Schwuler Ethno-Rassismus (Teil III)
Liebe! Stärke! Mitgefühl!
(Love! Valour! Compassion!)
Sieben weiße, wohlhabende schwule Freunde verbringen drei Wochenenden auf dem Landhaus, von denen sie in ihren persönlichen Beziehungen verändert zurückkehren werden.
Memorial Day, der 4. Juli und Labor Day sind die perfekten Wochenenden, um vom schwulen Großstadtleben auszuspannen und zu sich selbst zu finden. Doch die 7 Freunde und ein neuer Lover werden nicht nur Ruhe und Ausgeglichenheit finden: Untreue, persönliche Tiraden, Romantik und Jugendkultur wirbeln das scheinbar sorgenlose Leben durcheinander...
Das schwule Landhaus scheint ebenso zur schwulen Kultur zu gehören, wie der Darkroom. Nach dem britischen Boyfriends von 1996 fahren ein Jahr später die Nordamerikaner mit ihren Freunden in die nicht nur idyllische, sondern auch frontenklärende Botanik. Die Deutschen haben dazu noch keinen Film aufzuweisen, dafür können sie real in den Wald bei Göttinnen ins schwule Waldschlösschen pilgern. Dass Schwule gerne sich, ihre Freunde und ihren Lebensstil möglichst wortlastig sezieren, wissen wir bereits seit William Friedkins Die Harten und die Zarten von 1969 und neuerdings durch Together Alone von '91 und Lie Down With Dogs von '94.
Während letzterer wenigstens noch ein überproportioniertes Maß an sexueller Lebensfreude aufweisen kann, stellt sich mit Liebe! Stärke! Mitgefühl! ein weiteres Mal die Frage, ob es irgendwo auch glückliche Schwule gibt. Die Filmemacher schwärmen zwar von der positiveren Selbsteinschätzung ihrer Charaktere im direkten Vergleich mit dem 28 Jahre älteren Die Harten und die Zarten, für Queer View zumindest steht fest, dass die "Boys" rund um den Montrealer Privatsee 1997 immer noch von tiefer Tragik gezeichnet sind. Das sogenannte Altern macht den Homos weiterhin zu schaffen, die auch daraus resultierende Untreue ihrer Lebensabschnittsbegleiter ebenso. Der eine ist verbittert, der andere so tuntig, dass er wohl nur Probleme im Leben habe: Den Tenor der Hetero-Umwelt konnten die Homos immer schon perfekt imitieren, ohne es zu merken. Es mag ja sein, dass dramaturgische Extreme sich besonders gut in emotionalen Tiefen auswerten lassen, in ihnen zu schwelgen und nicht mehr zurückzufinden, sollte auf der Couch behandelt werden, nicht im Kino. Ein paar Drag-Einlagen und flotte Sprüche sind immer nett, so wird aus der Tragik jedoch lediglich eine Tragikomik.
Das Thema Jugendwahn hat nicht nur bewussten Einzug in Liebe! Stärke! Mitgefühl! gefunden, sondern er wird auch gleich konsequent weiterbetrieben. Als Kontrast zu den vom Alter angeblich angeschlagenen Freunden wird Johns neuer, jugendlicher Lover Ramon eingeführt, der die meiste Zeit damit verbringt, seinen Körper zur Schau zu tragen. Etwas, was die anderen Charaktere nur als humorantreibende Schwimmeinlage wagen. Wenn Arthur sein Flirten mit Ramon im Spiegel probt, so soll sein Vorhaben ad absurdum geführt werden, indem er eine kleine kahlere Stelle auf seinem Schädel entdeckt. Dies zählt zwar zu den Urängsten der meisten Schwulen, aber muss dies noch einmal auf der Leinwand ohne Gegengewicht untermauert werden? Ich persönlich zumindest stehe als Junghomo bestimmt nicht alleine mit meinem Geschmack da, der lichter werdendem Haar einen erotischen Reiz abgewinnt.
Nicht nur bezüglich der Jugendkultur erweist sich Liebe! Stärke! Mitgefühl! als recht oberflächlich, sondern ebenso zum Thema Rassismus. Wenn Perry zum Besten gibt, dass ein afro-amerikanisches Kind in 10 Jahren auch nur ein Nigger sein wird, vor dem sich die weißen schwulen Kreise vor Angst in die Hosen machen, dann wird sich der liberale weiße schwule Zuschauer durchaus mit dessen entsetzten Freunden identifizieren können. Aber fallen dem weißen Publikum auch die rassistischen Tendenzen des Films auf? Regt es sich nicht nur über die politisch völlig unkorrekte Wortwahl auf, während ihm ebenfalls mulmig zumute wird, wenn es daran denkt, einmal in die Schwulenszene eines überwiegend nicht-weißen Stadtviertels auszugehen? Dem einzigen Nicht-Weißen im Kreise der Lieben kommt keine andere Funktion zugute, als die des Sexualobjektes; eine Rolle, die Schauspieler Randy Becker in seinem einzigen anderen Kinofilm, Lie Down With Dogs, genauso zukam. Wenn sein Charakter Ramon mit dem Codewort "Dorothy" nichts anfangen kann, ist das schon einigermaßen krass. Wir fragen uns aber ebenso, wer von den belehrenden weißen Schwulen auch nur rudimentäre Kenntnisse über die Latino-Kultur aufweisen könnte, ginge es nun um die hetero oder die schwule, um 58 Jahre alte oder kontemporäre.
Als weitere etwas bedenkliche Umsetzung müssen wir die Charakterisierung des blinden Bobby erwähnen. Nämlich außer, dass er selbiges ist, findet er im Gegensatz zu den anderen Charakteren keine tiefergehende Betrachtung. Selbstredend ist der Umgang mit ihm wundersam romantisch, zumindest so immer wieder die verklärende Sicht der Sehenden. Da für alle eine angebliche kleinere oder größere Überraschung bereitgehalten wird, wird darauf herumgeritten, dass Bobby nicht ganz so treu ist, wie das alle angenommen haben. Wieso, fragt sich Queer View, sind blinde Mitmenschen anders, etwa heilig? Im Pressematerial wird Bobby als "blinder aber nicht unbedingt treuer Liebhaber" charakterisiert. Pfui, Teufel, da hat der blinde und untreue Lover aber die Romantisierung seiner sogenannten Behinderung zerstört...
ki, Park City – Berlin
fotos: Attila Dory / © 1997 Fine Line Features
Gesehen während des:
Sundance Film Festival 1997
Der Kino-Start in Deutschland ist für den 17. Juli '97 im Verleih von Constantin geplant.
Küss
mich oder geh zur Hölle!
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als rauhe Sexualobjekte wieder.
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Boys Go to Hell
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Me Guido
copyright: Queer View, 2. Mai 1997