Wehner
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Herr Wehner, Wolfgang, war bis 1984 Flugzeugführer der LSK und hat dankenswerterweise einige Erinnerungen niedergeschrieben:

* Der Schwedenpunsch
* Schießen in der Luftschießzone II mit Lenkraketen R3-S
* Das Triebwerk der MiG-21M "575"

 

Der Schwedenpunsch
Flieger und die Vorschriften oder Wissen ist Macht

Im Sommer 1982 verlegten zwei Staffeln des JG 3 nach Garz/Usedom. Der Überflug und die Eingewöhnung an die Bedingungen des Fliegens über der Ostsee verliefen problemlos. Im Flugvorbereitungskabinett lagen dicke Wälzer einer „Ordnung des Fliegens über der Ostsee“.

Wer liest aber gern langweiliges Papier? Außerdem ist Usedom sehr interessant - es wäre inzwischen auch an der Zeit, die Geschichte der Fliegerkneipe „Schräger Looping“(?) aufzuschreiben! Wirklich, das Wandbild dieser Kunstflugfigur hinter dem Tresen dort sah besser aus als alle Schaubilder in den Lehrkabinetten und wurde ausführlich von den Fliegern „studiert“. Von Westen her näherte sich eine Warmfront, einigen Flugzeugführern fehlten noch Übungen zum Erhalt der Leistungsklasse I in dem Element „Abfangen in den Wolken“.

Sonnabend, am 26.06.1982, wir setzten Flugdienst an, 3. Variante, Abfangen in den Wolken auf der Nordstrecke, Stafflungshöhe 6.100m. Der Wetterflug bestätigte die Vorhersage des Meteorologen, das Abfangen begann und damit stellten wir für all unsere Vorgesetzten die Zutaten für einen zünftigen „Schwedenpunsch“ bereit: Schweden hatte die Territorialgrenzen vorgezogen und im obigen dicken Wälzer stand nachdrücklich, Abfangen in den Wolken ist auf dieser Strecke verboten.

Ich flog als erster Abfänger nach der Übung 1280 im Paar als Führender, d.h. wir starteten als erste Gruppe, flogen voraus und wurden auf das nachfolgende Ziel mit Kurve nach Süden auf der Nordstrecke geleitet. Nach dem ersten Durchgang tauschten ich mit den nach mir geflogenen Piloten meine Eindrücke aus, sie waren begeistert. „Habt ihr auch in der Wolkenlücke den schwedischen Abfangjäger »Draken« gesehen?“ Leider war bei uns die Wolkendecke geschlossen.

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Diese Herren rührten den Schwedenpunsch ein. Aufnahme vom 26.06.1982

Auch andere Flieger berichteten mir während der Schicht über ein Treffen mit schwedischen Abfangjägern. Die Flugschicht wurde mit der festgelegten Auswertung und dem dazugehörigen Papierkram ohne Vorkommnisse beendet.

Am Sonntag begann eine Übung und danach erreichte uns der Befehl, eine „Dokumentation“ der Flüge vom 26.06.1982 einzureichen. Für die Besatzung unseres Gefechtsstandes war es Ehrensache „dokumentationsfrei“ zu arbeiten. Mit ihnen fertigten wir gemeinsam die geforderte Dokumentation an, “wir flogen die Nordstrecke in der festgelegten Ordnung, es gab keine Abweichungen“. Unterschrift und Siegel darunter.

„Wissen ist Macht“, wir wussten aber nicht, dass der ehemalige Steuermann der 1.LVD, er schulte mit uns 1963 in Krasnodar auf die MiG-21 um - sein Wort als Flieger galt - inzwischen als Mitarbeiter des Militärattaches der DDR in Schweden arbeitete und dem GO und dem Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung und Chef der LSK/LV gemeldet hatte: „Die Lage ist eindeutig, ich konnte die schwedische Dokumentation einsehen, Piloten aus Garz verletzten den schwedischen Luftraum und befanden sich über dem Festland.“ Zudem hatten die „Funktechnischen“ zu allem Unbill, um ihre Unschuld zu beweisen, eine Dokumentation der primären Funkmesswerte beim Kommando LSK/LV eingereicht.

