrator.", ist noch das Intelligenteste, was über die Vermieterin befunden wird. Die Italos, oder "Guidos" genannt, sind zwar mehr oder weniger nette Typen, leider hapert's mit den Lebenseinstellungen, z.B. gegenüber Schwulen, wobei der Eindruck entsteht, dass es bei den Filmcharakteren wohl daran liegt, dass das Testosteron die Intelligenz in die Ecke geschwemmt hat. Klar, die Homos sind ebenfalls nicht die aufgeschlossensten Menschen der Stadt, aber wenn von Heterophobie die Rede ist, dann wohl eher augenzwinkernd und das Augenscheinlichste wird gar nicht erst thematisiert: Rassismus. Obwohl es schon damit anfängt, dass als Zimmergenosse ausdrücklich nach einem Weißen gesucht wird. Die Schwulen mögen sich zwar durch ihr oberflächliches Geschwätz disqualifizieren, beabsichtigt war dies allerdings nicht. Dass die weißen Schwulen in der Realität entweder gar keinen Kontakt, auch keinen sexuellen, mit nicht-weißen Artgenossen pflegen wollen, oder im anderen Extrem mit Trophäen protzen, sie hätten mal wieder eine "Schokostange in den Mund" oder eine "Bambussprosse vors Rohr" gekriegt, so der derzeitige Berliner Szene-Jargon, damit will der Film nicht konfrontieren, obwohl es einmal bitter nötig wäre.
Latin Boys Go to Hell konzentriert sich nicht auf interkulturelle Freundschaften, sondern dem Latino-Mann als Sexualobjekt. Der Film wurde benannt nach einer erotischen Fotoserie, die im Film ausgestellt wird. Auch wenn dies ein Film ohne Sex sei, wie Produzent Jürgen Brüning die Fachwelt nach seinen letzten Filmen überraschte (Super 8½, Hustler White, Berlin Techno Dreams), will der Film dennoch nicht gänzlich auf Sexualität verzichten. Was keine schlechte Entscheidung sein muss, im Gegenteil. Im Filmzusammenhang allerdings drückt sich die Umsetzung der "Erotik" wie eine Ausbeutung der "Latin-Lover"-Bürde auf. "Du siehst aus, als hätte ich dich gezwungen." – "Das hast du.", beginnt eine Konversation im Film. Genauso sehen auch die Akteure aus. Und richtig, die Regisseurin gibt freimütig zu, eigentlich mehr Sexuelles gewollt zu haben, es hätte nur Probleme mit den Schauspielern gegeben. Statt mit offen ausgetragener Sexualität begnügt sich die Regisseurin nun mit kriechenden Kamerafahrten, wenn die Models von Monica, der Fotografin, abgelichtet werden.

Kiss Me, Guido - Regisseur Tony Vitale war zwar eine sexuelle Beziehung zwischen seinen beiden Hauptcharakteren zu platt, das bedeutet aber nicht, dass Frankie nun nicht nachgestellt wird. Unter dem Deckmantel künstlerischer Professionalität drängen sich eben die raffinierten Homos auf der Bühne an ihn heran – Frankie wurde zur Übernahme einer schwulen Rolle am Theater bewegt.

Es müssen und sollen nicht alle Filme politisch korrekt sein. Von Filmen, die sich ein Jahrzehnt in der Produktionsphase befanden, sollte dagegen erwartet werden können, dass sie nicht diffarmieren. Guter Wille reicht eben oftmals nicht aus, um keinen Schaden anzurichten. So schlug das Publikum beider Festivalvorführungen in Berlin, wie Park City in dieselbe Kerbe. Regisseurin Ela Troyano wurde auf der Berlinale '97 von einem natürlich weißen Zuschauer gefragt, warum sie in Latin Boys Go to Hell denn nicht so richtig schön die Homophobie der Latino-Gemeinschaft gezeigt hätte, das schließlich wären seine Erwartungen an den Film gewesen. Opfersein tut offensichtlich gut.

Wollen wir hoffen, dass es dieses Jahr noch Filme geben wird, die andere Geschichten von Latinos zu erzählen wissen, Schwulenfilme, die mehr zu berichten haben, als wer mit wem ins Bett steigt und erotische Filme mit einvernehmlichen Partnern. Aber die Moderatorin des Berlinale Panoramas hofft dagegen, dass möglichst viele der Berliner Türken Latin Boys Go to Hell sehen werden, auf dass es bald eine türkische Variante gebe. Die sollen schließlich auch friedfertiger und bereitwilliger werden. Stellt sich die Frage, ob TürkInnen Interesse daran finden, sich mit Homos abzugeben, nachdem sie diese Filme gesehen haben...

ki, Park City / Berlin
Foto 1: Mike Ruiz lockt mit viel Latino-Fleisch in Latin Boys Go to Hell – © Jürgen Brüning Filmproduktion
Foto 2: Randy Becker lockt mit viel Latino-Fleisch die zugeknöpften Weißen in Liebe! Stärke! Mitgefühl! – Attila Dory / © 1997 Fine Line Features
Foto 3: Nick Scotti lockt mit viel Italo-Fleisch in Kiss Me, Guido – © 1996 Redeemable Features
 
ACHTUNG: Dieser Artikel wird in Kürze fortgesetzt.

English version

Schwuler Ethno-Rassismus, Teil I: Latin Boys Go to Hell
Schwuler Ethno-Rassismus, Teil II: Kiss Me, Guido
Schwuler Ethno-Rassismus, Teil III: Liebe! Stärke! Mitgefühl!
 
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copyright: Queer View, 14. Mai 1997