Berlin Techno Dreams
Dazzling Pleasures in the Berlin Underworld
Sex and the Techno Music Revolution
Die Aufregung ist perfekt: Berliner Filmemacher nehmen sich des faden Pornofilms an, laden weiträumig zum Casting ein. Sogar in anständigen Kinos wird das Werk neben Sex-Shops zu sehen sein und gesellt sich damit unter die frühen 70er-Jahre-Klassiker von Wakefield Poole, Bijou, Boys in the Sand und Moving, die vor ein paar Jahren im Berliner Notausgang wiederaufgeführt wurden.
Viele werden jetzt eher an eine längere Story als an Sexorgien denken, kann doch ein Hauch von einer Sekunde mit dem Blickfang einer hervorgeholten Kuppe à la Poison spontan für mehr Bewegung in der Hose sorgen, als die gewohnte Dauerberieselung ruckartiger Bewegung unpersönlicher Sexmaschinen. Sorry. Tatsächlich kann von einer Handlung kaum die Rede sein, jeder Durchschnittsporno hat da mehr zu bieten. In diesem Fall ist genau das eine der Stärken dieses Pornos, denn die “Handlung” ist der Techno, d.h. ein Lebensgefühl. Teils halbnackte Kerle, darunter viele bekannte Szenegesichter, geben Tanzeinlagen zu Technorhythmen. Als Rahmen, zur Auflockerung, zum Anheizen und zum chill out. Eine ausgedehntere Handlung störte hier nur. Nicht nur die Zügigkeit zeugt von der Herkunft aus Filmemacherhänden. Die Atmosphäre, in Pornos nur allzuoft vernachlässigt, ist dicht, die Beleuchtung trotz denkbar dunkler Settings optimal. Ein perfekter Schnitt sorgt für die bei Pornos keineswegs selbstverständliche Illusion einer zusammenhängenden Örtlichkeit (es wurde in zwei Szene-Kellern und einem Abbruchhaus gedreht). Sogar der Härtetest, ein Solo, wird souverän bestanden, da kann selbst ein Kristen Bjorn nicht mithalten. Was an dieser Stelle freundliche Zeilen einheimst, wird sich seiner Massentauglichkeit erst erweisen müssen: Die Darstellung einer gewissen Bandbreite sexueller Befriedigungen, wahrlich nichts für Blümchensex-Connaisseure – Peitschen, Piercing, Pisse; Dildos, Fisting, Sling und Ketten. Alles, was das Maso- / Sado-Herz begehrt. Da mag manch einer das gute alte Rein-und-Raus-Spiel in größerem Umfang vermissen.
Interessant erscheint die Rest-Story unter dem Aspekt ihrer Erschaffer Zugehörigeit der Filmemacherzunft. Handelt sie doch von der so süßen Hölle sexueller Extreme, die blonden Jungs, gerade mal so an der Minderjährigkeit vorbeigeschrammt, schon mal aufgezwungen werden müssen, damit diese sie endlich genießen können. Vor 17 Jahren wurden Filme wie Cruising wegen “harmloseren” Verhältnissen boykottiert. 1996 im Zeitalter nach Madonna sind S/M-Werte breitenwirksam angesagt und politisch korrekte Schablonen lösen sich im Pornofilm eh in Wohlgefallen auf. Berlin Techno Dreams hat auch Humor zu bieten. Neben z.B. amüsanten Zauberschnitten, wenn die Kerle im Fallenlassen gleichzeitig wundersam ihre Kleidung verlieren, erfahren wir nun endlich auch, was selbst der Director’s Cut von Pulp Fiction uns hartnäckig vorenthielt: Was wirklich geschah, mit Bruce Willis im Keller. Ob beabsichtigt oder nicht, gewissse Assoziationen bleiben nicht aus.
Alles in allem sind die prickelnden Vergnügen in der Berliner Unterwelt ein lobenswertes wie gelungenes Projekt. Eine weitere Spezialisierung der nächsten Produktion für eine eingeschränktere Zielgruppe mag unter Umständen kommerzieller ausfallen, als für jeden ein wenig. Wer hat schon während des Handbetriebs Zeit, alle drei Minuten nach dem Rückspielknopf der Fernbedienung zu greifen?
ki, Berlin
copyright: Queer View (PPL Juni 1996)