Den „Schwedenpunsch“ schenkte der GO sehr freigiebig aus, beim Verlesen des Befehls traten abschnittsweise immer mehr Offiziere weg. An diesem Tranke labten sich u.a. die Herren Reuschel (†2002), Schneider und Gundermann , meinen Eintrag in die Kartei -„Verwarnung wegen Verletzung der Dienst-pflichten“- nahm ich 1984 mit in das zivile Leben. In einem Gespräch am 17.12.2002 teilte mir der Honorarkonsul des Königreiches Schweden in Leipzig, Herr von Sandersleben, mit, er hätte diese Sache mit dem schwedischen Konsul besprochen, die Grenzverletzung sei verjährt, einer offiziellen Einreise der oben abgebildeten Herren nach Schweden stünde nichts mehr im Wege.

Siehe auch: "Das JG-9 zu „Besuch“ in Schweden"

 

Schießen in der Luftschießzone II mit Lenkraketen R3-S

Flüge mit realem Lenkwaffeneinsatz führten die LSK der DDR über der Pommer-schen Bucht vor der Odermündung über der Ostsee durch. Dazu wurde entspre-chend der internationalen Geflogenheiten der Seeraum für Schiffe gesperrt. Die „Oste“ und „Alster“, Aufklärungsschiffe der Bundesmarine, machten uns dabei oft das Leben schwer und liefen in den Seeraum ein. Wir unterbrachen vom Gefechtsstand der 3.LVD, Neubrandenburg aus, das Schießen, schalteten Funkmessstationen ab, „die wollen doch nur unsere Frequenzen ausmessen“.

LSZIIDen wirklichen Grund für den Aufenthalt der beiden Schiffe erzählte mir der Chefkonstrukteur einer renommierten (west)deutschen Rüstungsfirma im Jahre 1990: Auf Deck der Aufklärer lagen Kampfschwimmer, die die Aufgabe hatten, Versager der Raketen zu bergen. Ihnen gelang es, die Reste einer Infrarotlenkrakete R3S oder K-13 (sehr hoher Geheimhaltungsgrad, scherzhaft: "VdLV", d.h. „vor dem Lesen vernichten“) aus der Ostsee zu fischen und anschlie-ßend in den Raum München zur Analyse zu überführen.

Kommentar des Spezialisten: „Ein ganz hervorragender Nachbau der amerikanischen Rakete AIM-9 »Sidewinder«“.

Bildzeitung und Raketenklau, Foto im LW-Museum BE-GatowDie „Sidewinder“ stand seit 1956 in der amerikanischen Bewaffnung und gelangte bereits im Herbst 1958 in sowjetische Hände. Der Art und Weise des „Erwerbs“ ist selbst bei heutiger Informationslage nicht genau nachzuvollziehen. Die Varianten, Abschuss einer taiwanesischen F-86 mit AIM-9 an Bord über China oder Postversand aus der BRD, scheinen glaubhaft. Die Variante, bei einem Luftkampf sei ein taiwanesischer Blindgänger in der Fläche einer chinesischen MiG hängengeblieben, halte ich für eine Legende.

Die AIM-9 übertraf nach Reichweite, Abmessungen und Gewicht alle russischen Entwicklungen. Am 13.11. 1958 reiste eine Spezialistendelegation zum Ereignisort nach China, gleichzeitig gelang es, die Konstruktionszeichnungen dieser Lenkwaffe zu kopieren und in die UdSSR zu überführen. Im Juni 1959(!) wurde der sowjetische Nachbau erstmals von einer MiG 19 aus verschossen und das Jagdflugzeug MiG 21F (als Versuchsflugzeug auch als E-6T bezeichnet) mit der Raketenbewaffnung K-13 verwandelte sich mit kleinen Konstruktionsänderungen in die MiG 21 F-13, das spätere erste echte Überschallflugzeug der LSK. Bereits 1960 lieferte das Gorkijer Flugzeugwerk 132 Flugzeuge, im Folgejahr 232 und in bis Oktober 1962 168 Flugzeuge MiG 21 F-13 aus. Danach begann die Fertigung in Tiblissi und /oder im Werk „Snamja Truda“.

