Cal kann eines Tages seine Frisörrechnung nicht begleichen und fährt pflichtbewusst bei der Weihnachtsfeier seines Barbiers auf dessen Einladung vorbei, um seine Schulden noch im alten Jahr zu lassen. Die Wahl seiner Begleitung fällt Cal allerdings nicht sehr sorgfältig. Nun ist mit Aaron in letzter Zeit sowieso nicht gut Kirschen essen, als sein Bruder aber beginnt, mit dem Gastgeber einer sozial und kulturell recht unterschiedlichen Herkunft zu sozialisieren und Gefühle über den jeweiligen Verlust in der Familie auszutauschen, können ihn so gar keine Reste der Feiertagsstimmung daran hindern, nach einem verbalen auch einen handfesten Schlagabtausch mit Cassius vom Zaun zu brechen. Und Cal hält zu seinem neuen Freund.
Dies kränkt die Ehre Aarons zutiefst. Der Frauenfeind übt auch über seine Mutter genug Kontrolle aus, so dass diese fürs Erste den Kontakt mit Cal abbricht. Dieser darf nun in das Hinterzimmer Cassius' Ladens einziehen, womit die Freundschaft sich zwangsweise ungemein vertieft.
Doch kein Gras ist dick genug, um innerhalb eines Jahres über den Streit wachsen zu können. Im Gegenteil, zum nächsten Weihnachtsfeste spitzt sich die Kluft aus der Freundschaft auf der einen Seite und dem Bruderhass auf der anderen auf irreversible Weise zu, und längst ist Cassius weder in der Lage, sich aus der Fehde herauszuhalten, noch, es überhaupt zu wollen.
Selten zuvor hat ein Kunstfilm erfolgreich der ungeschriebenen Regel
getrotzt, seine, wenn überhaupt vorhandene, intensive Geschichte mit
artistischem Allerlei zu überfrachten. Das liegt mit Sicherheit nicht
nur an der erstaunlichen künstlerischen Expertise und der noch starken
Motivationskraft der jungen Filmemacher, sondern ebenso an der Seele des
Films, die geradezu hypnotisch zum Sprung auf das Publikum ansetzt. Die
tiefe Präsenz der Freundschaft zwischen Cassius und Cal (Carey
Westbrooks und Keith Zimmermans Chemie überzeugt in der
gesamten Bandbreite) scheint nicht zuletzt ihres spontanen Wachstums wegen
nicht von dieser Welt zu sein und verweigert sich dennoch einer speziellen
Erklärung. Sehnsüchte werden wachgerufen und von der ersten Minute
an in ständige, sehr reale Gefahr gerückt, die nicht zu weichen
scheint.
Nicht von ungefähr reiht sich überdies in die lange Reihe Cianfrances Vorbilder neben Pier Paolo Pasolini vor allem Kenneth Anger ein. Die heterosexuelle Nebenhandlung soll nicht übergangen werden, allerdings ist es bezeichnend, wenn die Freunde sich mehr über ihre Dates erzählen, als tatsächlich gezeigt wird. Es scheint wichtiger zu sein, über Sexualität überhaupt zu sprechen. Wenn Cassius offenbart, dass er seinen Frisörsalon liebt und einfach keine Zeit für Frauen hat (wohl aber für Cal) lässt sich der homoerotische Aspekt des Filmes nicht mehr negieren.
Nicht zuletzt fühlen sich viele Schwule seit es Filme gibt zu den besonders tragischen magisch hingezogen. Und was ist tragischer als eine Traumfreundschaft, die noch dazu homoerotische Referenzen ausstrahlt, unter dem ständig schwingenden Schwert der Feindseligkeit, ja deren Liebe den Hass nicht stoppen kann? Der Gegensatz aus tiefstem Frieden und offener Auseinandersetzung wird durch die Wandbilder Cassius' von Mahatma Gandhi und Martin Luther King, Jr. noch einmal unterstrichen, die sich mit seiner aufbrausenden und gewaltbereiten Mentalität kontrastieren.
Eine weitere Stärke des Films ist die innere konstruktive Kontroverse, die die Männerfreundschaft bei dem einen oder anderen auslösen wird. Brother Tied schwelgt geradezu in der Freundschaft zwischen einem afro-amerikanischen und einem kaukasischen jungen Mann. Die Schwierigkeiten, die sich ihnen allein der ethnischen Differenz wegen in den Weg stellen, scheinen sie gleichzeitig noch fester zusammenzuschmieden. Aber: Brother Tied romantisiert schrankenlos die Freundschaft mit einem African American, aus der Sicht eines Weißen. Stets ist es Cassius, der den ersten Schritt auf Cal zugehen wird, ihn zu sich einlädt, die Freundschaft und eine Bleibe anbietet. Genauso, wie es jedesmal Cassius ist, der die körperlichen Berührungen in Gang bringt. Sein Arm legt sich um die Schulter Cals, sein Gesicht nähert sich dem Kameraausschnitt, der sich längst auf Cals Gesicht konzentriert hat, seine Hand wird es sein, die dem vertrauen lernenden Cal die schluckende Kehle rasiert oder die Haare schneidet (letzteres als weitere, typisch ambivalent homoerotische Metapher, vor allem asiatischer Filme). Durch dieses Ungleichgewicht in der Darstellung werden die weißen Zuschauer mit ähnlich romantischen Anflügen praktisch gezwungen, sich darüber Gedanken zu machen, inwiefern eigentlich Cassius von der Freundschaft profitiert. Manche mögen genug Befriedigung darin finden, anderen zu geben, Cassius verkörpert hingegen vielmehr das Bild eines für manchen Weißen erstrebenswerten rauhen Andersartigen, während dieser selbst trotz seiner aktiven Rolle in der Freundschaft allemal passiv von ihr belohnt wird. Somit ist Brother Tied sozusagen die freundlich-romantische Variante des generellen Trends der ethnischen Minderheiten-Sexualisierung in Schwulenfilmen.