 

Das Triebwerk der MiG-21M "575"

K-1 MeldungAm 13.05.1982 kehrte ich im letzten Durchgang der ersten Schicht vom Abfangen mit großer Annäherungsgeschwindigkeit nach der Übung 1089 aus der Höhe 14.300m zurück und flog den Flugplatz Preschen über die berechnete Linie zur Landung an. Über dem Fernfunkfeuer Landeklappe voll ausgefahren, SPS-Drehzahl eingestellt, Gleitflug zum Abfangpunkt, Landung in der Nähe des T, Bremsschirm ausgeworfen, danach Schirm abgeworfen, Landeklappen eingefahren, alles automatisierte Tätigkeiten. Eben wollte ich die Bahn am Westende freimachen - geht das Triebwerk aus. Als Schichtverantwortlicher beendete ich die Flugschicht und setzte die beiliegende Original K-1-Meldung (laut Meldeordnung ein Ansatz zu einem Flugvorkommnis, Kategorie 1) ab und harrte nun der Dinge .... Triebwerk überprüft i.O. Das Flugzeug wurde wieder freigegeben.

Im Mai bereiteten wir das zweite Ausbildungshalbjahr auf verschiedene Weise vor, viele Versammlungen, auf einer solchen Zusammenkunft referierte der Divisionsingenieur über die Ehrlichkeit der Flugzeugführer im Allgemeinen und Speziellen und über die Verwechslung von Stophahn und Landeklappenhebel (völliger Quatsch, eine solche falsche Handlung konnte bei der MiG-17 passieren, aber nicht bei der MiG-21). Kurzum über dem Eingang des Stabsgebäudes hing von nun an ein virtuelles Spruchband: „Der Marschall vertrottelt nun auch“. Mein Fliegerleben hatte mich aber schon andere Sachen durchstehen lassen, ich blieb ruhig, die Häme prallte an mir ab.

K-1 MeldungDas neue Ausbildungshalbjahr begann wieder, ich leitete am 03.06.1982 die Nachtschicht, der letzte Abfangdurchgang rollte von der Vorstartlinie ab. Plötzlich meldete eine mir vertraute Stimme, Major Erwin Nützmann: „Beim Herausrollen aus der Vorstartlinie Triebwerksausfall, taktische Nummer 575“ . Die Flugzeugführer, die sich auf dem Start- und Landekanal befanden, meinten später, mit dem Schwung in meiner Kommandostimme hätte ich glatt noch eine Schicht weitermachen können. Die entsprechende K-1 Meldung sehen Sie hier auch im Original. Natürlich gab es für die verdeckten Anwürfe vom Mai gegen mich niemals eine Entschuldigung.

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Ausschnitt aus dem SARPP-Film der 575

Späte Genugtuung
Am 25.08.1988 nahm ich, nach der Entlassung aus den LSK, in meiner Eigenschaft als damaliger Leiter TKO (Qualitätssicherung) des Zentrums für Forschung und Technik an der jährlichen Qualitätskontrolle des Kombinates Spezialtechnik im Instandsetzungswerk Ludwigsfelde teil, welches die die Triebwerke der MiG 21 industriell überholte. Der Qualitätssicherung stand dort mein alter Bekannter, Hans Henker, in der Frühzeit der MiG-21 Staffelingenieur, später Leiter FID im JG-3, vor. Wir unterhielten uns mit dem Leiter Außendienst des IWL , Herrn Arndt, über die 575 und zogen die Akte: zwei Pumpenwechsel und zusätzliche Kontrollarbeiten brachten keinen Erfolg, danach fiel das Triebwerk noch zweimal aus, ein Span im Kabelbaum war die Ursache.

Also: überprüft und i.O. oder was?


Militärflugplätze der NVA